- 000 Vollzeitstellen entstünden,wenn Minijobs und Ehegattensplitting abgeschafft oder
stark umgestaltetwürden, rechnet die Bertelsmann-Stiftung vor
VON ULRIKE WINKELMANN
Mitten in die Wahlkampfstimmung
und noch vorteilhafte Wirtschaftslage hinein fordert
die Bertelsmann-Stiftung eine kombinierte
Komplettreform von Minijobs und Ehegattenbesteuerung.
60.000 neue Vollzeitstellen könnten entstehen,
wenn die Minijobs einer Steuer- und Abgabenpflicht
unterworfen würden und gleichzeitig das
Ehegattensplitting im Steuerrecht umgestaltet
würde. Belastungen für den Staatshaushalt keine,
erklärt die einflussreiche Stiftung in einer
Studie, die sie am Donnerstag präsentierte. Mit
den entsprechenden Modellrechnungen beauftragt
war das Forschungsinstitut zur Zukunft
der Arbeit (IZA).
Die Ergebnisse sind von einigem Wert für die
Debatte über weibliche Erwerbstätigkeit, soziale
Ungerechtigkeit und Altersarmut. Längst hat die
Familien- und Sozialforschung die Minijobs und
das Ehegattensplitting als wichtige Anreize identifiziert,
die Frauen von sozialversicherungspflichtiger
(Voll-)Erwerbstätigkeit fernhalten.
Dadurch geraten sie in die "Geringfügigkeitsfalle":
Sie verbleiben in Abhängigkeit vom männlichen
"Hauptverdiener" und stehen nach einer
durchaus möglichen Trennung mittellos da.
Die Bertelsmann-Stiftung schlägt anhand der
IZA-Ergebnisse nun vor, das traditionelle Ehegattensplitting
durch ein Modell zu ersetzen, das
die Ehe zwar steuerlich begünstigt - aber nicht
mehr so stark. Finanziell getroffen würden Paare
mit sehr hohem und sehr ungleichem Einkommen,
nämlich solche, bei denen der Einkommensunterschied
mehr als 27.000 Euro beträgt.
Um "nennenswerte Beschäftigungseffekte", also
mehr gute Jobs zu gewinnen, müssten aber laut
Bertelsmann gleichzeitig die Minijobs faktisch
abgeschafft werden. Wie auch Gewerkschaften
und die meisten ArbeitsmarktpolitikerInnen der
Opposition fordert die Stiftung, dass MinijobberInnen
"ab dem ersten Euro" Steuern und Beiträge
zahlen sollten.
Dadurch würden nicht nur Minijobs in richtige
Stellen zurückverwandelt, erklärt Eric Thode,
Arbeitsmarktexperte bei Bertelsmann. Es würden
tatsächlich auch 56.000 Personen neu in Arbeit
kommen. "Im Unterschied zu den anderen
Studien hat das IZA für uns auch die Reaktionen
der Arbeitgeber mit berücksichtigt", sagte
Thode zur taz. Wenn zehntausende Frauen auf
den Arbeitsmarkt drängten, bedeute dies auf Arbeitgeberseite,
dass man die Löhne zu drücken
versuchen werde - es würden aber eben auch
Stellen geschaffen.
Aktuell gibt es rund 7 Millionen MinijobberInnen,
zwei Drittel davon Frauen. Die schwarz-gelbe
Regierung hat die Minijobs nun gerade durch
die Erhöhung der Einkommensgrenze von 400
auf 450 Euro aus- und nicht etwa abgebaut.
Doch Thode hofft, dass "eine kommende Regierung"
ab 2013 hier womöglich umsteuern werde.
Das besondere Interesse der Arbeitgeber an
den Minijobs rühre vermutlich ohnehin nicht aus
der Art der Besteuerung, sondern dass sie als
"flexibles Instrument, manchmal über gesetzliche
Grenzen hinweg" gesehen würden, sprich:
für Lohndumping und Vernachlässigung von Arbeitnehmerrechten
genutzt werden.
Wohlwollende Aufnahme fand dieser Teil der
Studie daher bei der SPD, wo man derzeit eine
Minijob-Reform ausbrütet. Die SPD-Frauenpolitikerin
Christel Humme sagte, die von Rot-Grün
2003 eingeführten Minijobs hätten sich "weder
als Brücke in sozialversicherungspflichtige Jobs
noch zur Bekämpfung der Schwarzarbeit bewährt".
Den bertelsmannschen Steuervorschlag
sieht Humme allerdings skeptisch. SPD- wie
auch Grünen-Linie sei, dass man die "Individualbesteuerung"
anstrebt, dass also auch in Ehe und
Familie jede und jeder nach schwedischem Vorbild
einzeln besteuert wird.
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