Eine brummende Jobmaschine ist nicht in Sicht

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13. März 2000, Handelsblatt

(Gastbeitrag Klaus F. Zimmermann)

Trotz guter Aussichten für das Wirtschaftswachstum wird die Arbeitslosigkeit hoch bleiben
 

Seit Jahresbeginn überbieten sich die Prognostiker in ihren günstigen Voraussagen für die diesjährige wirtschaftliche Entwicklung. Fast hat man den Eindruck, daß mit Stimmungen eine Entwicklung herbeigeredet werden soll, auf die seit langem gewartet wird – der beschäftigungspolitische Durchbruch.

Zwar stehen die Prognosen für das Wachstum des deutschen realen Bruttoinlandsprodukts noch bei 2,4 bis 3,0 Prozent. Schon aber schöpft sich weiterer Optimismus aus der besser als zunächst geschätzten wirtschaftlichen Entwicklung im letzten Quartal des 1999. Sie wurde wesentlich von der Exportkonjunktur getragen, der man auch den entscheidenden Einfluß auf die wirtschaftliche "Spritztour" im Jahre 2000 einräumt. Dazu kommen hoffnungsfrohe Meldungen, der gefürchtete Einbruch in der Weltkonjunktur, insbesondere in den USA, sei nun doch nicht zu erwarten. Ist also eine brummende Jobmaschine in Sicht? Oder handelt es sich in Wirklichkeit um eine ökonomische Fata Morgana?

Regierungsgeneigte Stimmen sehen den sich abzeichnenden Rückgang der Arbeitslosenzahl um 200.000 Personen in diesem Jahr als Fingerzeig. Kritiker aus den Reihen der Opposition fordern hingegen eine Konzentration der Arbeitsmarktanalyse auf die - rückläufige - Beschäftigtenzahl. Jede Seite argumentiert mit den Zahlen, die ihre vorgefaßte Meinung scheinbar bestätigen. Das trägt zur Verwirrung einer gutgläubigen Öffentlichkeit bei, ist aber kein Ausdruck hoher Qualität der arbeitsmarktpolitischen Diskussion.

Angesichts der Dominanz von demographischen Faktoren, der Alterung der Gesellschaft, hat ein Rückgang der Arbeitslosenzahlen so wenig mit einem "Erfolg" der Regierungspolitik zu tun wie ein Rückgang der Erwerbstätigenzahl mit einem "Mißerfolg". Die simple Wahrheit ist: Die absoluten Zahlen der Arbeitslosen oder der Beschäftigten sind zwar plakativ, aber wegen der Alterung am Arbeitsmarkt und anderer Entwicklungen grob irreführend. Entscheidend ist letztlich die Arbeitslosenquote.

Diese steigt, wenn die Gesellschaft älter wird. Ältere Arbeitnehmer sind mit einer weitaus höheren Wahrscheinlichkeit arbeitslos als die Jungen. Nimmt die Zahl der Alten im Vergleich mit der Zahl der Jungen zu, dann erhöht sich damit zwingend auch die Arbeitslosenrate. Daran ändert sich nichts, sollte als Folge der demographischen Veränderungen die Arbeitslosenquote der Jungen eher zurückgehen und die der Alten eher steigen. Nichts spricht aufgrund der demographischen Veränderungen also für sinkende Arbeitslosenquoten - im Gegenteil!

Aber auch bei der Arbeitslosenzahl ist auf mittlere Frist kein Durchbruch zu erwarten. In den neuen Ländern sind 1,4 Millionen Menschen arbeitslos. Eine hohe Zahl an Menschen befindet sich jedoch in Weiterbildungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Die Erfahrung zeigt, daß sie im Anschluß nur zu einem geringen Prozentsatz eine Beschäftigung finden. Gegen eine rasche Erholung am ostdeutschen Arbeitsmarkt spricht zudem die dortige schwache Konjunktur. Die Perspektiven in den alten Ländern sind kaum besser, trotz der konjunkturellen Erholung. Selbst wenn die Kapazitäten im Westen voll ausgelastet werden könnten, käme hier nur ein Teil der Arbeitslosen wieder in Beschäftigung. Es bliebe bei einer Arbeitslosigkeit von 2,1 Millionen. Für Gesamtdeutschland müssen wir deshalb zunächst für viele Jahre mit einer hohen Sockelarbeitslosigkeit von bundesweit etwa 3,5 Millionen Menschen rechnen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß es wegen des sich fortsetzenden Strukturwandels zu neuen Beschäftigungsverlusten kommen wird - beispielsweise haben Banken und Versicherungen offensichtliche Rationalisierungsreserven.

Häufig wird Arbeitslosigkeit vorschnell allein als strukturelles Problem oder gar nur als Frage hoher Lohnkosten angesehen. Strukturelle Verwerfungen und konjunkturelle Krisen gehen aber Hand in Hand. Der Arbeitsmarkt reagiert, wie viele der vergangenen Rezessionen gezeigt haben, unmittelbar auf die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung. Die strukturelle Arbeitslosigkeit ist auch konjunkturell bedingt. Dazu steht nicht im Widerspruch, daß die Arbeitslosigkeit in den vergangenen Dekaden nach keiner Rezession mehr auf das vorherige Durschnittsniveau zurückgekehrt ist, sondern auf einem neuen, weit höherem Niveau verharrte.

Zwei zentrale Erklärungen lassen sich für dieses Hysteresis-Phänomen nennen. Arbeitslosigkeit aus Kapitalmangel kann entstehen, wenn mangelnde gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu einem Abbau des Kapitalstocks führt. Auch wenn die Krise vorbei ist, kann dann das alte Beschäftigungsniveau nicht mehr erreicht werden. Die zweite Erklärung verweist auf eine Entwertung des Humankapitals der Arbeitnehmer. Diese fällt um so gravierender aus, je länger die Arbeitslosigkeit dauert und je häufiger sie auftritt. Die Möglichkeiten zur Arbeitsmarktintegration schwinden. Beide Faktoren spielen in Deutschland eine Rolle.

Aus all dem folgt: Eine wirtschaftliche Erholung führt nicht automatisch aus der Arbeitslosigkeit. Es braucht viele Jahre kräftigen Wachstums und guten Willens der Tarifpolitik, um Fehler im Nachfragemanagement auszugleichen.


Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

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