Ablenkung aus der Mottenkiste

Logo
August 06, 2001, Berliner Zeitung

(Gastbeitrag Klaus F. Zimmermann)
 

Es kommt nicht von ungefähr, daß die Überstundendebatte zur Zeit fröhliche Urstände feiert. Die deutsche Wirtschaft hinkt mit etwa 1% Wachstum den Erwartungen hinterher. Selbst eine spürbare Erholung im nächsten Jahr wird die Arbeitslosenzahl im Jahresdurchschnitt 2002 nicht deutlich unter 3,8 Millionen drücken. Mit der Konjunkturschwäche wächst die Ratlosigkeit über den richtigen Kurs der Beschäftigungspolitik. Da erinnert man sich gern beliebter Ablenkungsmanöver und zieht die alten Umverteilungsmodelle aus der Mottenkiste. Was von den neuen, alten Vorschlägen zum Abbau oder gar zum Verbot von Überstunden zu halten ist? Nichts. Sie sind das letzte, was jetzt arbeitsmarktpolitisch gebraucht wird.

Gewiß, jährlich fallen rund 1,8 Milliarden bezahlte Überstunden an.. Diese Größenordnung macht begehrlich. Daraus könnten, so wird behauptet, bis zu 1,1 Millionen Arbeitsplätze geschaffen werden. Und ließe sich diese Zahl nicht leichthändig sogar verdoppeln, indem auch die unbezahlten Überstunden in neue Jobs verwandelt werden?

Das klingt viel zu schön, um auch nur annähernd wahr zu sein. Wer leistet denn die bezahlten Überstunden? Überwiegend sind das geringer Qualifizierte, für die sie meistens ein unentbehrlicher Zusatzverdienst sind. Aber auch in dieser Gruppe werden nur etwa 35% der Überstunden bezahlt, der Rest wird durch Freizeit oder gar nicht ausgeglichen. Das gilt um so mehr für die höher Qualifizierten. Sie erhalten nur für 15% ihrer Überstunden eine Bezahlung. Da die Tarifparteien zunehmend flexible Jahresarbeitszeiten einführen, werden schon heute rund 40% aller Überstunden durch Freizeit ausgeglichen. Die Betriebe nutzen Überstunden primär als kurzfristiges Flexibilisierungsinstrument.

Wer den Überstunden an den Kragen will, riskiert, das Gegenteil des Gewollten zu erreichen. Denn arbeitslos sind vor allem gering qualifizierte Menschen, während qualifizierte Arbeitnehmer händeringend gesucht werden. Wird die Überstunde des Hochqualifizierten gestrichen, ist dafür kaum ein Ersatz zu finden. Geringqualifizierte Arbeit kann die Lücke nicht füllen. Sie wird dann selbst weniger gebraucht, denn mit der Überstunde fällt auch der Bedarf an Zulieferdiensten weg. Letztlich wird auf diese Weise weniger produziert, und auch bisher Beschäftigte werden von Arbeitslosigkeit bedroht. Die Nutzung von Überstunden für die Weiterqualifikation kann da auch nichts mehr retten, denn Weiterbildung ist ebenfalls eine Domäne der Fachkräfte.

Mehr, nicht weniger Flexibilität ist deshalb nötig. Unternehmen wie Gewerkschaften sind gefordert, innovative Arbeitszeit-Modelle zu entwickeln. Die jüngst von VW und BMW vorgeschlagenen Wege zu mehr Beschäftigung kombinieren neue Jobs mit einer Reduzierung der Arbeitskosten und flexibleren Arbeitszeiten. Solche Wege haben Zukunft, allen Widerständen zum Trotz.


Reprinted with permission.

Back