Die Lüge der Leidenschaft

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April 08, 2017, Frankfurter Allgemeine Zeitung

(Includes statement from Werner Eichhorst)
 

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Werner Eichhorst, Direktor für Arbeitsmarktpolitik am Bonner Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit, sagt, dass es "in einer Erwerbgesellschaft westlicher Prägung essentiell ist, im Beruf erfolgreich zu sein". Jedenfalls seitdem der Mensch nicht mehr ums nackte Überleben kämpft. Außerdem gelte: Je qualifizierter ein Arbeitnehmer ist, desto mehr Optionen hat er, sich weiterzuentwickeln - und desto stärker optimiert er sich selbst, um diese auch zu erreichen. Sprich: Er entwickelt extrem viel Ehrgeiz im Beruf, was viele auch mit Leidenschaft gleichsetzen. Was Eichhorst aus Umfragen aber auch weiß: Wenn Arbeitnehmer danach gefragt werden, welche Faktoren darüber entscheiden, ob sie mit ihrer Stelle zufrieden sind, antworten sie selten zuerst, dass ihr Job Spaß machen oder Sinn stiften muss. Für die meisten stehen nach wie vor eine faire Entlohnung sowie ein stabiles und sicheres Arbeitsverhältnis in unbefristeten Verträgen im Vordergrund. Nur die wenigsten bevorzugen die Selbständigkeit, die vielen ja nach wie vor als Inbegriff der Selbstverwirklichung gilt. Wichtig für ein gutes Gefühl sind ihnen außerdem ein gutes Betriebsklima, der Standort des Arbeitgebers sowie eine gewisse Flexibilität in Sachen Arbeitszeit und Einsatzort. Sprich: die Möglichkeit, auch mal von zu Hause aus zu arbeiten, später anzufangen oder eine längere Mittagspause einzulegen, solange die vertraglich vereinbarte Wochenstundenzahl erfüllt wird. Das alles gelte auch für die derzeit ins Arbeitsleben eintretende Generation Y, sagt Eichhorst. Den zwischen 1980 und 1999 Geborenen wird gerne unterstellt, Hierarchien abzulehnen und eine Karriere regelrecht zu verweigern, wenn ihre Work- Life-Balance unter zu viel Arbeit leiden könnte.

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Auch deshalb will Kitz der verbreiteten Auffassung widersprechen, dass jeder für seinen Beruf brennen sollte - weil Arbeitnehmer zunächst von ihrem Beruf leben können müssen. "Natürlich ist es toll, wenn die Arbeit uns erfüllt", sagt er. "Vor allem ist Arbeit aber der Tausch Zeit gegen Geld" - und das haben in seinen Augen viele vergessen. "Viele Arbeitnehmer wissen, dass Arbeit nicht nur Spaß machen und der Selbstverwirklichung dienen kann, sondern vor allem dem bloßen Broterwerb dient", sagt Werner Eichhorst dagegen. Allen anderen rät er, ganz realistisch auf ihren Beruf zu blicken und "das Glück ihres Lebens nicht allein von der Arbeit abhängig zu machen". Gut möglich, dass vielen unzufriedenen Arbeitnehmern der Beruf dann auch wieder mehr Spaß macht.

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Reprinted with permission.

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