Vom Elend der Basarökonomie

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October 23, 2005, Welt am Sonntag

(Gastbeitrag von Klaus F. Zimmermann)
 

Die deutsche Wirtschafts-Unterhaltungsindustrie erlebt derzeit die zweite Auflage um das Medienphänomen "Basarökonomie". Deutschland verkomme wegen zu hoher Löhne zum Basar, beschäftige deshalb immer weniger Menschen und wundere sich angesichts blendender Exporterfolge auch noch darüber. Einige Randfiguren der Ökonomenszene jubeln dagegen diese Erfolge zum Beleg daher: Deutschland gehe es blendend; es müßten nur noch die Löhne zur Stärkung der Binnennachfrage weiter steigen. Der ökonomische Mainstream schließlich, wie langweilig, findet die Zusammenhänge der Basarökonomie altbekannt, fehlinterpretiert und überdies wenig besorgniserregend. Um was geht es?

In zwei Artikeln in der "Welt am Sonntag" hat der geschätzte Münchner Kollege Hans-Werner Sinn seine Welt beschrieben: Der Exportboom sei Folge der inneren Wachstumsschwäche Deutschlands. Getrieben von den Auswüchsen des Sozialstaates flüchteten immer mehr deutsche Unternehmer zunächst in kapitalintensive Produktion, dann in den Güterexport und schließlich ganz ins Ausland. Wer bleibt, konzentriert sich wenigstens auf die kapitalintensiven Endstufen der Produktion und sichert sein Überleben, indem er sich die arbeitsintensiven Teile aus Warenimporten zusammenschraubt. Deshalb stagniere die Binnenkonjunktur, und die Beschäftigungskrise verstärke sich. Insoweit sei der Exportboom eine ökonomische Supernova, die Deutschland ins Unglück reiße.

Dieses Untergangsszenario schmeckt irgendwie erfrischend exotisch. Haben aber die Deutschen wirklich das Talent zum Basar? Oder ist Hans-Werner Sinn hier ziemlich "allein zu Haus"? Sein deutscher Weg in die Globalisierung ist eigenwillig, aber dennoch wenig plausibel, verwechselt er doch Ursache mit Wirkung und verbiegt sich die Welt vereinfachend so lange, bis sie paßt.

Halten wir einige Fakten fest: Deutschland ist traditionell Exportnation, trotz der damit zwangsweise verbundenen Nettokapitalexporte. Das deutsche Lohnniveau ist immer noch hoch, wenngleich die Löhne in den letzten zehn Jahren nur moderat gestiegen sind. Deutschland ist zuletzt wieder Güterexportweltmeister, aber bei den Dienstleistungen sind wir meilenweit von einem solchen Status entfernt. Während sich der säkulare und internationale Trend in der Beschäftigungsstruktur von der Industrie in die Dienstleistungen auch bei uns fortsetzt, sind neue Jobs bei den Dienstleistungen im Vergleich zum Ausland spärlich. Dazu tragen auch der Sozialstaat und die hohen Tariflöhne bei, die für Geringqualifizerte gelten. Es sind diese Geringqualifizierten, die durch ihre hohe Arbeitslosigkeit zu den Entsorgten der Gesellschaft werden. Ihre Nichtbeschäftigung wird zunehmend zum Mühlstein am Hals der (noch) Beschäftigten.

Produktionstechnologische Veränderungen und die ökonomischen Gesetze der Arbeitsteilung erzwingen weltweit eine Verschiebung der Arbeitsnachfrage zuungunsten der Geringqualifizierten und zum Vorteil der Fachkräfte. Dieser neuere Trend überlagert den schon lange bekannten Handelsprozeß, bei dem sich die wohlfahrtsschaffende Vertiefung der Handelsbeziehungen vor allem zwischen den Industrienationen verstärkt, die immer mehr gleichartige Güter importieren und exportieren. Deshalb ist es nicht überraschend, daß dieser Trend auch die Vorprodukte erfaßt. So importiert die von Sinn geprügelte Automobilindustrie tatsächlich immer mehr Teile. Allerdings ist dies keine Einbahnstraße: Die deutschen Zulieferer für die Automobilunternehmen exportieren mehr Autoteile, als Deutschland importiert. So ist der Basar weltweit! Wieviel Deutschland fährt uns also in ausländischen Wagen entgegen, die wir importieren?

Die Sinn'sche Story vom Basar klammert den bedeutenderen Teil des Handels, der potentiell bedrohend für die heimischen Arbeitsmärkte sein kann, einfach aus. Die Importe werden stark durch Güter dominiert, die mit inländisch produzierten Waren in einer klaren Konkurrenzbeziehung stehen. Werden sie mit billiger ausländischer Arbeit produziert und sind sie deswegen preiswerter, wird so über die Güterkonkurrenz einheimische Arbeit verdrängt. Dies kann im Inland Stagnation auslösen. In vielen internationalen Studien wurde diese Hypothese auf ihre Relevanz zur Erklärung der hohen Arbeitslosigkeit geprüft und verworfen.

Jede Zunahme an Exporten, die auf importierten Vorleistungen oder Fertigwaren beruht, nimmt allerdings von den deutschen Produkten den Konkurrenzdruck, den Importe sonst auslösen können. Auch das läßt es wenig plausibel erscheinen, daß der Sinn'sche Basarprozeß Stagnationswirkungen hat. Tatsächlich zeigt sich, daß die um Rohstoffe, Halbwaren und Nahrungsmittel reduzierten Importe, die Einfuhr von Fertigerzeugnissen, deutlich hinter den Ausfuhren an diesen Waren zurückbleiben und in den letzten Jahren, sicher auch konjunkturbedingt, sogar stagnieren. Dagegen verstärkte sich der Absatz von diesen inländisch produzierten Gütern.

Letztlich müssen also gleichzeitig Niveau- und Strukturveränderungen bei den In- und Exporten gegeneinander abgewogen werden. Es ist richtig, daß vermehrt Teile der Exporte im Ausland produziert werden. Dennoch wird jedes Jahr mehr rein deutsche Wertschöpfung ins Ausland exportiert. Die für die Binnenproduktion schädliche Importkonkurrenz stagniert. Der Außenbeitrag, also die Differenz zwischen Exporten und Importen, ist ein Gesamtindikator, bei dem sich die gemeinsamen Bestandteile von Exporten und Importen aufheben. Auch er signalisiert Entwarnung, denn die Wirtschaftsforschungsinstitute haben gerade in ihrem Herbstgutachten auch für 2005 und 2006 steigende Außenbeiträge prognostiziert.

Nach den Ursachen für die deutsche Stagnation muß deshalb an anderer Stelle weitergesucht werden. Der Exportsektor ist dafür ungeeignet, weil er naturgemäß von den Leistungssektoren dominiert wird, die gute Fachkräfte benötigen und sie auch angemessen bezahlen können. Der deutsche Dienstleistungssektor steht dagegen im Regen. Er ist nicht Weltmeister und stark entwicklungsfähig. Die USA haben einen rabiateren Deindustrialisierungsprozeß hinter sich als Deutschland, nur haben sie ihn besser durch Entwicklung der Dienstleistungen aufgefangen. Relativ hohes Niedriglohnniveau und organisierte soziale Sicherung in Deutschland sind neben manchen Fehlregulierungen die eigentlichen Hemmschwellen für eine angemessene Reaktion auf die Globalisierung. Dies durch Reformen aufzubrechen ist Auftrag an die Politik, anstatt explizit oder implizit zu Handelsprotektionismus aufzurufen.






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