Die Folgen von Fremdenfeindlichkeit und Gewalttaten gegen Ausländer erfassen auch die Wirtschaft. Anderes zu erwarten wäre naiv.
Allein die volkswirtschaftlichen Ressourcen sind immens, die durch Beobachtung und Bekämpfung, Strafverfolgung, Rechtsprechung und
Strafvollzug, Aufklärungskampagnen und Sozialarbeit gebunden sind. Die Gefahr des Imageverlustes, von der die Wirtschaftsverbände
sprechen, ist nicht von der Hand zu weisen. Genaue Bewertungen dazu gibt es allerdings nicht. Niemand kann genau sagen, wie groß der eingetretene Flurschaden tatsächlich ist.
Nach dem gegenwärtigen Stand ist nicht einmal davon auszugehen, dass das Interesse ausländischer Investoren am Standort
Deutschland hiervon entscheidend beeinflusst worden wäre. Die Auslandsdirektinvestitionen jedenfalls sind in den letzten Jahren
kontinuierlich angestiegen, von 188 Milliarden 1991 auf 275 Milliarden 1997. Davon hat gerade auch Ostdeutschland in hohem Maße
profitiert.
Bei Entscheidungen größerer Investoren für oder gegen den Standort Deutschland spielen andere Faktoren - wie strukturelle Bedingungen,
steuerliche Regelungen und Investitionsanreize oder aber die Verfügbarkeit qualifizierten Personals und die politische Berechenbarkeit -
sicherlich eine gewichtigere Rolle. Das Beispiel des japanischen Automobilbauers Toyota, der nach anfänglichen Investitionsplanungen für
einen Standort in Brandenburg letztlich in Sachsen investiert hat und dies nicht zuletzt mit der Gewalt gegen Ausländer in Brandenburg
begründet hat, ist wohl eher atypisch. Einzelne Umfrageergebnisse, wonach Investoren ihr Interesse von Ost nach Westdeutschland
verlagert hätten, scheinen ebenfalls keine allgemeine Tendenz zu belegen.
Aber wer sich wie der sprichwörtliche indische Programmierer den Luxus erlauben kann, zu wählen, wo er seine begehrte Arbeitskraft
anbietet, der wird neben den rationalen Argumenten ohne Frage auch emotionale Aspekte gewichten. Insofern können Nachrichten über
rechtsextreme Gewalt oder ein vermeintlich fremdenfeindliches Klima in Deutschland fatale Wirkung entfalten und die Bemühungen um
ausländische Spitzenkräfte durchaus konterkarieren.
Bericht über die Weigerung ausländischer Arbeitnehmer, in Ostdeutschland für ihren Arbeitgeber tätig zu werden, dokumentieren vielleicht
nur Einzelfälle, bedeuten aber letztlich jeweils einen Rückschlag für den ostdeutschen Aufholprozess. Wenn in strukturschwachen
Regionen wie etwa in Brandenburg das Engagement eines ausländischen Investors durch brutale Übergriffe auf sein ausländisches
Personal oder dessen Kinder mittelfristig gefährdet wird, dann zeugt das von fataler Ignoranz und Selbstzerstörung.
Im Übrigen können gerade die ostdeutschen Universitäten ein Lied davon singen, wie schwierig es werden kann, ausländische
Gastwissenschaftler für einen Forschungs- und Lehraufenthalt zu gewinnen. Auch dieses Beispiel zeigt, wie weiträumig die Folgen von
Ausländerfeindlichkeit ausstrahlen und wie dringend noch konsequenter gegengesteuert werden muss.
Die Tatsache, dass Deutschland zuletzt einen negativen Wanderungssaldo aufwies und mehr Ausländer Deutschland verlassen haben als
neu eingereist sind, könnte auf den ersten Blick ein Indiz für Vorbehalte und Ängste sein. In Wirklichkeit geht dieser Trend auf eine Fülle
von Ursachen zurück. Sie reichen von der Verschärfung asyl- und aufenthaltrechtlicher Bestimmungen bis hin zu veränderten politischen
und wirtschaftlichen Gegebenheiten in den Herkunftsländern. Dass gegenwärtig beispielsweise eine Tendenz zur Rückwanderung nach
Polen zu beobachten ist, hat wesentlich mit den verbesserten Lebensperspektiven dort zu tun. Eine Reaktion auf Ausländerfeindlichkeit ist
dies wohl nur im Einzelfall.
