Keine Frage: Die Green-Card-Initiative des Bundeskanzlers ist mutig. Sie bringt Schwung in die Debatte um eine Einwanderung, die sich
an ökonomischen Kriterien orientiert, und bricht so mit den Tabus der deutschen Politik. Endlich werden selbst bei denen Denkverbote
gelockert, die bislang nach Kräften eine durchdachte deutsche Einwanderungspolitik verhindert haben. Es gibt viele Möglichkeiten, eine
solche Politik zu gestalten. Dabei wäre fast alles besser als der gegenwärtige Zustand, bei dem zwar Einwanderung stattfindet, dies aber
weitgehend ungesteuert. Lediglich die Einreise deutschstämmiger Spätaussiedler reguliert der Staat durch Quotierung und Sprachtests. Allerdings greift auch Schröders Initiative viel zu kurz. Mit 20.000 ausländischen IT-Fachleuten allein ist es längst nicht getan - ganz
abgesehen davon, daß mehr als fraglich ist, ob die viel genannten indischen Programmierer einen Aufenthalt in Deutschland, überhaupt
anstreben würden. In den USA, Kanada oder auch Großbritannien finden sie meist attraktivere Bedingungen. Wir werden um die Besten
regelrecht werben müssen - wie es diese Länder schon immer tun. Hohe Steuern und Abgaben, die Konzentration auf temporäre
Migranten und unsere restriktiven Regelungen des Familiennachzugs werden sich dabei als gravierende Wettbewerbsnachteile erweisen.
Zudem wandern Menschen traditionell in Netzwerken - für Deutschland ist dies bestenfalls bei der Zuwanderung von Osteuropäern ein
Vorteil.
Es ist das eine, der privaten Wirtschaft vorzuwerfen, sie habe nicht vorausschauend genug ausgebildet, und sie deshalb im Rahmen der
Green-Card-Initiative in die Pflicht zu nehmen. Auf der anderen Seite fehlen die Arbeitskräfte nicht nur im EDV-Bereich, sondern auch in
vielen anderen Branchen. Durch heimische Arbeitslose kann der Bedarf - und dies ist erschreckend genug - schwerlich gedeckt werden.
Gewiß: einige arbeitslose Informatiker könnten bei professioneller Vermittlung vielleicht in Arbeit gebracht werden. Aber alle Branchen, die
dringend Personal suchen, haben darunter zu leiden, daß es bei vielen Arbeitslosen an der nötigen Qualifikation fehlt.
Das Beispiel der IT-Branche zeigt, wie wichtig die Besetzung hochqualifizierter Arbeitsplätze gerade für die Perspektiven unzureichend
ausgebildeter Arbeitsuchender ist. Im Umfeld eines jeden IT-Arbeitsplatzes entstehen nämlich mehrere Jobs für Zulieferer aller Art. Bliebe
der Arbeitsplatz unbesetzt, litte darunter nicht nur die Produktivität des betroffenen Unternehmens, sondern auch der Arbeitsmarkt
insgesamt. Insofern nehmen ausländische Green-Card-Inhaber in Deutschland keine Arbeitsplätze weg. Vielmehr tragen sie dazu bei, daß
neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
Wird die Politik genug Kraft und Vernunft aufbringen, um der Green-Card-Initiative rasch weitere Schritte folgen zu lassen? Es wäre
Flickschusterei, immer nur einzelne branchenspezifische Kontingente nach den Wünschen der Wirtschaft zu gewähren. Nötig ist statt
dessen ein Zuwanderungsgesetz, das alle Zuwanderergruppen erfaßt und anhand klarer Auswahlkriterien Quoten für dauerhafte
Zuwanderung ausgibt. Am besten wäre ein Punktesystem nach dem Vorbild Kanadas, das Qualitäten, wie Sprachkenntnisse, Alter oder
Ausbildungsstand bewertet. Flexible Mechanismen sollten dabei verhindern, daß es zu Einwanderung über den Bedarf hinaus kommt.
Ändert sich die Situation am Arbeitsmarkt zum Schlechteren, kann die Quote entsprechend niedriger angesetzt werden. Sie könnte somit
auch einmal bei Null liegen. Steigt der Bedarf, sollte die Quote entsprechend wachsen.
Für temporäre Zuwanderungen wäre ein Auktionsmodell die volkswirtschaftlich überzeugendste Lösung, zeitlich begrenzte
Einwanderungsvisa und Arbeitsgenehmigungen würden dabei an Firmen versteigert werden. Das Problemthema Lohndumping käme erst
gar nicht auf, denn Unternehmen müßten für das Anwerberecht bezahlen. Der Markt würde rasch die Segmente identifizieren, in denen
tatsächlich Knappheit vorliegt. Die Erlöse der Auktionen könnten sogar in die Herkunftsländer zurückfließen.
Wenn die Politik es nicht versteht, den offenkundigen Bedarf an ausländischen Arbeitskräften auf sinnvolle Weise zu decken, werden sich
in einer zusehends global vernetzten Wirtschaft andere Wege finden. Produktionsprozesse werden sich weiter ins Ausland verlagern.
"Virtuelle Migration" wird erheblich zunehmen. Vielleicht sind wir eines Tages sogar dankbar sein, wenn Arbeitskräfte aus Fleisch und Blut
nach Deutschland kommen, sich an Konsum, sozialer Sicherung und Steueraufkommen beteiligen, statt mittels des Internets heimische
Arbeitsplätze zu entführen.
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