Aus Arbeitnehmern werden Wissensunternehmer

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July 20, 2001, Die Sparkassen-Zeitung

(Gastbeitrag Klaus F. Zimmermann)

Die Zukunft der Arbeit wird mobilere Formen der Beschäftigung bei einer sich öffnenden Wohlstandsschere bringen
 

Wann immer von der Zukunft der Arbeit die Rede ist, treffen sie sich wieder: die Bedenkenträger und Zeitgeistsurfer, die Endzeit-Apostel und die Derwische des Fortschritts. Die einen prophezeien den Untergang der Erwerbsarbeit, die anderen predigen das El Dorado des Humankapitals. Überraschen darf das nicht. Denn es gibt Anzeichen für die eine wie auch die andere Entwicklung, und es wird entscheidend darauf ankommen, wie rasch und wie intelligent wir die Erwerbsarbeit in Zukunft gestalten, um ihr eine gedeihliche Perspektive zu sichern.

Arbeitsfelder verändern sich. Die klassische Industrieproduktion wird durch den Dienstleistungssektor verdrängt. Kreative Wissensarbeit beginnt routinisierte Arbeitsabläufe abzulösen. Andere Arbeits- und Qualifikationsformen, andere Unternehmensstrukturen, andere Führungsstile sind die Folge. Die vertraute Form des für lange Jahre oder gar ein ganzes Erwerbsleben gesicherten Arbeitsplatzes ist auf dem Rückzug und macht neuen, kürzeren und mobileren Formen der Beschäftigung Platz. Andere Formen der Arbeit schieben sich in den Vordergrund. Schichtdienste und über den Tages- und Wochenablauf versetzte Arbeitszeiten sind heute für immer mehr Menschen Bestandteil des Alltags.

Teilzeitarbeit breitet sich aus, Leiharbeit und diverse Modelle der Arbeitszeitflexibilisierung sind inzwischen längst in viele Betriebsabläufe und Unternehmensphilosophien integriert worden. Die Qualifikationsanforderungen an das Personal - und übrigens auch an das Management - steigen immer weiter, je anspruchsvoller und komplexer die gestellten und in einer wachsenden Konkurrenzsituation zu lösenden Aufgaben sind.

Zu geringe Qualifikation resultiert in zu geringen Arbeitsmarktchancen, zumal dann, wenn es an einem Markt für einfache Dienste fehlt. Wissenskapital wiederum muß, wie andere Investitionen auch, abgeschrieben werden. Es bedarf der Pflege und Erneuerung. Unsere Ausbildungszeiten müssen kürzer werden, weil sie nämlich in Wirklichkeit ein Arbeitsleben lang nicht mehr aufhören werden. Herausgefordert sind auch die Unternehmen. Flache Hierarchien, räumlich und personell variable Projektteams und intelligente Büromodulkonzepte sind in aller Munde, aber nicht jedem ist über das Bedürfnis hinaus, "mit der Zeit zu gehen", klar, was dies nicht zuletzt impliziert: eine dezentrale Mitarbeiterführung, die ergebnisorientiert denkt, sich freimacht vom Stechuhrkomplex, Individualität und eigenverantwortliche Arbeit ermöglicht - und die genau dadurch diejenigen positiven Anreize setzen kann, die zur Leistung, zum Verbleib oder zum Eintritt in das Unternehmen motivieren können.

Arbeitnehmer werden selbstbewußter

In Zukunft wird sich diese Entwicklung um so stärker fortsetzen, je sichtbarer die daraus resultierenden Produktivitätsvorteile werden, je vernehmlicher aber auch die Arbeitnehmer ihre Wünsche nach individuellem Zuschnitt ihrer Arbeitsplätze artikulieren. Denn eines darf nicht übersehen werden: Die Veränderungen sind nicht allein das Resultat neuer technischer Möglichkeiten, unternehmerischen Kalküls und virtueller Vernetzung. Sie gehen auch zurück auf ein selbstbewußteres Auftreten der Arbeitnehmer, auf verändertes Freizeitverhalten, auf den Wunsch nach besserer Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Der strukturelle Wandel spielt sich vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft ab, in der es zusehends an fachlich qualifizierten Arbeitskräften mangelt.

Um so mehr verstärkt das den Druck, nicht nur familien-, renten- oder migrationspolitisch zu reagieren, sondern auch arbeitsorganisatorische Veränderungen vorzunehmen. Wer die Besten für sich gewinnen will, muß etwas anzubieten haben - Karriereaussichten und prognostizierte Einkommensentwicklung allein reichen da immer weniger aus. Es sind die "Extras", die an Bedeutung gewinnen. Für den einen ist dies die Aussicht auf ein mehrmonatiges Sabbatical, für den nächsten ein regelmäßiger freier Tag in der Arbeitswoche oder Telearbeit von zu Hause aus, für wieder einen anderen die betriebseigene Kinderbetreuung, das attraktive Weiterbildungsangebot oder die opulente Arbeitsplatzausstattung mit Sauna und Chefkoch. "Schema F"-Strategien werden immer weniger erfolgreich sein, wenn es um die Gewinnung guter und firmentreuer Mitarbeiter geht. Das heranziehende Zeitalter des Humankapitals macht aus dem hochqualifizierten Arbeitnehmer einen Wissensunternehmer, der sich seiner Verhandlungsmacht bewußt ist.