Jeder Einzelfall jedoch - so banal es klingen mag - ist auch aus ökonomischer Sicht einer zu viel. Humankapital geht verloren, neues wird
möglicherweise abgeschreckt. Initiativen wie diejenige der Brandenburger EKO-Stahl, die sich ganz massiv gegen Rechtsextremismus und
Fremdenfeindlichkeit in der eigenen Belegschaft wenden, sind deshalb zu begrüßen und sollten Nachahmer finden. Zu fragen ist aber
auch, ob das arbeitsrechtliche Instrumentarium zur Sanktionierung rechtsextremer und fremdenfeindlicher Aktivitäten von Beschäftigten
ausreicht oder modifiziert werden muss.
Das Interesse ausländischer Studierender an einem Hochschulstudium ist bei weitem nicht so groß wie es wünschenswert wäre.
Allerdings sind die Zahlen trotz der fremdenfeindlichen Vorfälle in den letzten fünf Jahren um rund 20 Prozent oder 30 000 Personen
gestiegen. Bereinigt um diejenigen, die als so genannte "Bildungsinländer" schon länger in Deutschland leben oder hier geboren sind,
verbleiben die Zahlen ausländischer Studenten auf denkbar niedrigem Niveau.
Befürchtungen hinsichtlich Ausländerfeindlichkeit könnten eine Ursache hierfür sein. Vermutlich aber sind in erster Linie übertrieben hohe
ausländerrechtliche und andere Hürden dafür verantwortlich zu machen. Wir haben uns zum Beispiel jahrelang den Luxus geleistet, hoch
qualifizierte Absolventen nach Beendigung des Studiums postwendend außer Landes zu schaffen - darunter genau diejenigen, um die wir
jetzt mit der Greencard werben. Wie groß die Zahl von Studierenden aus dem Ausland ohne Fremdenfeindlichkeit gewesen wäre, darüber
kann nur spekuliert werden - denn zu der mangelnden Attraktivität des deutschen Hochschulsystems tragen natürlich viele andere interne
Defizite bei.
Anlass zur Beruhigung sind die geschilderten Aspekte deshalb ganz und gar nicht. Fremdenfeindlichkeit ist eine Lunte an unserem
sozialen und ökonomischen Gefüge, die dringend ausgetreten werden muss. Die jüngsten antisemitischen Vorkommnisse zeigen, wie
schnell aus Hass gegen Ausländer Terror gegen Minderheiten überhaupt werden kann. Dass in einer Gesellschaft wie der deutschen, die
wie kaum eine andere in Europa seit jeher von Zuwanderung, von offenen Grenzen und vom Export profitiert hat, Ausländerfeindlichkeit
überhaupt einen solchen offenkundigen Nährboden vorfindet, ist erschreckend und beschämend zugleich.
Über die Ursachen ist viel debattiert worden. Überforderung durch den rasanten Strukturwandel, anhaltende hohe Arbeitslosigkeit (vor allem
unter Jugendlichen), Orientierungs- und Perspektivlosigkeit, politisch instrumentalisierte Befürchtungen gegenüber Asylsuchenden und
Migranten, aufkeimende nationalistische Bestrebungen nach der Wiedervereinigung - die Liste von Erklärungsansätzen ließe sich
fortsetzen.
Natürlich wird Fremdenfeindlichkeit oft in einen unmittelbaren Zusammenhang mit ökonomischen (Fehl-)Entwicklungen gebracht. Dabei ist
allerdings Vorsicht geboten. Ausländerfeindlichkeit hat es in Deutschland und anderswo auch in Zeiten wirtschaftlicher Blüte gegeben, und
sie tritt beinahe traditionell dort besonders in Erscheinung, wo kaum oder gar keine Ausländer leben, die Arbeitsplätze "wegnehmen" oder
finanzielle Leistungen aus den öffentlichen Kassen erhalten könnten.
