Die Mammutaufgabe: Welche Reformen die nächste Bundesregierung durchführen muss

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August 15, 2002, Rheinischer Merkur

(Gastbeitrag Klaus F. Zimmermann)
 

Nach Jahren der Ignoranz hat sich die hohe Arbeitslosigkeit nun durch alle politischen Parteien zur Schlüsselfrage für die Bundestagswahlen entwickelt. Die aufgekommene Reformdebatte ist begrüßenswert. Schon das Denken und Debattieren des bisher Undenkbaren trägt dazu bei, das Bild der senilen Wirtschaftsmacht Deutschland zu verbessern, das sich seit Jahren im Ausland verfestigt hat. Läßt sich der Reformschwung in der Politik verdauen, so kann dies nachhaltige Effekte auch für den wünschenswerten Zufluß an Investitionen und hochqualifizierten Arbeitnehmern nach Deutschland haben.

Für den Wähler wird es im zunehmenden Wettbewerb der Ideen um seine Stimme aber immer schwieriger, sich ein klares Bild von den diversen Initiativen zu verschaffen. Wie können neue Arbeitsplätze geschaffen werden? Welche konkreten Maßnahmen für mehr Beschäftigung sollte die neue Bundesregierung als erstes in Angriff nehmen? Die Beantwortung dieser Frage erfordert zunächst die Kenntnis der Schlüsseldeterminanten der Arbeitslosigkeit.

Gefragte Fachkräfte

Auslöser der Arbeitsmarktkrise war nicht der Wohlfahrtsstaat. Dafür spricht, dass sich die Symptome der Krise in vielen Ländern gleichen. Es sind vor allem die gering qualifizierten Arbeitnehmer, deren Beschäftigungsbedingungen sich rapide verschlechtert haben. In flexiblen Arbeitsmärkten sind die Löhne der Geringverdiener unter Druck geraten, während in den europäischen Wohlfahrtsstaaten ihre Erwerbslosigkeit deutlicher angestiegen ist. Globaler Wettbewerb, sich rasch transportierender technischer Fortschritt und die Veränderungen der Informationsgesellschaft haben den Bedarf an Fachkräften erhöht und die Nachfrage nach einfacher Arbeit strukturell einbrechen lassen.

Allerdings zeigten sich die institutionellen Regelungen in Deutschland der Krise nicht gewachsen. Statt die nötigen Anpassungsprozesse abzufedern, verstärken unsere Sozialsysteme ihre Zwänge. Die Exponenten der Tarifautonomie haben zugelassen, dass gering qualifizierte Arbeit immer teurer geworden ist. Es kann nicht überraschen, dass die Arbeitsnachfrage in der Folge weiter fiel. Die Politik sorgte dafür, dass die Steuer- und Transfersysteme im Niedrigeinkommensbereich leistungsfeindlich geregelt wurden. Niemand braucht sich deshalb zu wundern, wenn die Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme in diesem Bereich ungenügend ist. Somit ist die Verstärkung der Krise hausgemacht.

Die Ursachen für die Arbeitslosigkeit, insbesondere unter gering Qualifizierten, lassen sich deshalb in dieser Reihenfolge festmachen: fehlende Jobs, mangelhafte Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme und Schwächen bei der Vermittlung. Alle Faktoren spielen eine gewichtige Rolle. Dies legt es nahe, das hartnäckige Arbeitslosigkeitsproblem mit vollem Einsatz anzugehen. Jenseits von Hartz-Gutachten und Späth-Stoiber-Plan sollten wenige wirksame Maßnahmen zur Stärkung von Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt, verbunden mit institutionellen Reformen zur Verbesserung der Vermittlung von Arbeitslosen, den gewünschten Aufbruch generieren können.

Ende des Meisterzwangs

Neue Jobs können letztlich nur durch gute Wirtschaftspolitik entstehen. So muss eine Deregulierung und Vitalisierung der Produkt- und Dienstleistungsmärkte angepackt werden, um neue Arbeitsplätze und Einkommenschancen insbesondere im Niedriglohnbereich zu schaffen. Dazu gehören die Bereiche der Gesundheitsdienstleistungen, der Pflege, des Krankentransports, der Alten- und Kinderbetreuung sowie das Handwerk.

Die Abschaffung des Zivildienstes sowie des Meisterprivilegs bei der Führung eines Handwerksbetriebes sind zwei Beispiele, wie Freiräume für die Entwicklung von Beschäftigung geschaffen werden könnten. Durch Förderungen von Dienstleistungsagenturen könnten die vielfältigen Potentiale für Dienstleistungen in privaten Haushalten mobilisiert und diverse Formen der Schattenwirtschaft legalisiert werden. Zur direkten Stärkung der Arbeitsnachfrage der Unternehmen sind erfahrungsgemäß Wiedereingliederungszuschüsse an Problemgruppen unter den Arbeitslosen, hier potenziell ältere Arbeitnehmer über 50 Jahre oder Menschen ohne Berufsabschluß, besonders wirksam und nachhaltig. Diese Lohnsubventionen sind zeitlich und personell begrenzt und somit fiskalisch erträglich.

