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Dass man "die Fluchtursachen beseitigen"
müsse, gehört zu den populärsten Gewissheiten
nationaler und internationaler Politik.
Krisenprävention und die Hoffnung auf
Konfliktbewältigung etwa in Syrien und im
Irak gehören zu diesem Konzept. Aber das
Hauptaugenmerk liegt auf wirtschaftlicher
Zusammenarbeit mit jenen Staaten im Nahen
Osten und in Afrika, aus denen Millionen
Menschen in Richtung Europa drängen.
"Wenn es in Afrika zu viel Hoffnungslosigkeit
gibt, gibt es natürlich junge Menschen,
die sagen, wir müssen uns woanders auf der
Welt ein Leben suchen", sagt Bundeskanzlerin
Angela Merkel (CDU). Die große
Koalition verspricht: "Wir wollen Fluchtursachen
bekämpfen, nicht die Flüchtlinge."
In den Wahlprogrammen von AfD, FDP,
Linker und Grünen finden sich ähnliche Formulierungen,
die im Übrigen geteilt werden
vom österreichischen Kanzler Sebastian
Kurz, der britischen Entwicklungsministerin
Priti Patel, der EU-Kommission und dem
US-Außenministerium. Entwicklungsminister
Gerd Müller (CSU) warnt denn auch:
"Wenn wir die Entwicklungshilfe kürzen,
werden wir hier sehr bald viel mehr Flüchtlinge
haben."
Wissenschaftler allerdings kommen zu einer
gegenteiligen Erkenntnis. "Typischerweise
führt Entwicklungshilfe zu einem Anstieg
der Migration", sagt der US-Wirtschaftswissenschaftler
Michael A. Clemens,
Autor einer aktuellen Studie des Bonner
Instituts zur Zukunft der Arbeit
(IZA), im Gespräch mit WELT. Clemens,
der beim Center for Global Development in
Washington arbeitet, schreibt in seinem 27-
seitigen Papier über "Deterring Emigration
with Foreign Aid: An Overview of Evidence
from Low-Income Countries" ("Mit
Entwicklungshilfe von Auswanderung abschrecken:
Eine Übersicht über Befunde
aus Niedriglohnländern"), Hilfe durch Entwicklungszusammenarbeit
könne "wirtschaftliches
Wachstum, Beschäftigung und
Sicherheit nur bis zu einer bestimmten
Grenze stärken". Bislang habe "eine erfolgreiche
Entwicklung in fast allen zuvor armen
Ländern zu einer steigenden Auswanderung
geführt". Wirtschaftliche Entwicklung
führe auch zur Steigerung der Zahl
von Asylsuchenden aus den entsprechenden
Ländern.
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