Problem Arbeitslosigkeit bei Gerinqualifizierten

Bei alledem darf eine Tendenz zur Polarisierung auf dem Arbeitsmarkt nicht übersehen werden. Für viele von uns kündigen sich "große Freiheiten" an; für andere jedoch droht mangels Qualifikation ein Platz auf dem Abstellgleis des Arbeitsmarkts. Auf der einen Seite entstehen marginale, gering entlohnte Beschäftigungsverhältnisse im Bereich der personenbezogenen Dienstleistungen. Auf der anderen Seite profitieren die Hochqualifizierten von den Segnungen der Kommunikations- und Informationsrevolution Das hat unmittelbare Auswirkungen auf die Einkommensverteilung: Die Wohlstandsschere zwischen den unteren und den oberen Qualifikationsebenen wird sich mehr denn je öffnen - mit erheblichen Folgen auch für die soziale Sicherung. Wenig spricht dafür, daß sich die hohe Arbeitslosigkeit von Geringqualifizierten rasch abbauen läßt.

Dazu fehlt es an entschlossenen Initiativen zur Schaffung eines Marktes für einfache Dienste. Im Gegenteil, die Indizien lassen erwarten, daß eine erhebliche Sockelarbeitslosigkeit dieser Gruppe mit einer gleichzeitigen Mangelsituation auf anderen Qualifikationsstufen einhergehen wird. Bildung und Ausbildung sind ein zentraler Puffer, um die Herausforderungen der Globalisierung, des Wandels im Informationszeitalter und der Demographie auszugleichen. Eine raschere Anpassung und Entwicklung von Ausbildungsgängen und Berufsordnungen ist dringend angezeigt.

Generalisten werden gefragt sein

Noch wichtiger ist die kritische Überprüfung des Trends zur frühzeitigen Spezialisierung. Die Ausbildung darf sich nicht in der Vermittlung betriebsspezifischer Details verzetteln, auch wenn das viele Unternehmen heutzutage aus Kostengründen einfordern. Sie erwarten den von Anfang an "maßgeschneiderten" Arbeitnehmer und übersehen dabei oft, daß morgen mehr und mehr nicht der Spezialist, sondern der Generalist gefragt sein wird, der vielseitig einsetzbar ist und sich selbst weiterqualifiziert. Eine häufigere berufliche Veränderung im Unternehmen, aber auch ein häufigerer Jobwechsel zu einem anderen Arbeitgeber wird bald der Normalfall sein. Betriebsspezifisches, arbeitsplatzgebundenes Spezialwissen wird dann schnell wertlos. Außerdem veraltet Wissen im Informationszeitalter ohnehin immer rascher, je detaillierter es ist.

Schlüsselqualifikationen wie Selbständigkeit, Teamfähigkeit, Entscheidungsfähigkeit in flachen Hierarchien, vernetztes Denken, Selbstorganisation und Improvisation, soziale Kompetenz, Medien-, Kommunikations- und Sprachkompetenzen werden immer wichtiger. Erst ihre Beherrschung erlaubt den vielfältigen Einsatz des Mitarbeiters im Betrieb. Es wäre dringend notwendig, die Ausbildung stärker auf diese Kernkompetenzen abzustellen. Dies muß mit neuen Strukturen für berufsbegleitendes Lernen einhergehen. Der Staat könnte das durch die Ausgabe von Weiterbildungsgutscheinen fördern, hier öffnet sich aber auch ein weites Feld für Inititativen der Tarifvertragsparteien.

Vorausschauenderes Handeln tut not. Das gilt auch für die Universitätsausbildung. Das Studium sollte in einen stärker wissenschaftlichen und einen stärker berufsqualifizierenden Teil aufgeteilt werden. Obligatorische studienbegleitende Berufspraktika könnten in Zusammenarbeit mit den Unternehmen eingeführt werden. Frühzeitige Auslandssemester ließen sich - bei verbessertem Stipendiensystem - vorschreiben. Der Quereinstieg aus dem Beruf in das Studium muß erleichtert und eine berufsbegleitende Fortbildung sollte flächendeckend und praxisnah angeboten werden. Bildungsnetzwerke mit Schulen und Verbänden drängen sich auf, denn wir wissen alle, daß die Voraussetzungen, die heute für ein Hochschulstudium mitgebracht werden, vielfach ungenügend sind, was nicht an überzogenen Maßstäben der Hochschulen festgemacht werden kann. Nicht zuletzt müssen neue Formen der Hochschulfinanzierung systematisch ausgelotet und erprobt werden. Privates Wissenschaftssponsoring, wie es beispielsweise die Deutsche Post für das IZA und die Graduiertenausbildung der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Bonn betreibt, hat Vorbildcharakter.

Hemmschwellen sollten fallen und Unvoreingenommenheit Platz machen, damit die Zukunft der Arbeit den Optimisten Recht gibt.


Reprinted with permission.

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