Die Risiken sind gewaltig

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28. Mai 2016, Kölner Stadt-Anzeiger

(Interview mit Hilmar Schneider zum bedingunglosen Grundeinkommen)
 

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Professor Schneider, 1000 Euro monatlich für jeden und alle anderen Sozialausgaben fallen weg. Hört sich das nicht gut an?

Wenn wir uns das leisten könnten, spräche gar nichts dagegen. Das können wir aber leider nicht, denn der Finanzierungsbedarf wäre gigantisch. Der ehemalige thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus hat ja seinerzeit ein solidarisches Bürgergeld von 600 Euro netto vorgeschlagen. Wir haben damals mal ausgerechnet, was das bedeuten würde. Schon die Umsetzung dieses Vorschlags hätte Mehrkosten von 200 Milliarden Euro nach sich gezogen - positive Anreize auf die Arbeitsaufnahme und weitere Steuereinnahmen schon eingerechnet.

Mal angenommen, es ließe sich finanzieren. Was wären die Folgen?

Die Risiken, die damit verbunden sind, sind gewaltig. Zum einen würde das einen beachtlichen Zuwanderungsdruck erzeugen. Zum anderen hätte das Grundeinkommen Preiseffekte zur Folge, die vorher kaum abschätzbar sind. Leute, die aufgrund ihrer Qualifikation heute keine andere Wahl haben, als beispielsweise Klos zu putzen, könnten bei einem bedingungslosen Grundeinkommen viel wählerischer sein. Den Kloputzer-Job wird dann nur noch jemand machen, wenn es entweder richtig Spaß macht oder das Lohnniveau entsprechend steigt und damit der Preis für solche Leistungen. Solche Effekte konnten wir in unseren Simulationen aufgrund fehlender Informationen gar nicht berücksichtigen. Aber es ist davon auszugehen, dass massive Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt auftreten.

Welche wären das?

Entweder wandern unbeliebte Jobs komplett in die Schwarzarbeit oder die Unternehmen müssen höhere Löhne zahlen. Im oberen Einkommenssegment wird das so gut wie keine Auswirkungen haben, im unteren aber zwangsläufig, weil niemand mehr gezwungen ist, aus Existenzgründen einen Job anzunehmen, den sonst keiner machen will. Jeder könnte sich den Tätigkeiten widmen, die er gerne macht. Man kann dann auch davon leben, dass man Bilder malt. Schön und gut. Aber wenn sich die höheren Löhne für einfache Jobs am Markt nicht durchsetzen lassen, führt das zwangsläufig zu volkswirtschaftlichen Effizienzverlusten und damit Wohlstandsrückgang. Statt ihre Zeit in vollem Umfang den Dingen zu widmen, die sie gut können, werden viele Menschen gezwungen sein, einen Teil dieser Zeit mit Hausarbeit und Dingen zu verbringen, die sie heute von anderen erledigen lassen. Diese ganzen Risiken werden übrigens verhindern, dass das bedingungslose Grundeinkommen jemals eingeführt wird.

Die Schweizer stimmen bald über das Grundeinkommen ab. Ausgeschlossen ist es also nicht.

Es ist ja nicht verboten, so etwas zur Abstimmung zu stellen, aber gerade weil in der Schweiz das Volk zur Abstimmung aufgerufen ist, muss es sich auch der Verantwortung für die Konsequenzen aus seiner Entscheidung stellen. Das führt in aller Regel dazu, dass Optionen, die mit hohen Risiken behaftet sind, eher abgelehnt werden.

Es gibt eine Vorstudie zum Schweizer Modell. Derzufolge soll das Grundeinkommen finanzierbar sein, weil es vom Einkommen abgezogen wird. Was sagen Sie dazu?

