Wenige Jobs zu hohen Kosten

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April 26, 2007, Handelsblatt

(Gastbeitrag von Klaus F. Zimmermann)
 

Mindestlöhne vernichten exakt jene Arbeitsplätze, die wir so dringend benötigen

Seit Jahren wird in Deutschland darüber diskutiert, wie der Bereich der einfachen, niedrig entlohnten Beschäftigung stimuliert werden kann. Dass dies dringend notwendig ist, bestreitet inzwischen niemand mehr. Denn die nach wie vor hohe Langzeitarbeitslosigkeit halt sich primär unter gering Qualifizierten, die als Folge von Wettbewerbsdruck, Rationalisierung und technischem Fortschritt große Schwierigkeiten haben, auf dem Arbeitsmarkt adäquate Tätigkeiten zu finden.

Damit sind aber auf nicht absehbare Zeit hohe Kosten für die Allgemeinheit programmiert. Auf der einen Seite sind deshalb dringend Investitionen in die Bildung erforderlich, um zu verhindern, dass wie bislang zu viele Menschen ohne hinreichende Qualifikationen in das Erwerbsleben einsteigen. Andererseits muss sich die Politik der undankbaren Aufgabe stellen, überzeugende Erwerbsanreize für gering qualifizierte Arbeitssuchende zu schaffen.

Der implizite Mindestlohn für gering Qualifizierte liegt zurzeit auf Grund des hohen Sozialtransferniveaus weit über dem tatsächlich erzielbaren Marktlohn. Weil großzügige Sozialtransfers unabhängig vom Erwerbsstatus gewährt werden, lohnt es sich für viele nicht, eine niedrig entlohnte Arbeit anzunehmen. Der mit einer Ganztagsbeschäftigung zu erzielende Lohn liegt oft nur um wenige Euro über dem Einkommen ohne Beschäftigung. Beispiel: Wer heute als Empfänger von Arbeitslosengeld II einen Vollzeitjob annimmt, durch den das verfügbare monatliche Einkommen um 100 Euro steigt, erzielt für seine Arbeit einen effektiven Stundenlohn von weniger als einem Euro. Niemand darf es den Betroffenen verdenken, dass sie unter diesen Umständen die ganz rationale Entscheidung treffen, ihre Arbeitskraft nicht anzubieten. Der Vorwurf der „Faulheit“ zielt hier völlig ins Leere. Ganz abgesehen von den massiven Anreizen zur Schwarzarbeit, ist es de facto das geltende Fördersystem, das die Menschen förmlich in die Transferabhängigkeit drängt.

Die große Koalition hat offenkundig nicht die Kraft, einen echten Neuanfang zu wagen und das Anreizsystem grundsätzlich neu zu restrukturieren. Stattdessen läuft alles darauf hinaus, dass einmal mehr nur an den hinlänglich bekannten Stellschrauben gedreht wird: Die Grenzen für Hinzuverdienste werden erneut angepasst, niedrige Einkommen unter bestimmten Bedingungen durch staatliche Kombilöhne aufgestockt. Möglicherweise wird das Ganze noch durch einen gesetzlichen Mindestlohn garniert. Damit sind zwar bei Wahlen Blumentöpfe zu gewinnen, aber das Ganze bleibt ökonomisch äußerst fragwürdig und langfristig schädlich. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass Kombilöhne, insbesondere wenn sie an den Anreizen zur Arbeitsaufnahme ansetzen, in ihrer Wirkung weitgehend verpuffen und einer seriösen Kosten-Nutzen-Betrachtung nicht Stand halten können. Sie animieren konstruktionsbedingt zur Reduzierung von Arbeitszeit, um in den Genuss der Förderung zu kommen, und verursachen Kosten in einer Dimension, die ihre Umsetzung unverzeihlich werden lassen.

So führt z. B. das Modell des Wirtschaftsweisen Peter Bofinger in seinem Kombilohnmodul nach Berechnungen des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) zu Kosten von weit über drei Milliarden Euro. Es schafft aber kaum mehr als 20000 neue Vollzeitarbeitsplätze. Den Subventionsbetrag pro Job mag man sich gar nicht erst ausrechnen. Und doch ist das Konzept nicht etwa ad acta gelegt, sondern politisch in Mode. Natürlich ist dann, so die Logik, auch ein Mindestlohn „notwendig“, um zu verhindern, dass Unternehmen angesichts staatlicher Förderung zu Lohndumping tendieren. Haben nicht die meisten anderen Staaten keine Probleme mit solchen Mindestlöhnen? Richtig, aber der Vergleich hinkt. Dort ist in der Regel auch die Ausgangslage eine ganz andere und das Niveau der sozialstaatlichen Absicherung weit geringer.

In Wirklichkeit wird ein Mindestlohn, wenn er nicht nur als Placebo verschrieben wird, kombiniert mit dem deutschen sozialen Sicherungsniveau Arbeitsplätze vernichten, statt sie zu schützen. Verloren gehen werden just jene Jobs, die wir so dringend brauchen, um gering Qualifizierten auf dem Arbeitsmarkt eine Chance zu geben. Ein Neuanfang sieht anders aus: Er setzt voraus, dass bestehende Verhaltensanreize und mit ihnen die eigentlichen Gründe für die Misere im Bereich der Niedriglohnbeschäftigung beseitigt werden. Dies geschieht am besten mit einem Konzept, das die Zahlung von Arbeitslosengeld II an Erwerbsfähige grundsätzlich von der Pflicht zur Gegenleistung in Form einer sozial nützlichen Ganztagsbeschäftigung abhängig macht. Eine solche Politik könnte sich auf die positiven Erfahrungen in Ländern wie Großbritannien oder Dänemark berufen und würde die Option Erwerbsarbeit klar aufwerten.

Denn vor die Wahl gestellt, entweder auf den regulären Arbeitsmarkt zurückzukehren, der dann das Angebot entsprechender Jobs ausweiten würde, oder Transferbezug mit gemeinnütziger Arbeit zu kombinieren, würden die meisten erwerbsfähigen Bezieher von ALG II Ersteres vorziehen. Der Vorschlag von Wirtschaftsminister Michael Glos zur „Existenz sichernden Beschäftigung“ zielt in diese Richtung. Er hätte IZA-Berechnungen zufolge das Potenzial, bis zu 1,4 Millionen Menschen in Beschäftigung zu bringen und gleichzeitig Etateinsparungen in Milliardenhöhe zu erzielen. Ebenso wie das vom IZA vertretene, ähnlich konzipierte „Workfare“-Modell kommt auch der BMWi-Ansatz ohne Absenkungen des Sozialtransferniveaus aus. Es bleibt unerfindlich, warum die Koalition nicht den eingeschlagenen Irrweg verlässt und diesen klaren, Anreize stärkenden und sozial gerechten Kurs steuert.


Reprinted with permission.

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