Herr Zimmermann, die aktuellen Schlagzeilen
machen ratlos: Es ist die Rede von einem
Job-Boom. Angeblich hatten noch nie so
viele Menschen in Deutschland Arbeit wie
heute. Gleichzeitig ist die Arbeitslosigkeit wieder
gestiegen. Was ist denn jetzt los?
Wir sehen eine zunehmende Spaltung: Einerseits
wird es für Langzeitarbeitslose immer schwieriger,
einen Job zu finden, weil die Unternehmen
infolge der technologischen Entwicklung immer
weniger Menschen mit einfachen oder entwerteten
Qualifikationen brauchen. Andererseits gibt
es zu wenige Hochqualifizierte. Für Uni-Absolventen
sieht es also sehr gut aus. In den vergangenen
Jahren hatten wir zum Glück eine durchgehende
Erholung auf dem Arbeitsmarkt. Die
Wirtschaftskrise hat diese Entwicklung nur für
kurze Zeit gestört.
Was ist daran neu? Nach offiziellen Statistiken
herrscht unter Akademikern seit Jahren
Vollbeschäftigung.
Das ist trügerisch: Von Vollbeschäftigung sprechen
wir heute schon bei weniger als vier Prozent
Arbeitslosigkeit. Viele Menschen finden
aber immer noch keine Arbeit. Der formale Abschluss
tut nicht viel zur Sache - es sind vor allem
die Hochschulabsolventen erfolgreich, die
ihre Talente, Neigungen und ihre Ausbildung
mit der Bereitschaft verknüpfen, ihre Chancen
zu nutzen: Wenn sie bereit sind, sich um Praktika
zu kümmern und die Kontakte aus dieser Zeit
zu pflegen. Oder wenn sie für einen Job auch in
eine andere Stadt ziehen würden. Das zahlt sich
aus.
Noch ein Widerspruch zu den guten Aussichten,
von denen Sie sprechen: Jeder dritte Berufseinsteiger
in Deutschland arbeitet in Teilzeit oder in einem befristeten Job.
Nein, da gibt es keinen Zusammenhang. Die Bereitschaft
von Berufseinsteigern, sich erst einmal
umzuschauen und von Arbeitgebern kritisch beäugt
zu werden, wird auch bei einer guten Lage
auf dem Arbeitsmarkt eher noch zunehmen. Unternehmen
sind vorsichtiger geworden, was Festanstellungen
angeht.
Eigentlich müssten die Unternehmen sich
doch um Uni-Absolventen reißen. Oder ist
der Fachkräftemangel nur eine Worthülse?
Man muss mit dem Begriff aufpassen. Es sind nicht immer gut bezahlte Hochschulabsolventen damit gemeint. Denken Sie an die Pflegeberufe, wo der Fachkräftemangel schon heute eklatant ist. Akademiker fehlen vor allem in den sogenannten
Mint-Berufen, also in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, was aber auch oft dramatisiert wird. Die Studienbereitschaft in diesen Fächern hat ja zugenommen. Und nicht jeder, der heute Ingenieur wird, hat gleichzeitig exzellente Berufsaussichten. Wie gesagt, es geht um den inneren Antrieb, etwas zu leisten. Das kann dann auch mal bedeuten, umzuziehen oder Überstunden zu machen.
Von der Euro-Krise ist Deutschland wohl weitestgehend
verschont geblieben. Geht von den Schulden- und Bankenproblemen unserer Nachbarländer keine Gefahr mehr aus?
Unser Arbeitsmarkt ist nur mittelbar betroffen.
Weil aber ein Großteil unserer Exporte nach Europa
geht, kann die Krise der anderen Länder
uns treffen - bislang blieben wir aber verschont.
Ich sehe die Euro-Krise als Chance, dass sich
die Partnerländer wirtschaftlich neu aufstellen.
Dazu gehört, dass das Bankensystem gut reguliert
wird. Gelingt das, wird der Euro wieder
stark.
Darauf warten nicht alle: In Südeuropa gibt
es für hoch qualifizierte Absolventen viel zu
wenige Jobs - müssen deutsche Absolventen
mit Konkurrenz aus dem Süden rechnen?
Ja. Die EU will, dass die Arbeitsmärkte stärker
zusammenwachsen und die Probleme der einen
auch die Chancen der anderen sind. Trotz der hohen
Arbeitslosenraten und der Lohnunterschiede
ist ein Massenansturm der Hochqualifizierten
aus Südeuropa bislang aber ausgeblieben.
Einige argumentieren, die Zuwanderung reiche
nicht aus, um den demografischen Wandel
aufzufangen. Wird es in den kommenden
Jahrzehnten sowieso genügend Jobs geben?
Das ist richtig. Künftig gilt noch mehr: Je höher
qualifiziert, desto geringer ist das Risiko, arbeitslos
zu werden. Das stimmt aber auch in Zukunft
nicht für jeden. Es wird auch weiterhin arbeitslose
Technik-Spezialisten und Pianisten ohne Engagement
geben. Nicht alles lässt sich mit Demografie
lösen.
Arbeitsmarktforscher nennen es "Arbeitnehmermarkt",
wenn Hochqualifizierte knapp
werden und deshalb mehr Verhandlungsmacht
haben. Ist das für Frauen eine Chance,
bessere Konditionen zu verhandeln?
Kein Unternehmen kann mehr auf Frauenförderung
verzichten. Die sehr stark gewordene Leistungskraft
von Frauen, die sich in Schulen und
Universitäten zeigt, wird sich auch auf dem Arbeitsmarkt
niederschlagen. Der zunehmende
Mangel an Humankapital verstärkt diese Entwicklung
noch. Das wird in diesem Jahr noch
nicht die große Rolle spielen, in zehn Jahren
aber schon eher.
In welchen Fächern haben Absolventen die
besten Aussichten?
Diese Zusammenhänge ändern sich nicht so
schnell: Im technischen Bereich gibt es immer
noch die besten Perspektiven, auch das Gesundheitswesen
ist ein vielversprechender Sektor. In
den Medienberufen, den Geistes- und Sozialwissenschaften
sieht es dagegen eher schwierig aus.
Wie sind die Chancen für Geisteswissenschaftler
in der freien Wirtschaft, etwa als
Philosoph in einer Unternehmensberatung?
Für einen solchen Lebenslauf muss man bereit
sein, fachfremd zu arbeiten - was sinnvoll ist.
Man sollte ein Studium auch als allgemeines
Training für das Leben begreifen. Eine stark spezialisierte
Ausbildung ist in unserer schnelllebigen
Zeit rasch verflogen.
Klaus F. Zimmermann, 61, ist Arbeitsmarktexperte
und Direktor des Bonner Instituts zur Zukunft
der Arbeit
Interview: Jan Willmroth
Aus: [ZEIT Campus 02/2014]
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