Europa darf keine Festung mehr sein

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23. April 2015, Westdeutsche Zeitung

(Gastbeitrag von Klaus F. Zimmermann)

Gastbeitrag Jenseits von Afrika: Warum die EU einen anderen Umgang mit Flüchtlingen braucht. Die Abschottungspolitik ist gescheitert.
 

Viele tausende Menschen, vor allem aus Nordafrika und dem Nahen Osten, haben in den letzten Jahrzehnten an den EU-Außengrenzen ihr Leben verloren. Angesichts der vielen Bürgerkriege, Krisen und Katastrophen muss sich Europa auf sehr langfristige Herausforderungen einstellen. Überzeugende Konzepte fehlen bislang. Jetzt will die in der Asylpolitik völlig zerstrittene europäische Staatengemeinschaft versuchen, endlich zu einer gemeinsamen Strategie zu finden. Die bisherigen Ansätze haben die Menschen weder von der Flucht nach Europa abhalten können noch ist bisher eine angemessene, verantwortungsbewusste Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU gelungen.

Viele Flüchtlinge bringen gute berufliche Qualifikationen mit

Im Mittelpunkt einer nachhaltigen Lösung muss die Überzeugung stehen: Europa darf nicht länger als abweisende Festung wahrgenommen werden. Die bisherige Abschottungspolitik ist jedenfalls humanitär, gesellschaftspolitisch, ökonomisch und demografisch gescheitert. Jetzt brauchen wir eine europaweite Zuwanderungspolitik, die auch die Potenziale von Flüchtlingen und Asylsuchenden anerkennt. Ein beachtlicher Teil der Flüchtlinge bringt nämlich gute berufliche Qualifikationen mit, die gerade auch in Deutschland gebraucht werden. Ein großer Teil dieser Menschen ist nicht nur jung, sondern auch überdurchschnittlich motiviert. Viele von ihnen sind "hochmobil, flexibel, mehrsprachig, leistungs- und risikobereit", wie es Bundespräsident Joachim Gauck erst kürzlich formuliert hat.

Mehr Zuwanderung könnte helfen, den Lebensstandard zu sichern

Diese Flüchtlinge suchen ihr Lebensglück zu einem Zeitpunkt bei uns, da Europa immer älter wird. Auch wird die Arbeitsbevölkerung in den EU-Mitgliedsstaaten in den nächsten Jahrzehnten erheblich schrumpfen. In Europa werden also nicht nur die Arbeitnehmer knapp, auch die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme wird immer schwieriger. Dies bedroht unseren Lebensstandard direkt. Mehr Zuwanderung könnte mithelfen, dies zu vermeiden. Ein erster Schritt ist, dass sich auch Flüchtlinge und Asylanten, die schon im Lande leben, entsprechend ihren Fähigkeiten unbürokratisch um eine Arbeitserlaubnis neben ihrem Anerkennungsverfahren bewerben können. So können die Migranten selbst zu ihrem Lebensunterhalt beitragen, sich weiter qualifizieren, statt zur Untätigkeit gezwungen zu werden. Flüchtling ist schließlich kein Beruf, sondern eine Notsituation. Dies stärkt ihre Akzeptanz in der deutschen Gesellschaft wie das Selbstbewusstsein der Zuwanderer.

Junge Asylbewerber sollten mindestens für die Dauer ihrer Berufsausbildung einen gesicherten Aufenthaltsstatus erhalten. Und wer nach erfolgreich abgeschlossener Lehre eine Arbeitsplatzzusage bekommt, sollte zumindest für einige Jahre bleiben können, wenn das Unternehmen ihn braucht.

Europa braucht, will es den Wohlstand seiner Einwohner sichern, nicht etwa weniger Zuwanderung, wohl aber eine bessere Steuerung des Zuzugs und zugleich eine besser abgestimmte und moderne Asyl- und Flüchtlingspolitik. Wenn die künftige Asyl- und Migrationspolitik auf diesen Erkenntnissen aufbaut, wird aus einem Akt der Menschlichkeit zugleich eine Chance. Und zwar für beide Seiten. Das Gebot humanitärer Verantwortung verbindet sich mit ökonomischer Vernunft.


Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

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