Punktesystem statt Leitkulturdebatte

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November 28, 2004, Welt am Sonntag

(Gastbeitrag von Klaus F. Zimmermann)
 

Klaus F. Zimmermann kritisiert als Ökonom die Zuwanderungspolitik und fordert: Mehr Migranten. Stärkere Auswahl, bessere Integration

Deutschland ist seit langem ein Zuwanderungsland. Im Durchschnitt der letzten Jahre verzeichneten wir über 800,000 Zuzüge und 600,000 Fortzüge, netto also einen Zufluß von etwa 200,000 Menschen. Die Familiennachzügler sind im Arbeitsmarktzugang beschränkt. Der Spätaussiedlerzuzug ging zwar zurück, diese Menschen haben aber aufgrund von Sprachproblemen und geringer Berufsqualifikationen eklatante Integrationsschwierigkeiten. Zwar schränkte sich zuletzt auch die humanitäre Zuwanderung ein, und es kam zu einer substantiellen Ausweitung der Arbeitserlaubnisse für temporäre Arbeitsmigranten, aber auch der Zuzug an (arbeitsfähigen) EU-Staatsangehörigen ging zurück.

Einer der Kardinalfehler der deutschen Migrations- und Integrationspolitik ist der Verzicht auf Auswahl. Der Anteil der dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Migranten ist als Folge einer verfehlten Politik kontinuierlich zurückgegangen. Dies gilt nicht nur für Deutschland, sondern ganz generell für die EU. Die restriktive Handhabung des Arbeitsmarktzugangs macht auch vor solchen Migranten nicht halt, denen aufgrund ihrer Qualifikation ohne weiteres eine erfolgreiche Arbeitsmarktintegration zuzutrauen wäre.

Die Integrationspolitik steht und fällt mit dem Spracherwerb. Die jüngsten PISA-Ergebnisse zeigen erneut, wo das Problem liegt. Wir versagen bei der schulischen Integration und Förderung von Kindern mit Migrationshintergrund. Doch das ist nicht etwa allein dem Schulsystem oder gar einer „Überfremdung“ von Schulen anzulasten, sondern beginnt bereits beim häufig unzureichenden Deutschlernen in den Zuwandererfamilien selbst. Daß das neue Zuwanderungsgesetz hier mit obligatorischen Sprachkursen gegensteuern will, ist richtig. Doch was nützt das, wenn für die Kinder selbst der Kindergartenplatz fehlt, so dass der intensive Spracherwerb im Alltag leidet? Unser Nachholbedarf ist immens. Was ist zu tun? Erfolgreiche Integration ist kein Selbstzweck, keine Ressourcenverschwendung. Wichtiger als die Diskussion um die deutsche „Leitkultur“ ist eine Strategie des Förderns und Forderns.

Das neue Zuwanderungsgesetz verzichtet auf dringend nötige Gestaltungselemente wie das Punktesystem, das nach dem Vorbild Kanadas in Verbindung mit der Vorgabe von Höchstquoten eine Auswahl von Zuwanderern entsprechend dem Fachkräftebedarf erlauben würde, wie auf praktikable Verfahren zur Deckung kurzfristigen Zuwanderungsbedarfs. Um weiterzukommen, müssen deshalb strengere Integrationsauflagen greifen. Im übrigen aber werden wir nicht darum herum kommen, die Einreise von Geringqualifizierten aus Nicht-EU-Staaten gezielt einzudämmen, während ebenso gezielt die Anwerbung von Fachkräften einsetzen muß. Eine adäquate Zuwanderungspolitik ist der erste Schritt zu einer besseren Integration.


Reprinted with permission.

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