Wie Deutschland wieder Weltmeister wird (Teil 1)

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July 24, 2005, Welt am Sonntag

(Gastbeitrag von Klaus Zumwinkel und Klaus F. Zimmermann)

Die Bundesrepublik ist wie ein Fußballteam, finden Postchef Klaus Zumwinkel und DIW-Präsident Klaus Zimmermann. Wie man sie neu aufstellt, schreiben die beiden in einem Papier, das die "Welt am Sonntag" in zwei Teilen vorstellt.
 

Deutschland war dreimal Fußballweltmeister. Nach dem letzten Titel 1990 allerdings sackte das deutsche Team ab - zuerst unmerklich, später mit empfindlichen Niederlagen und unattraktivem Spiel. Der Vizeweltmeister-Titel 2002 war fast allein dem Torwart Oliver Kahn zu verdanken, dessen großartige Leistung andere Probleme übertünchte.

Parallelen zur deutschen Wirtschaft sind auffällig. Haben wir nicht über Jahrzehnte mit den besten Volkswirtschaften der Welt mitgehalten und sind dann in den 1990er Jahren zuerst unmerklich, dann immer massiver im Wettbewerb zurückgefallen? Auch die deutsche Einheit und die Anschubmaßnahmen in Ostdeutschland haben den Blick für nötige Reformen viel zu lange verstellt.

Die 1990er Jahre waren für die internationale Wettbewerbssituation der deutschen Wirtschaft insgesamt nicht gut. Vieles wurde in der Vereinigungseuphorie falsch gemacht. Die Sondersituation der Einheit hat uns eine Binnenkonjunktur beschert, die wir jetzt ökonomisch in zweierlei Hinsicht teuer bezahlen müssen: Reformen für mehr Wachstum sind ausgeblieben. Und die öffentlichen Haushalte sind hoch verschuldet.

Im Jahr vor der Weltmeisterschaft im eigenen Land gelingt es nun Jürgen Klinsmann, die deutschen Tugenden mit einer international orientierten schnellen Spielweise zu verbinden und dabei Begeisterung beim Publikum zu wecken. Zuletzt hat sich unser Team sehr gut präsentiert, ist sympathisch und weltoffen. Im System Klinsmann wurden alte Zöpfe abgeschnitten und neue Spieler, Methoden und Visionen eingeführt.

Auch dies kann auf die deutsche Wirtschaft übertragen werden: Ganz unabhängig von der politischen Couleur muß die Wirtschaftsstrategie so geändert werden, daß mehr Wachstum entsteht und wir die Lage der öffentlichen Haushalte insbesondere bei den Sozialversicherungen in den Griff bekommen. Entscheidend ist dabei, daß alle Einzelmaßnahmen aufeinander abgestimmt sind.

Die Notwendigkeit einer zusammenhängenden Analyse ist offensichtlich, das vergleichende Bild einer Mannschaftsaufstellung, der "Elf für Deutschland" ist hilfreich: Wir brauchen flexible Arbeit in der Abwehr, ein darauf abgestimmtes Spielsystem von Sozial- und Steuerregelungen, um vor allem über Bildungsanstrengungen aus dem Mittelfeld heraus Dynamik für den Angriff in der globalen Liga zu erzeugen.

Soziale Marktwirtschaft im Tor

Hinten steht unser ordnungspolitischer Torwart, eine an die wirtschaftlichen Gegebenheiten angepaßte soziale Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts. Die Grundabsicherung bleibt sozial, die Solidargemeinschaft steht dafür ein - niemand fällt durch das soziale Netz. Die Ordnungspolitik einer sozialen Marktwirtschaft bedeutet aber auch Wettbewerb, in dem die globale Vernetzung der Volkswirtschaften an nationale Gemeinschaften neue Herausforderungen stellt.

Abwehr muß international bestehen

Zur Abwehr: Unsere Mannschaft spielt mit einer flexiblen Dreierkette vor dem Torwart. Befassen wir uns deshalb mit dem "Libero", der Senkung der Lohnnebenkosten, die mit derzeit über 40 Prozent viel zu hoch sind: Einfache Arbeit ist allein aus diesem Grund schlicht zu teuer, jedoch reichlich vorhanden. Dieses Überangebot ist mitbestimmend für den derzeit hohen Stand der Arbeitslosenzahl. Die niedrigen Löhne sind zu hoch. Vor allem aber ist die Differenz zwischen Brutto- und Nettolohn zu groß, da die Sozialbeiträge (Arbeitslosen-, Renten-, Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge) stetig steigen. Hohe Lohnnebenkosten führen dazu, daß wir in der Abwehr international förmlich überrannt werden.

