Ausgerechnet aus Bayern bläst nun der Wind der Veränderung, der die deutsche Zuwanderungsdiskussion zu neuen Ufern treibt. Die von
der Münchner Staatsregierung ins Spiel gebrachte Bluecard erlaubt es Unternehmen, nach einer Verwaltungsanweisung auf Grundlage des
Ausländergesetzes ohne besonderen Visumsantrag ausländische Arbeitnehmer für die IT-Branche anzuwerben. An diesem Vorschlag ist
nicht alles neu. Dennoch ist die Offensive aus Münschen, der sich inzwischen auch Hessen und Niedersachsen angeschlossen haben,
nach der Greencard-Initiative des Bundeskanzlers ein weiterer Quantensprung. Doch müssen Taten folgen. Es wäre bereits ein bemerkenswerter Fortschritt, gelänge die unbürokratische Besetzung offener Stellen mit
ausländischen Bewerbern. Bislang restriktiv gehandhabte Klauseln wie die des "öffentlichen Interesses" sollten zeitgemäß angewandt
werden. Es liegt im öffentlichen Interesse, wenn Arbeitsplätze, die andernfalls nicht adäquat besetzt werden könnten, in einem
transparenten Verfahren an Zuwanderer vergeben werden. Es liegt auch im deutschen Interesse, wenn eine solche Regelung nicht beim
IT-Sektor haltmacht, sondern auch für andere Wirtschaftszweige Geltung erlangt. Und es liegt ebenso im Interesse unserer Gesellschaft,
wenn auch Familienangehörige von Beginn an einreisen dürfen. Die soziale Integration darf bei der Abwägung legitimer ökonomischer
Belange nicht außer Acht gelassen werden.
Ein Verfahren zur Regelung der Zuwanderung muß jedoch mehr leisten, als es Greencard und Bluecard. Es muß klare Spielregeln
enthalten. Es muß verläßliche Quoten und Obergrenzen für die Immigration festsetzen, ein Auswahlsystem anhand ökonomischer und
sozialer Kriterien etablieren und den potentiellen Mißbrauch von Sozialhilfe durch Übergangsregelungen ausschalten. Und: Nachdem
Jahrzehntelang hieß, deutschland sei kein Einwanderungsland, muß der Öffentlichkeit gesagt werden, wie Notwendig Zuwanderung schon
mit Rücksicht auf unser Alterssicherungssystem ist. In den Heimatländern der Zuwanderungsbewerber wiederum sollte nicht der Eindruck
entstehen, als gebe es inzwischen neben einer Einreisemöglichkeit nach Deutschland eine zusätzliche Option der Zuwanderung nach
Bayern oder Hessen (wann übrigens kommt die Yellowcard aus Brandenburg oder die Fun Card aus Schleswig-Holstein?). Auf eine
einheitliche EU-Regelung warten hieße, zu viel Zeit zu verlieren. Als Hauptzuwanderungsland Europas sollten wir die Spielregeln bald
gestalten, bevor die Europäische Kommission uns die Eckpfeiler setzt.
Dabei sollten alle Migrationsfragen in einem Gesamtkonzept gelöst werden. Selbstverständlich kann die Asylgewährung dabei nicht völlig
außen vor bleiben, und natürlich muß auch der Aussiedlerzuzug integriert werden. Letzterer ist Muster für ein deutsches
Zuwanderungsgesetz, denn er bemißt sich seit Jahren bereits anhand von Quoten und Auswahlkriterien. Anspruchsrechte auf Einreise
lassen sich ohne weiteres mit einer Festsetzung jährlicher Höchstzahlen kombinieren.
Ökonomisch ist es ratsam, eindeutig zwischen dauerhafter und befristeter Zuwanderung zu unterscheiden. Die unbefristete Zuwanderung
sollte im Rahmen eines Zuwanderungs- und Integrationsgesetzes erfolgen, das neben den Einreisemodalitäten auch ein handfestes
Integrationsangebot bis hin zur raschen Einbürgerung umfassen muß. Für die temporäre Migration dagegen bietet sich ein mutiger Schritt
an, der gar nicht einmal sehr weit vom Windhund-Prinzip der grünen und blauen Karten entfernt ist. Wer glaubt, daß die Arbeitsverwaltung
am besten über den Bedarf am Arbeitsmarkt informiert ist? Warum sollten Firmen nicht an staatlichen Auktionen teilnehmen, bei denen
sie durch entsprechende Bietsummen das Recht ersteigern, sich auf dem Weltmarkt die fehlenden Arbeitskräfte zu suchen? Das wäre
eine saubere Marktlösung und würde obendrein zu staatlichen Einnahmen führen, die in die dringend benötigte Aufwertung unseres
Bildungs- und Ausbildungssystems fließen könnten.
Die Malaise unseres Arbeitsmarktes geht auch auf Fehler in der Ausbildung zurück. Wir werden erleben, daß sich die Besten keineswegs
für die Greencard- oder Bluecard-Offerte entscheiden werden, sondern ungleich attraktivere Bedingungen etwa in den USA vorziehen. Auch
die internationale Attraktivität unserer Hochschulen läßt zu wünschen übrig. Sie müssen dringend in die Ausbildung ausländischer
Studierender und Doktoranden investieren. Deutschland muß umdenken und um das benötigte Humankapital werben. Oder sollte es
einfacher sein, eine Fußball-Weltmeisterschaft nach Deutschland zu holen, als Menschen, die ihre Fähigkeiten dafür einsetzen, die
Zukunft des Standortes Deutschland zu sichern?
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