Von Minijobs und den Tricks der Illusionisten. Deutschland braucht beides: Einen funktionierenden Arbeitsmarkt und ein funktionierendes System der sozialen Sicherheit

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March 30, 2003, Der Betriebsberater 14/2003

(Gastbeitrag Hilmar Schneider)
 

Zum ersten April tritt die neue Minijob-Regelung in Kraft. Künftig werden Erwerbseinkommen bis zu einer Grenze von 400 Euro pro Monat von der Steuer- und Abgabenpflicht befreit. Darüber hinaus wird bis zu einer Obergrenze von 800 Euro nur ein reduzierter Beitragssatz zur Sozialversicherung erhoben. Besonders wichtig: Die Befreiung von der Steuer- und Sozialabgabenpflicht wird künftig auch wieder für Minijobs gelten, die als Zweittätigkeit ausgeübt werden. Angesichts der neuen Freigrenzen wird die Ausübung von zwei Minijobs damit zu einer ernsthaften Alternative zum Vollzeitjob.

Als die Neuregelung kurz vor dem Jahreswechsel die parlamentarischen Hürden passierte, gab es kaum einen Kommentator, der sich nicht über die Einigung von Regierung und Opposition in dieser Frage gefreut hätte. Endlich komme doch noch Bewegung in den festgefahrenen Arbeitsmarkt, hieß es. Aber ist das wirklich die Art von Arbeitsmarktreform, die wir brauchen?

Kein Zweifel, die Minijobs werden zu einer Belebung der Arbeitsnachfrage führen. Bei den meisten der jetzt entstehenden Minijobs dürfte es sich jedoch nicht um zusätzliche Jobs handeln, sondern eher um umgewandelte Vollzeit-Jobs. Hier liegt das Problem. Die Belebung des Arbeitsmarktes hat einen hohen Preis. Selbst die Regierung gibt zu, dass sich die Kosten der Neuregelung auf etwa 1 Mrd. Euro belaufen werden. Andere Schätzungen gehen von mehr als doppelt so viel aus. Das sind Kosten, die letztlich anderweitig aus Steuermitteln oder Sozialversicherungsbeiträgen wieder aufgebracht werden müssen. Wieso müssen Reformen eigentlich immer Geld kosten? Es sei daran erinnert, dass sich die Regierung unmittelbar vor der Verabschiedung der Minijob-Regelung noch dazu gezwungen sah, die drohenden Finanzierungslöcher in den Sozialkassen durch drastische Beitragserhöhungen zu stopfen. Wozu dann eine Maßnahme, die ein neues Loch aufreißt? Die Öffentlichkeit lässt sich das auch noch als bedeutsamen Reformschritt verkaufen. Dabei treibt die Politik ein Spiel mit dem Feuer. Sie versucht, den Arbeitsmarkt auf Kosten der Sozialkassen zu sanieren. Den Nutznießern mag das vorläufig egal sein. Auf mittlere Sicht können damit jedoch Kosten entstehen, die alle zu tragen haben und die die gegenwärtigen Vorteile bei weitem übersteigen. Je stärker die geringfügige Beschäftigung ausgebaut wird, desto stärker ruht die Last auf denjenigen, die noch Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen. Die nächste Beitragserhöhung ist somit schon vorprogrammiert und damit die Gefährdung weiterer Arbeitsplätze. Zugleich wächst der Anreiz, sich der Steuer- und Sozialversicherungspflicht zu entziehen. Das System gerät früher oder später ins Rutschen. Bis zum Zusammenbruch ist es dann nur noch ein kleiner Schritt. Das ist nicht anders als beim Balancieren auf einer Wippe. Man kann sich fröhlich der Illusion hingeben, es ginge stetig bergauf. Aber wehe, der Hebelpunkt wird auch nur geringfügig überschritten. Weiß jemand, wo der Hebelpunkt in unserem sozialen Sicherungssystem liegt?

Deutschland braucht beides: Einen funktionierenden Arbeitsmarkt und ein funktionierendes System der sozialen Sicherung. Beides ist möglich. Dazu müssen bei den Sozialkassen endlich marktwirtschaftliche Prinzipien Einzug halten und die Beitragsäquivalenz gestärkt werden. Freilich bedeutet dies für eine ganze Reihe mächtiger Interessengruppen den Abschied von lieb gewordenen Gewohnheiten.

Um nur ein paar Beispiele für Reformoptionen zu nennen: Mehr als 40% der Beitragseinnahmen der Bundesanstalt für Arbeit werden für so genannte aktive Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik verausgabt. Nur ein Bruchteil davon dürfte wirklich dazu beitragen, die Arbeitsmarktchancen der Maßnahmenteilnehmer zu verbessern und wird somit nicht benötigt. Sicher ist zudem, dass zahlreiche dieser Maßnahmen die Gewerkschaften davon abhalten, ihrer arbeitsmarktpolitischen Verantwortung bei den Lohnverhandlungen nachzukommen. Dies gilt etwa für das Instrument der Altersteilzeit, aber auch für Auffanglösungen in Form von Beschäftigungsgesellschaften. In der Kranken- und Pflegeversicherung ließen sich erhebliche Effizienzreserven mobilisieren, wenn Leistungswettbewerb zugelassen würde. Das System der Rentenversicherung schließlich krankt vor allem daran, dass es Beitragszahlern, die nicht in die Erziehung von Kindern investieren, die gleichen Rentenansprüche zugesteht wie denen, die neben dem monetären Beitrag auch noch den Erziehungsbeitrag leisten. Dies wohlgemerkt in einem System, dass angeblich auf einem Generationenvertrag beruht.

Gelänge es, den Beitragssatz zur Sozialversicherung nur um einen Prozentpunkt zu senken, würde dies der Wirtschaft eine Kostenentlastung von mehr als 7 Mrd. Euro einbringen. Dagegen ist die Kostenentlastung bei den Minijobs ein Witz. Vieles spricht dafür, dass weder eine konservative noch eine arbeitnehmerfreundliche Regierung dazu in der Lage ist, solche Reformen im Alleingang durchzusetzen. Erforderlich ist vielmehr ein parteiübergreifendes Bündnis von Regierung und Opposition. Gemessen am reinen Vorgang, könnte die Minijob-Regelung also Vorbildcharakter haben, weil sie tatsächlich als Kompromiss zwischen Regierung und Opposition zustande kam. Gemessen am Inhalt macht sich jedoch Ratlosigkeit breit. Wenn das alles war, was ein Bündnis von Regierung und Opposition zustande bringen kann, wer soll es dann eigentlich noch richten?


Reprinted with permission.

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