Bei Fehlverhalten Bußgelder

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23. Dezember 1999, Wirtschaftswoche, Nr. 52

(Gastbeitrag Klaus F. Zimmermann)

Über neue Wege der Arbeitsmarkt- und Tarifpolitik
 

Optimismus ist derzeit Pflicht in der Konjunkturanalyse: Bundesregierung, Sachverständigenrat und Wirtschaftsforschungsinstitute überbieten sich in ihren günstigen Voraussagen für die wirtschaftliche Entwicklung des Jahres 2000. Die Kür der Wirtschaftspolitik freilich – mögliche Erfolge bei der Arbeitsmarktentwicklung – steht nach wie vor aus. Von der positiven Wirtschaftsentwicklung werden kaum Impulse für den dahindümpelnden Arbeitsmarkt erwartet. In Deutschland springt der Wachstumsfunke auf die Beschäftigung nicht über. 1999 war für den Arbeitsmarkt ein verlorenes Jahr, und 2000 wird, außer leichten demographisch bedingten Verbesserungen nichts bringen. Warum?

Die schlechte Arbeitsmarktlage ist hauptsächlich ein Problem der Geringqualifizierten, viele andere Teilmärkte für Arbeit sind geräumt. Im Zuge einer globalen Veränderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Arbeit, durch den Siegeszug der Informations- und Kommunikationstechnologie sowie aufgrund der Ausweitung von Handel und Kapitalverkehr hat sich die Position der Geringqualifizierten verschlechtert.

Das wird häufig allein als strukturelles Problem, als Frage hoher Lohnkosten angesehen. Mitnichten: Strukturelle Verwerfungen und konjunkturelle Krisen gehen Hand in Hand. Der Arbeitsmarkt reagiert, wie viele der früheren Rezessionen gezeigt haben, unmittelbar auf die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung. Es ist ein weitverbreitetes Vorurteil, daß sich Wirtschaftswachstum und Beschäftigungsentwicklung entkoppelt hätten - das Gegenteil ist der Fall. Ungelernte werden aber von konjunkturellen Verwerfungen stärker erfaßt. Nach jeder Rezession in der Vergangenheit sank die Arbeitslosigkeit nicht mehr auf das alte Niveau, sondern verharrte auf einem neuen, weit höheren Niveau.

Vier theoretische Ansätze lassen sich dafür nennen, die in unterschiedlichem Ausmaß die Arbeitslosigkeit erklären.

  • Kapitalmangelarbeitslosigkeit: Sie wird durch einen negativen Angebotsschock, und den darauf folgenden Abbau des Kapitalstocks erzeugt.
  • Dequalifikation des Humankapitals durch die Arbeitslosigkeit.
  • Arbeitslosigkeit als Selektionsprozeß: In Krisenzeiten selektieren Unternehmer ihre Mitarbeiter nach Qualifikationen und Motivationen.
  • Die Insider-Outsider-Problematik, nach der Arbeitsplatzbesitzer nur an der Sicherung ihrer Einkommenssituation statt an der Ausweitung der Beschäftigung interessiert sind.
Daraus folgt: Die Arbeitsmarktkonsequenzen von Krisen müssen dringend vermieden werden, weil Wirtschaftliche Erholung nicht automatisch aus der Arbeitslosigkeit führt. Die deutsche Tarifautonomie ist für die gegenwärtige Lage wesentlich mitverantwortlich. Das Bündnis für Arbeit ist ein Eingeständnis für ihr Versagen. Daher bedarf die Tarifautonomie dringend einer Einschränkung, und dies ist kein billiger Ruf nach dem allmächtigen Staat. Möglicherweise kann die Verbandsflucht der Unternehmen hier einiges bewirken. Wenn dies die Tarifpartner nicht zur Räson bringt, muß das Fehlverhalten korrigierbar und bestrafbar sein. Tariföffnungsklauseln, das zeigt der Fall Holzmann, sind sinnvoll. Unternehmen könnten gesetzlich zu Arbeitszeitkonten und zu Weiterbildungsmaßnahmen für ihre Mitarbeiter verpflichtet werden. Eine Regulierungsbehörde könnte bei Fehlverhalten in den Verträgen Bußgelder an die Tarifvertragsparteien verteilen. Das wäre noch lange kein Staatsinterventionismus.

Einige der erkennbaren Fehler in der sich abzeichnenden Arbeitsmarkt- und Lohnpolitik sollten auf jeden Fall vermieden werden. Dazu gehört die unsägliche "Rente mit 60" sowie die vorschnelle Absenkung von Arbeitszeiten. Falsch sind auch globale Lohnleitlinien, selbst wenn sie Lohnmäßigung implizieren würden.

Die Arbeitsmarktproblematik trifft nicht alle Arbeitnehmer gleichmäßig. Entsprechend differenziert müssen Politik und Tarifvertragsparteien reagieren. Nicht das allgemeine Lohnniveau ist zu hoch, die Lohnspanne muß sich erhöhen. Durch Steuerentlastungen und Transferleistungen für Familien im Niedriglohnbreich kann dies sozial abgefedert werden. Auch sollten die Lohnzuwächse stärker differenziert und an der Produktivitätsentwicklung orientiert werden. Preissteigerungen, insbesondere solche internationalen Ursprungs, dürfen nicht zu Lohnsteigerungen führen.

Die Arbeitszeitpolitik muß neue Wege gehen. Nicht eine Senkung, sondern eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit muß in den Blick rücken. Angesichts der Veränderungen der Arbeitsabläufe und der Berufswelt kann dies auch ein Stück Lebensqualität darstellen. Schließlich muß die Wochenarbeit flexibilisiert werden. Menschen mit höherer Qualifikation, die gefragt sind, müssen mehr arbeiten dürfen. Teilzeitarbeit muß gefördert werden, insbesondere im Niedrigqualifikationsbereich. In der Tat: Das alles erfordert den Mut zum Umdenken, doch ohne ihn könnte auch das Jahr 2000 zum verlorenen Jahr in der Arbeitsmarktpolitik werden.


Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

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