Die organisatorische Revolution ist im Gange

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May 30, 2003, Die SparkassenZeitung

(Gastbeitrag Hilmar Schneider)
 

Wir leben in einer Zeit, in der Gedanken an die Zukunft viele Menschen eher mit Sorge erfüllen. Die drängendste Frage dürfte dabei häufig die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz oder auch den Arbeitsplatz des Partners sein. Arbeit – oder besser gesagt Erwerbsarbeit – stellt nun einmal die Existenzgrundlage für die meisten von uns dar. Hat diese Arbeit überhaupt noch eine Zukunft? Oder geht uns womöglich allmählich die Arbeit aus?

Fast jedem fallen dazu spontan die Bilder von Geisterfabriken ein, in denen computergesteuerte Produktionsabläufe nahezu jeden menschlichen Eingriff überflüssig machen. Spiegelbildlich dazu passend erleben wir den Niedergang von Traditionsunternehmen und einen erschreckenden Anstieg der Arbeitslosigkeit. Laufen wir womöglich ähnlich wie die Lemminge in eine selbst gestellte Fortschrittsfalle?

Zu anderen Zeiten stand man dem erwarteten Rückgang der Arbeit durchaus optimistisch gegenüber. Die frühen Kommunisten hegten zu Anfang des 19. Jahrhunderts die Utopie, dass unser Bedarf an Nahrung, Kleidung etc. durch die Weiterentwicklung der Massenproduktion eines fernen Tages weitgehend durch den Einsatz von Maschinen befriedigt werden würde. Folglich würden die Menschen vom Joch der Arbeit befreit und könnten sich fortan höheren Dingen wie der Kunst und der Philosophie widmen. Man müsse lediglich dafür Sorge tragen, dass der materielle Wohlstand gerecht unter den Menschen aufgeteilt würde.

Tatsächlich treffen weder der moderne Pessimismus noch die frühkommunistische Utopie den Kern der Dinge. Wir wissen heute, dass der technische Fortschritt gewaltige Produktionsschübe ermöglicht hat. Unser Wohlstand hat ein für unsere Vorfahren unvorstellbares Ausmaß angenommen. Aber ist deshalb die Arbeit weniger geworden? Wenn man einmal von den unmenschlichen Arbeitsbedingungen zur Zeit der industriellen Revolution absieht, wird man davon kaum sprechen können. Zwar brauchen wir heute nur noch einen Bruchteil des früheren Aufwands, um unsere Grundbedürfnisse befriedigen zu können. Aber die mit der frei gewordenen Zeit ebenfalls frei gewordenen neuen Bedürfnisse haben offenbar dazu geführt, dass Menschen neue Betätigungsfelder gesucht und gefunden haben, die ihnen als Einkommensquelle dienen. Ein immer größer werdender Teil der so produzierten Güter ist immaterieller Natur. Er besteht aus Dienstleistungen vielfältigster Art. Als Paradebeispiel kann der Informationssektor dienen: Fernsehen, Radio, Printmedien und Internet sind uns inzwischen so wichtig geworden, dass ein beträchtlicher Teil unserer Wirtschaft einträglich davon leben kann. Auch die Freizeit selbst hat sich zu einem beachtlichen Wirtschaftsfaktor entwickelt.

Bei all dem ist das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen in den meisten Volkswirtschaften weitgehend konstant geblieben. Was sich jedoch zu allen Zeiten gewandelt hat, ist die zugrundeliegende Produktionsstruktur. Das Problem besteht deshalb nicht darin, dass uns die Arbeit ausgeht, es besteht vielmehr darin, dass diejenigen, die ihren Arbeitsplatz aufgrund des strukturellen Wandels verlieren, zugleich einen wesentlichen Teil ihres Humankapitals einbüßen und damit die Grundlage für das einmal erreichte Einkommensniveau.

Eine der größten Herausforderungen der Zukunft wird deshalb darin bestehen, dem strukturellen Wandel offensiv zu begegnen. Einer Verstetigung des Qualifikationserwerbs wird dabei eine Schlüsselrolle zukommen. Fehlendes oder entwertetes Humankapital ist heute die Hauptursache von Arbeitslosigkeit. Bei einer stetig zurückgehenden Halbwertszeit von Wissen und einer absehbaren Verlängerung der Lebensarbeitszeit wird es für den Einzelnen immer wichtiger werden, das vorhandene Wissen permanent zu erneuern. Zugleich wird es darauf ankommen, flexibel auf neue Herausforderungen zu reagieren.