Die Förderung sollte allerdings im Sinne einer präventiven Arbeitsmarktpolitik bereits bei der Kündigung einsetzen können. Ein Hemmnis für die Beschäftigung von Problemgruppen ist ferner der Kündigungsschutz. Würde er für Arbeitslose über 50 und für Dauerarbeitslose durch eine Abfindungsregelung ersetzt werden, so könnten viele Menschen eine reelle Arbeitsmarktchance erhalten.

Beiden Anliegen, der Senkung der Einstiegslöhne und der vertraglichen Risiken, könnte auch durch die von der Hartz-Kommission ins Spiel gebrachte staatliche Leihagentur entsprochen werden. Eine solche Agentur ermöglicht potenziell die Quadratur des Kreises, da sie Arbeitslose länger beschäftigen kann: Eine temporäre Vermittlung zu Beginn mit geringer Gebühr mit jederzeitigem Recht auf Rückgabe des entliehenen Arbeitnehmers bietet für den Unternehmer die Chance, auch dessen Produktivität von Anfang an kennen zu lernen.

Geschönte Statistik

Für das vermittelnde Arbeitsamt ist die Leihagentur darüber hinaus ein wirksames Instrument, die Arbeitswilligkeit der Bezieher von Arbeitslosenunterstützung zu prüfen. Wichtig ist allerdings, dass nur prinzipiell auf dem regulären Arbeitsmarkt vermittelbare Arbeitslose beschäftigt werden. Andernfalls entsteht nur eine neue unproduktive Beschäftigungsgesellschaft, die die Arbeitslosenstatistik schönt.

Zur Motivierung der Arbeitsbereitschaft und des Arbeitsangebotes sind aber noch weitere Maßnahmen nötig. Flächendeckende Anreize auf der Angebotsseite im Niedriglohnbereich sind allerdings wegen der Mitnahmeeffekte sehr teuer und bringen wenig zusätzliches Angebot. Allenfalls eine Ausweitung der Verpflichtung zur Übernahme regulärer Arbeit bei einer Inanspruchnahme öffentlicher Förderleistungen könnte eine nachhaltige Steigerung der Arbeitsbereitschaft herbeiführen.

Programmierter Zielkonflikt

Die Verschärfung der individuellen Kriterien für die Zumutbarkeit einer Arbeitsaufnahme wird in der Praxis auf Schwierigkeiten stoßen. Sie ist jedenfalls für das Arbeitsamt personalintensiv und bedarf einer Änderung auch der Rechtsprechung bei gerichtlichen Überprüfungen von Entscheidungen. Ein wirksameres Signal wäre die Verkürzung der Bezugszeit der Arbeitslosenunterstützung auf zwölf Monate und die Zusammenfassung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Das Arbeitsamt sollte die Betreuung der arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger übernehmen und somit die Gemeinden auch finanziell entlasten.

Schließlich muß die Reform der Bundesanstalt für Arbeit vollendet werden. Dabei kommt es zunächst darauf an, die unterschiedlichen Ziele für die diversen Aufgaben klar zu formulieren und durch institutionelle Abgrenzungen Zielkonflikte und Interessenkollisionen der handelnden Personen zu vermeiden. Dies kann durch getrennte Abteilungen oder durch die Schaffung unabhängiger Institutionen erreicht werden. Unabhängige Kontrollinstanzen sind gefordert. Es wäre besser, von der Drittelparität in den Gremien der Bundesanstalt Abschied zu nehmen.

Die Arbeitsvermittlung sollte im Wettbewerb zwischen öffentlichen Einrichtungen und privaten Firmen erfolgen. Allerdings muss vor der Illusion gewarnt werden, private Vermittler könnten die Problemfälle unter den Arbeitslosen in absehbarer Zeit lösen. Die Profilierung der Arbeitssuchenden muss dagegen von einem öffentlichen Träger koordiniert werden, da nur so eine bundesweit flächendeckende Versorgung mit dieser Dienstleistung gesichert werden kann. Hier ist wichtig, nicht nur die für eine Vermittlung nötigen Qualifikationen zu erfassen, sondern auch das Risikopotential für eine Dauerarbeitslosigkeit einzuschätzen.

Die Verwendung von Steuergeldern zur Durchführung von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen - etwa zur Qualifizierung oder anderer aktiver Beschäftigungspolitik und für Wiedereingliederungshilfen - sowie die Auszahlung der zusammengefassten Arbeitslosen- und Sozialhilfe müssen ebenfalls staatlich organisiert bleiben. Keinesfalls sollten aber die Vermittlungsaufgabe und die Verteilung von Steuermitteln unter einem Dach bleiben, da der Zielkonflikt bei den Handelnden die Vermittlungsaktivitäten beeinträchtigt.


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