Die derzeit hohen Lohnnebenkosten, die durch die bestehenden Sozial- und Steuerregelungen entstehen, führen unweigerlich zu immer weniger Arbeit und damit gleichzeitig zu immer weniger beitragspflichtigen Arbeitsplätzen. Die sich umkehrende Alterspyramide sorgt zusätzlich für weitere Ausfälle in den Sozialkassen. Zum Ausgleich müssen also entweder die Leistungsstandards gesenkt werden, oder die Beiträge müssen noch weiter steigen. Das gesamte Regelwerk funktioniert aber nur, wenn die Lohnnebenkosten nicht allein, sondern zusammen mit dem Sozial- und Steuersystem und auf Basis der erwarteten demographischen Entwicklungen (einschließlich der Zuwanderung) und dem Leistungskatalog betrachtet werden.

Arbeit ist zu starr organisiert

Der zweite Aspekt einer starken Abwehr, unsere "Nummer 3", ist die Arbeitszeitflexibilisierung: Wer im internationalen Wettbewerb steht, muß flexibel reagieren können. Die effektive, insbesondere aber die tarifliche Arbeitszeit ist in Deutschland im internationalen Vergleich zu niedrig und vor allem immer noch zu starr organisiert. Effektiv arbeiten deutsche Vollzeitbeschäftigte 41 Arbeitsstunden pro Woche. In Großbritannien sind es 43,8 Stunden.

Das heißt, daß in Deutschland zwar mehr gearbeitet wird als tariflich vereinbart, aber aufgrund der Starrheit keine neuen Arbeitsplätze geschaffen werden. Die für die Unternehmen entstehenden höheren Kosten der Überstunden werden bei gering qualifizierten Arbeitnehmern unweigerlich zu weiterer Arbeitslosigkeit führen, denn entweder wird diese teure Arbeit durch Automatisierung im Inland oder durch Produktionsverlagerungen ins Ausland ersetzt.

Selbst der Versuch der Arbeitszeitreduzierung ohne Lohnausgleich führt in die falsche Richtung. Denn eine reduzierte Wochenarbeitszeit erhöht die Bedeutung der Fixkosten der Arbeit, da die Kosten für die Einrichtung eines Arbeitsplatzes nicht im gleichen Verhältnis wie die Arbeitszeit zurückgehen. Mit anderen Worten: Kürzere Arbeitszeiten gefährden generell die Beschäftigung und behindern die Wertschöpfung der Unternehmen. Allgemeine Arbeitszeitregelungen passen nicht mehr zur Dezentralisierung der Wertschöpfungsprozesse von Unternehmen. Spielräume für Mehrarbeit sind dabei sehr wohl vorhanden. Betriebliche Beispiele zeigen, daß die Wirklichkeit den allgemeinen Vertragsbedingungen schon weit voraus ist, auch wenn der dafür von den Unternehmen zu zahlende Preis im internationalen Vergleich noch zu hoch bleibt.

Vorrang für Betriebsvereinbarungen

Damit kämen wir zur letzten Position in unserer Abwehrkette, der "Nummer 4": Vorrang für Betriebsvereinbarungen. Zu einer schlanken und flexiblen Abwehr gehört, daß man sich direkt miteinander abstimmt. Das bedeutet schlicht und ergreifend, daß man den betrieblichen Belangen Vorrang vor allgemeinen Tarifvereinbarungen einräumen sollte. Die Arbeitnehmervertretung in den Betrieben gehört genauso zur sozialen Marktwirtschaft wie das soziale Sicherungssystem. Sie wird sogar durch die Stärkung der betrieblichen Ebene wichtiger. Wir müssen aber die Verhältnisse umkehren und anders als im heutigen Betriebsverfassungsgesetz einen Tarifvertrag nur dann relevant werden lassen, wenn es keine gültige Betriebsvereinbarung gibt.

Um für den internationalen Wettbewerb vorbereitet zu sein, hat zum Beispiel die Deutsche Post im Juli 2003 mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi einen Beschäftigungspakt geschlossen, der einen längeren und flexibleren Einsatz der Mitarbeiter ermöglicht.

Bis 2008 werden betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen. Im Gegenzug wird dafür auch an Heiligabend und Silvester gearbeitet. Zudem können die Briefträger freiwillig bis zu 48 Stunden statt der tariflich vereinbarten 38,5 Stunden pro Woche arbeiten. Die Mehrarbeit wird mit einer Stundenpauschale abgegolten. Dies ermöglicht den Mitarbeitern einen Zusatzverdienst und führt gleichzeitig zu niedrigeren Kosten für die Post. Es ist für beide vorteilhaft.

Und es wird gut angenommen. Mehr als 30 Prozent der Mitarbeiter im Paketbereich arbeiten drei Stunden pro Woche mehr. In der Briefzustellung nehmen sogar 53 Prozent der Mitarbeiter das Angebot wahr und arbeiten durchschnittlich 1,9 Stunden pro Woche länger. Solche Beispiele müssen Schule machen.


Reprinted with permission.

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