IZA-Direktor Zimmermann warnt vor überstürztem Atomausstieg

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April 25, 2011, dapd

(Interview mit Klaus F. Zimmermann)

Zimmermann sieht im Wiederaufbau in Japan ein "exorbitantes Konjunkturprogramm"
 

Bonn (dapd). Der Direktor des Bonner Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), Klaus Zimmermann, warnt die Bundesregierung vor einem überstürzten Atomausstieg. Viele Fragen seien noch völlig ungeklärt, sagte Zimmermann der Nachrichtenagentur dapd. So dürfe der Klimaschutz nicht auf der Strecke bleiben. Zudem müsse darauf geachtet werden, dass die Energiepreise "nicht durch einen weiteren rasanten Anstieg den wirtschaftlichen Aufschwung und damit Arbeitsplätze gefährden". Die Fragen stellte dapd-Korrespondent Jörg Säuberlich.

dapd: Welche Folgen hat die Atomkatastrophe in Japan für den deutschen Arbeitsmarkt?

Zimmermann: Bremsspuren insbesondere für unsere Exportwirtschaft sind nicht auszuschließen, falls die Unternehmen in Japan länger mit Produktionsausfällen zu kämpfen haben und nicht schnell wieder auf die Beine kommen. Andererseits, so zynisch das manche empfinden mögen, ist der dortige Wiederaufbau auch ein exorbitantes Konjunkturprogramm. Bis jetzt sind die gesamtwirtschaftlichen Folgen der Katastrophe für uns aber eher marginal.

dapd: Was halten Sie von den Forderungen nach einem beschleunigten Atomausstieg in Deutschland?

Zimmermann: Ich wünsche mir mehr Rationalität in dieser Debatte und weniger Hektik. Politische Entscheidungen sollten nicht überstürzt werden, denn im Ergebnis des jetzigen Diskussionsprozesses brauchen wir ein langfristig angelegtes Energiekonzept, das Sicherheit, Versorgungszuverlässigkeit, Wirtschaftlichkeit und Klimaschutz gleichermaßen zum Ziel hat. Über dieses "magische Viereck" einer nachhaltigen Energiepolitik brauchen wir einen breiten gesellschaftlichen Konsens, der für die Zukunft tragfähig ist. Jedenfalls würde die Politik völlig unglaubwürdig, wenn jetzt der Klimaschutz auf der Strecke bleibt oder wir unsere Atommeiler einfach abschalten, ohne über effiziente Energiealternativen zu verfügen.

dapd: Was bedeutet das für den Umgang mit den Energie-Unternehmen?

Zimmermann: Alle Entscheidungen müssen gemeinsam mit der Energiewirtschaft, aber nicht gegen sie getroffen werden. Ein Aspekt ist mir sehr wichtig: Im Januar 2008 haben sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union verpflichtet, bis 2020 die CO2-Emmissionen um 20 Prozent zu reduzieren. Deutschland will sogar noch ehrgeiziger sein. Ich bin dagegen, diese Ziele jetzt zu gefährden, indem wir nach einem Ausstieg aus der Kernenergie etwa wieder verstärkt auf fossile Brennstoffe setzen. Das ist keine nachhaltige Umweltpolitik. Ebenso müssen wir darauf achten, dass die Energiepreise, die jetzt schon ein Inflationstreiber sind, nicht durch einen weiteren rasanten Anstieg den wirtschaftlichen Aufschwung und damit Arbeitsplätze gefährden.

dapd: Sehen Sie in einem raschen Atomausstieg auch Chancen für den Arbeitsmarkt?

Zimmermann: Schon vor dem Japan-Schock hat die deutsche Wirtschaft selbst den Bereich der erneuerbaren Energien als den Markt mit den größten Wachstumschancen bis 2020 definiert. Dies gilt bei einem beschleunigten Atomausstieg erst recht. Denken Sie nur an die notwendigen enormen Investitionen in moderne Hochspannungsnetze, intelligente Stromzähler und Speicher. Allein in der "grünen Strombranche" sind schon heute fast 300.000 Menschen beschäftigt. Es ist realistisch, dass bis zum Jahre 2020 deutlich mehr als zwei Millionen in dem weiten Bereich von "Green Tech"-Industrien und Umweltberufen beschäftigt sind, je nach Entwicklung der politischen Rahmenbedingungen. Allerdings könnte der Fachkräftemangel gerade bei diesen hoch qualifizierten Arbeitsmärkten der Zukunft als Bremse wirken. Denn heute schon haben wir in diesem Sektor, der zudem international sehr wettbewerbsintensiv ist, nur ein begrenztes personelles Reservoir. Deshalb müssen wir auch die Ausbildung von Fachkräften in diesen Berufen forcieren. Dieser Aspekt kommt in der aktuellen Debatte ebenfalls zu kurz.

dapd: Wie sieht es beim Export aus?

Zimmermann: Grundsätzlich hat die deutsche Exportwirtschaft eine große Chance, wenn aus "Made in Germany" mehr und mehr "Green from Germany" wird. In vielen Bereichen wie den erneuerbaren Energien hat die deutsche Wirtschaft schon heute eine Vorreiterposition. Mehr als ein Sechstel des Welthandels im Bereich der grünen Technologien entfällt bereits jetzt auf deutsche Unternehmen. So sind zum Beispiel bis zu 80 Prozent der in Deutschland gefertigten Windräder für den Export bestimmt. Ähnlich hoch liegt der Weltmarktanteil deutscher Unternehmen bei Biogasanlagen. Allerdings: Die internationale Konkurrenz holt mehr und mehr auf, wie insbesondere bei der Photovoltaik deutlich wird, wo der deutsche Vorsprung schwindet.

dapd: Welche Forderungen haben Sie in diesem Zusammenhang an die Bundesregierung?

Zimmermann: Wir brauchen für die Zukunft einen intelligenten Energie-Mix, der nicht zuletzt den Unternehmen Planungssicherheit für die kommenden 20 bis 30 Jahre ermöglicht. Denn hier geht es um beachtliche Investitionen in einer Größenordnung von mehreren hundert Milliarden Euro. Ein solch komplexer und sensibler Prozess gelingt nur in einem breiten politischen wie gesellschaftlichen Konsens, damit wir diese Fragen nicht alle paar Jahre neu diskutieren. Deshalb ist es gut, für die anstehenden Entscheidungen eine parteienübergreifende Mehrheit anzustreben. Ich setze in die Moderatoren dieses nationalen Energie-Dialoges wie Klaus Töpfer durchaus die Erwartung, dass es ihnen gelingt, die unterschiedlichen Standpunkte und Interessen erfolgreich zusammenzuführen. Ich warne aber davor, jetzt schon bis Mitte Juni einen Gesetzentwurf zum Atomausstieg erzwingen zu wollen, wie es die Bundesregierung plant. Mir sind jedenfalls noch zu viele Fragen völlig ungeklärt.


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