Die Befürworter des Schweizer Modells argumentieren hochgradig unseriös. Die Kosten werden künstlich klein gerechnet, unter anderem indem der Teil eines Arbeitnehmergehalts, der in der Höhe dem BGE entspricht zum BGE umdefiniert wird. Dass dieser Gehaltsanteil keineswegs bedingungslos gezahlt wird, sondern an die Erbringung der vertraglich vereinbarten Arbeitsleistung gekoppelt ist, wird schlicht ignoriert. Das fällt für mich in die Kategorie Volksverdummung. Deshalb hat dieser Vorstoß keine Chance.

Über "Mein Grundeinkommen" wurden bereits einige Grundeinkommen finanziert. Das scheint sehr gut zu funktionieren, die meisten Gewinner arbeiten weiterhin.

Das Projekt wurde über sogenanntes Crowdfunding finanziert, das heißt, die Finanzierung kam von externer Seite. Solange Geld von außen in das System reingepumpt wird, funktioniert es immer, aber das ist ja nicht nachhaltig. Das System muss auch dann funktionieren, wenn es in sich geschlossen ist. Wer glaubt, das sei machbar, hat alle Karten in der Hand, um die Welt davon zu überzeugen. Er soll sich Gleichgesinnte suchen, die sich gemeinsam darauf verpflichten, das bedingungslose Grundeinkommen untereinander zu praktizieren. Wenn das funktionierte, wäre das der überzeugendste Beweis überhaupt. Solange der nicht existiert, müssen wir uns auf die Mathematik verlassen, und deren Resultate stimmen eher skeptisch.

Überzeugen Sie mich davon, dass es nicht machbar wäre.

Das BGE beruht im Wesentlichen auf einem Linke-Tasche-rechte-Tasche-Prinzip. Sie bekommen Geld vom Staat, das Sie vorher als Steuer gezahlt haben. Würde man das Schweizer Modell auf Deutschland übertragen, würde das einem Umverteilungsbedarf von knapp 1,8 Billionen Euro pro Jahr entsprechen. Zum Vergleich: Das BIP in Deutschland betrug 2015 drei Billionen Euro. Angesichts solcher Größenordnungen und den angesprochenen Risiken erübrigt sich jede weitere Debatte.

Befürworter des Grundeinkommens argumentieren, dass es aufgrund der Technisierung und des demografischen Wandels in Zukunft nicht mehr genug Jobs für alle geben wird.

Das ist ein nicht totzukriegendes Argument, auch wenn es jeder empirischen Grundlage entbehrt. Wir sind einem Strukturwandel ausgesetzt, aber das ist ja nicht Neues. Das ist so alt wie die Menschheit, aber die Arbeit als solche ist nie weniger geworden. Schon zu Zeiten der industriellen Revolution vor fast 200 Jahren gab es Utopisten, die das baldige Ende der Arbeit vor sich sahen. Die Arbeit ist aber nicht weniger geworden, sie ist nur anders geworden.

Wie sollen wir dem aktuellen Strukturwandel denn dann begegnen?

Wenn wir Dinge effizienter erledigen als vorher, werden Ressourcen frei. Die können wir dann auf Aktivitäten verwenden, für die wir vorher gar keine Zeit hatten. Früher waren die Menschen viel unmittelbarer mit dem Existenzkampf beschäftigt. Heute ist der Marktwert von intellektuellen Tätigkeiten enorm gestiegen, weil wir die Möglichkeit haben, uns mit Themen zu beschäftigen die es früher einfach gar nicht gab. Mit jeder Freisetzung von Ressourcen sorgt die menschliche Fantasie dafür, dass wir plötzlich Dinge machen, auf die wir früher keinen Gedanken verschwendet haben. Und offenbar entsteht dafür auch ein Markt und damit wieder neue Einkommensmöglichkeiten. Die Herausforderung besteht nur darin, Menschen darin zu unterstützen, in diesem Strukturwandel zu bestehen.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE JASMIN KRSTESKI.

Prof. Hilmar Schneider ist Direktor für Arbeitsmarktpolitik am Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit.


Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

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