Die wirtschaftliche Lage und die hohe Arbeitslosigkeit sind nicht der ausschlaggebende Impuls für Fremdenfeindlichkeit, auch wenn
rechtsextreme Gruppierungen Strukturwandel und Beschäftigungsstatistik in ihrer Propaganda immer instrumentalisieren. Zwar können
Arbeitslosigkeit oder nur die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz eine vorhandene Grundtendenz verstärken, es muss aber schon vorher ein
Bodensatz an Vorurteilen und Unsicherheit vorhanden sein. Im Übrigen zeigen alle Untersuchungen, dass sich das Lager rechtsextremer
Anhänger und Parteigänger keineswegs nur aus einem bestimmten sozialen Milieu und unteren Einkommensklassen rekrutiert.
Zweierlei fällt bei näherem Hinsehen auf: Zum einen mangelt es in unserer Gesellschaft nach wie vor am Bewusstsein darüber, welche
handfesten gesellschaftlichen und ökonomischen Vorteile durch Zuwanderung und Ausländerbeschäftigung entstehen. Politik und
Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft haben es bislang nur bedingt verstanden, einen Argumentekanon zu entwickeln und
überzeugend vorzutragen, der die bekannten Unterstellungen und Verleumdungen entlarvt.
Unsere Altersversorgung steht vor gigantischen Herausforderungen, da der Prozess der Überalterung sich nicht aufhalten lässt. Selbst bei
einem angenommenen jährlichen Zuwanderungsdurchschnitt von 200 000 Erwerbspersonen in den nächsten 20 Jahren wird die Zahl der
Erwerbspersonen in Deutschland von derzeit rund 41 Millionen auf knapp 38 Prozent zurückgehen. Ganz ohne Zuwanderung ginge sie auf
rund 34 Milliarden zurück.
Natürlich kann dieser Rückgang aus Unternehmenssicht durch Rationalisierung, eine Verlängerung der Lebensarbeitszeiten oder durch
mehr Frauenerwerbstätigkeit aufgefangen werden. Vor allem aber drängt sich der Arbeitskraftimport über das Internet auf. Diese virtuelle
Migration ist freilich folgenschwer. Sie entzieht Deutschland Kaufkraft, sie durchlöchert nationale Tarif-, Steuer-, Arbeitsrecht - und
Arbeitsschutzbestimmungen wie einen Schweizer Käse, und sie entführt Arbeitsplätze dorthin, wo die Arbeitskräfte sind, die wir nicht ins
Land lassen. Die Konsequenzen auch für unser System der sozialen Sicherung sind offenkundig.
Der Rückgang der Zahl der einheimischen Erwerbspersonenzahl ist unaufhaltsam. Um die entsprechende gravierende
Erwerbspersonenlücke ohne Zuwanderung aufzufangen, müsste rein rechnerisch die Erwerbsbeteiligung von heute 73 Prozent auf rund 84
Prozent im Jahr 2020 steigen. Das ist vollkommen unrealistisch.
Die ökonomischen Vorteile von Zuwanderung und Ausländerbeschäftigung liegen so offen zu Tage, dass wir weitaus stärker als bisher auf
diese volkswirtschaftlichen Effekte hinweisen sollten. Zuwanderung hat in Deutschland und anderswo, das zeigen auch Studien für
benachbarte europäische Länder, die Arbeitsmarkterfolge der einheimischen Bevölkerung kaum behindert. Im Gegenteil: Ausländer
leisteten und leisten einen wichtigen Beitrag zu unserer Prosperität. Und zweifellos können gering qualifizierte Deutsche neue
Beschäftigung finden, wenn Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften aus dem Ausland gedeckt wird. Warum sollte eine an ökonomischen
Interessen orientierte Politik dann schädlich sein? Nützlich ist auch nicht, dass immer wieder in Verbindung mit der Osterweiterung der
Europäischen Union von Massenzuwanderung gesprochen wird, obwohl zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen das genaue
Gegenteil prognostizieren.
Deutschland fehlt eine in sich geschlossene, überzeugende und obendrein überzeugend vermittelte Zuwanderungs- und Integrationspolitik.
Jedem sollte klar sein: Ein schlüssiges Konzept zur Gestaltung von Immigration und Integration ist ein nicht zu unterschätzender
Aktivposten bei der Bekämpfung von Ausländerfeindlichkeit.
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