Völlig untauglich ist hingegen der Versuch, das Problem durch eine Verteilung der vorhandenen Arbeit auf mehr Köpfe lösen zu wollen, etwa durch die staatliche Förderung von Teilzeitarbeit, teure Frühverrentungsprogramme oder eine allgemeine Reduktion der Wochenarbeitszeit. Um Arbeitsplätze zu sichern, kommt es darauf an, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Die Umverteilung von Arbeit bewirkt das Gegenteil, indem sie Arbeit teurer macht. Selbst wenn es mit diesem Instrument gelänge, die Arbeit völlig gleichmäßig zu verteilen, würde das insgesamt verfügbare Arbeitsvolumen zurück gehen. Arbeitsumverteilung ist ein Luxus, den sich eine Volkswirtschaft allenfalls in Zeiten starken Wachstums leisten kann.

Zusammen genommen spricht vieles dafür, dass in Zukunft eher länger gearbeitet wird als heute. Das Beispiel USA lehrt überdies, dass die Verlängerung der Pro-Kopf-Arbeitszeit keineswegs im Widerspruch zu einem Anstieg des insgesamt geleisteten Arbeitsvolumens steht. Es mag paradox klingen, aber anders als in Deutschland ist dort die Pro-Kopf-Arbeitszeit in den letzen 25 Jahren um etwa 10% gestiegen. Das insgesamt erbrachte Arbeitsvolumen hat gleichzeitig um über 40% zugenommen. In Deutschland ist die Pro-Kopf-Arbeitszeit dagegen drastisch zurück gegangen. Die Probleme haben sich damit aber keineswegs gelöst, sondern eher noch verschärft: Das insgesamt erbrachte Arbeitszeitvolumen ist hierzulande praktisch in gleichem Maß zurück gegangen wie die Pro-Kopf-Arbeitszeit. Arbeitszeitverkürzung hat also Arbeit vernichtet.

Was erwartet die Menschen künftig an ihrem Arbeitsplatz? Hier dürfte ein Prozess ein Rolle spielen, der als organisatorische Revolution bezeichnet werden könnte und heute bereits spürbar ist. Die Anspielung auf die industrielle Revolution ist durchaus gewollt, denn die Auswirkungen sind als ebenso fundamental einzustufen. Die industrielle Revolution ebnete der Massenproduktion durch Taylorisierung den Weg. Sie ging einher mit einer strengen Hierarchisierung von Unternehmensstrukturen und einer Polarisierung zwischen Unternehmensleitung und Belegschaft. Spätestens seit Ende der 80er Jahre beobachten wir jedoch einen beinahe unmerklichen Wandel der Unternehmensstrukturen. An die Stelle von strengen Hierarchien treten Teamstrukturen, zugleich entwickelt sich die Produktion weg vom Massengut hin zum personalisierten Gut. Die treibende Kraft dahinter sind digitale Informations- und Kommunikationstechnologien, flexible Werkzeuge und Produktionsanlagen, sowie nicht zuletzt der Anstieg des Qualifikationsniveaus. Für den einzelnen Arbeitnehmer bedeutet dies eine neue Form der Verantwortung. Er trägt mit seinem Handeln unmittelbarer als früher zum Wohl und Wehe seines Unternehmens bei. Arbeitnehmer müssen lernen, unternehmerisch zu denken und zu handeln. Der alte Gegensatz zwischen Unternehmensleitung und Belegschaft verliert somit an Kontur.

Auch der Arbeitsplatz selbst könnte als eindeutig zu identifizierender Ort an Konturen verlieren. Projektorientiertes Arbeiten dürfte zu wechselnden Arbeitsumgebungen beitragen. Wichtiger als die Lokalität des Arbeitsplatzes wird seine virtuelle Existenz in Form von elektronisch gespeicherten Informationen und die Vernetzung mit den relevanten Kommunikationspartnern.

Eines allerdings dürfte auch eine noch so ausgefeilte Kommunikationstechnologie auf absehbare Zeit nicht ersetzen können: Das spontane und direkte Gespräch zwischen Kollegen, sei es am Schreibtisch, am Kaffeeautomaten oder in der Mittagspause. Hier werden neue Ideen geboren, entstehen Synergien und vermittelt sich Firmenkultur. Ohne solche Gelegenheiten werden Unternehmen auch in Zukunft nicht auskommen.


Reprinted with permission.

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