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Eine ältere Frau ruft an. Sie beklagt
sich: Beim Besuch ihrer Verwandten in Pirmasens
sei ihr aufgefallen, wie die altbekannte
Schuh-Stadt durch den Rückzug der
Schuhindustrie gelitten hat. Die Schuhe
würden jetzt in Asien hergestellt. Das sei
doch schlimm. Gibt es ein breites Unverständnis
in der Bevölkerung gegenüber neuen
Techniken und neuen wirtschaftlichen
Entwicklungen, die damit zusammen hängen?
Schneider: Natürlich. Dieser Unwille ist so
alt wie die Menschheit. Technischen Fortschritt
hat es immer gegeben. Menschen
sind ständig auf der Suche nach Möglichkeiten,
sich von dem schweren Los der Arbeit
zu befreien und sind dabei sehr erfinderisch.
Andere sehen sich dadurch bedroht,
fürchten, die Einkommensgrundlage
zu verlieren und hätten gerne, dass es bleibt
wie früher.
Solche Konflikte sind nicht immer friedlich
abgegangen...
Fahren Sie mal an die Ahrmündung. Dort
steht das Böllerdenkmal. Die sogenannten
Rheinhalfen haben im 19. Jahrhundert einen
richtigen Krieg gegen die Haniels und
Stinnes und ihre Dampfschiffe geführt, die
ihnen die Arbeit wegzunehmen drohten.
Aber in solchen Situationen taucht oft eine
verschobene Wahrnehmung auf. Wir sehen,
dass Dinge, die lange Bestand hatten, von
einem auf den anderen Tag verschwinden.
Das ist immer spektakulär. Wir sehen nicht,
was an dessen Stelle tritt, weil es sich oft in
kleinen Schritten vollzieht. Dabei können
wir sicher sein: Auch wenn immer alte
Techniken und damit alte Berufe spektakulär
verschwinden, hat das unter dem Strich
bis heute nicht dazu geführt, dass den Menschen
die Arbeit ausgegangen ist. Im Gegenteil.
Ist es nicht so, dass gerade die digitale
Technik viele auch verschreckt?
Wenn wir unterstellen, dass die Digitalisierung
zur Schaffung von Maschinen mit künstlicher
Intelligenz führt und damit auch
zum Ersatz des Menschen, dann würde das
auch mich beunruhigen. Davon sind wir
aber noch meilenweit entfernt. Entgegen
dem ganzen Geschwafel von angeblich
künstlicher Intelligenz haben wir es bei der
gegenwärtigen Digitalisierungsphase lediglich
mit Vereinfachungsprozessen durch
fest programmierbare Abläufe zu tun. Dass
ein staubsaugender Roboter Stellen meidet,
an denen er schon mal angestoßen ist? Na
ja, das ist ja kein Ausweis künstlicher Intelligenz.
Das ist nicht seine eigene Entscheidung,
am nächsten Tag dort rechtzeitig stehen
zu bleiben. Das ist ein Verhalten, das
der Phantasie des Programmierers entsprungen
ist.
Wo werden besonders viele Jobs durch die
Digitalisierung verloren gehen?
Derzeit scheint es erstmals bestimmte Bereiche
des Dienstleistungsgewerbes zu betreffen.
Da wo Entscheidungen nach schematischen
Regeln getroffen werden, etwa bei
der Kreditvergabe oder dem Abschluss von
Versicherungsverträgen. Alle Prozesse, die
nach beschreibbaren Regeln ablaufen, können
von Maschinen übernommen werden.
In dieser Hinsicht unterscheidet sich das,
was sich heute im Bankgewerbe vollzieht
nicht von dem was in früheren Zeiten bei
den Textilarbeitern und den Druckern passiert
ist oder vor mehr als 100 Jahren bei
den Treidelknechten, die am Rhein entlang
gezogen sind. Es war alles schon einmal da.
Könnte man sagen: Ingenieure und Altenpfleger
haben eine glänzende Zukunft, Mitarbeiter
öffentlicher Verkehrsbetriebe, die
durch fahrerlose U-Bahnen ersetzt werden,
und Verkäufer dagegen nicht?
Ihrer ersten Aussage stimme ich sofort zu.
Bei den Verkäufern mache ich eine wesentliche
Einschränkung. Natürlich kaufen wir
mehr im Internet. Aber das ersetzt nicht
eine gute Beratung und auch nicht das Gespräch,
der Kontakt von Menschen mit Menschen
ist unabdingbar. Wir alle wollen
nicht einsam sein, und gerade ältere Leute
brauchen das Gespräch. Die blecherne
Stimme des Sprachcomputers am Telefon
wird zu Recht nicht akzeptiert. Unterm
Strich könnten wir sagen: Durch die derzeitige
Entwicklung werden wir auf das kreative
Schaffen und die soziale Interaktion
zurückgeworfen. Das sind die Dinge, die
wir besonders gut können. Das ist deswegen
auch keine Bedrohung, sondern eine
Chance.
Sie haben gesagt: Gerade die sozialen Dienstleistungen
haben eine große Zukunft.
Wenn wir uns aber zum Beispiel Pflegelöhne
anschauen, sieht das überhaupt nicht
danach aus...
Die sind oft katastrophal niedrig. Aber ich
bin sicher, dass sich das in Zukunft ändern
wird.
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