Anonymisierte Bewerbungen gelten als Joker,
um Diskriminierung zu mindern. Zwischen
wissenschaftlich nachweisbarer Wirkung
und Praktikabilität muss unterschieden
werden.
Das Pilotprojekt war für die Wortjongleure
unter den Journalisten ein gefundenes Fressen:
"Die gesichtslosen Bewerber kommen" titelte
spiegel-online am 25.11.2010, "Augen zu und
durch" schrieb am 26.11.2010 sueddeutsche.de.
Angekündigt wurde in beiden Artikeln ein Modellprojekt
der Antidiskriminierungsstelle des
Bundes zu anonymisierten Bewerbungsverfahren.
Acht Organisationen strichen die Merkmale
Name, Alter, Nationalität und Geburtsort, Geburtsdatum,
Familienstand und Foto. Wegen einiger
Fördermechanismen wurden die Merkmale
Geschlecht und Behinderung nicht bei allen Institutionen
weggelassen. Das Streichkonzert erfasste
auch E-Mail-Adressen, Telefonnummern,
Adressen und Beschäftigungszeiträume, um indirekte
Zuordnungen zu erschweren. Unternehmen
wie L'Oréal Deutschland und Procter & Gamble,
die Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion
Nordrhein-Westfalen, die Stadtverwaltung Celle
- und natürlich vorbildlich das Bundesministerium
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
zu dem die Antidiskriminierungsstelle gehört,
schwärzten oder übertrugen die Daten in standardisierte
Tabellen, sie nutzten online standardisierte
Bewerbungsformulare oder schalteten die
verräterischen Daten blind.
Der Blick richtet sich eher auf die Qualifikation
Personalverantwortliche sollten sich an der Qualifikation
orientieren - und sie taten das auch.
Denn 8.550 anonymisierte Bewerbungen, 1.293
Einladungen an Bewerber und 246 Arbeits-, Studien-
und Ausbildungsplätze später evaluierten
Forscher der Kooperationsstelle Wissenschaft
und Arbeitswelt an der Europa-Universität Viadrina
(Kowa) in Frankfurt/Oder im Auftrag der
Antidiskriminierungsstelle, ob anonymisierte
Verfahren praktikabel sind. Und Wissenschaftler
des Bonner Instituts zur Zukunft der Arbeit
(IZA) gingen als Partner der Frage nach, welche
Wirkung die Anonymisierung hat und deren Ergebnisse
die sueddeutsche.de am 14.4.2012 zu
der provozierenden Überschrift "Inkognito zum
neuen Job" veranlasste. Die Kowa befragte Personaler,
die einräumten, dass schon das Fehlen
eines Fotos die Gedanken stärker auf die Qualifikation
lenkt. Da nachträgliches Schwärzen oder
Löschen Zeit kostet, gilt Personalentscheidern
ein standardisiertes Bewerbungsformular als
empfehlenswerte Lösung. Ein positives Nebenprodukt
des Pilotprojekts bestand, so die Befragten,
in der Diskussion über die bisherige Rekrutierungspraxis.
"Standardisierung führt zu Objektivierung",
resümiert Kowa-Mitarbeiterin und
Diplom-Sozialwirtin Ines Böschen. "Aber ob die
Chemie stimmt, sieht man erst im Bewerbungsgespräch."
Organisationen waren bereits "gut aufgestellt"
Die Analyse der Daten ergab, so das IZA, dass
die Einladungswahrscheinlichkeit für potenziell
diskriminierte Gruppen, also Frauen und Menschen
mit Migrationshintergrund, durch die Anonymisierung
der persönlichen Daten steigt. Damit
sei das Ziel des Pilotprojekts grundsätzlich
erreicht, die Chancen aller Bewerbergruppen tendenziell
anzugleichen. In der Gruppe der Bewerber
mit Migrationshintergrund gab es eine Differenzierung:
Nur wenn die Chancen in einer Organisation
zuvor schlechter standen, konnten die
Bewerber in der Einladungswahrscheinlichkeit
aufschließen. Waren bereits in der Ausgangssituation
Vorkehrungen gegen systematische Unterschiede
getroffen worden - etwa durch stark
strukturierte Bewerbungsverfahren -, führte das
anonymisierte Verfahren zu keinem Effekt.
Die IZA-Forscher weisen darauf hin, dass die
Wirkungsanalyse keinen repräsentativen Schluss
zulässt. Die teilnehmenden Organisationen seien
schon zuvor in Sachen Vielfalt unterwegs gewesen,
also eine positive Auslese. Deshalb sei davon
auszugehen, dass die Unterschiede zwischen
klassischen und anonymisierten Bewerbungsverfahren
bei einer willkürlicheren Auswahl
der Teilnehmer signifikanter ausfallen würden.
Volkswirtin und Sozialpsychologin Annabelle
Krause, die am IZA als Resident Research
Affiliate arbeitet, führt aus: "Gut wäre in einem
nächsten Schritt eine Mischung aus anonymisierten
und nicht anonymisierten Daten und eine
größere Anzahl von Unternehmen, dann könnte
man die Effekte sicherer messen."
Die Größe des Unternehmens ist mit entscheidend
Eigentlich macht diese Analyse kaum schlauer -
was kein Wunder ist, da es bereits ältere Studien
zur Diskriminierung gab - mit deutlichen bis eindeutigen
Ergebnissen. Eine davon haben am
Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie der Universität
Konstanz Professor Leo Kaas und sein wissenschaftlicher
Assistent Christian Manger geliefert.
Die Forscher, die ihr Arbeitspapier 2010
beim IZA veröffentlichten, wollten messen, ob
Stellenbewerber mit ausländischen Wurzeln auf
dem deutschen Arbeitsmarkt diskriminiert werden.
Sie verschickten - als Ergebnis eines Lehrprojekts
- in einem Feldversuch über 1.000 Bewerbungen,
bezogen auf Praktikumsstellen für
Wirtschaftsstudenten. Den inhaltlich gleichwertigen
Bewerbungsunterlagen leistungsstarker Studierender
- deutsche Staatsbürger, Muttersprachler
- wurden nach dem Zufallsprinzip typisch
deutsche und typisch türkische Namen zugeordnet:
Tobias Hartmann und Dennis Langer standen
in Konkurrenz zu Fatih Yildiz und Serkan
Sezer.
Das prägnante Ergebnis: Bewerber mit türkischem
Namen erhielten insgesamt 14 % weniger
positive Antworten. In kleineren Unternehmen
waren es sogar 24 %. Auch hier machte sich bereits
bemerkbar, dass Standardisierungen in
Großunternehmen weniger Raum für subjektive
Einschätzungen lassen. Gleiche Chancen hatten
die Bewerber Sezer und Yildiz lediglich, wenn
Empfehlungsschreiben eindeutig deutscher Arbeitgeber
aus früheren Praktika angehängt waren.
Das Ergebnis ist umso bemerkenswerter,
weil die Untersuchung im Sektor Hochqualifizierter
angesiedelt wurde.
Professor Kaas sieht in einer Studie mit schriftlichen
Bewerbungen "einen sauberen Versuchsaufbau".
Nach diesem Forschungsdesign hatten
bereits Marianne Bertrand und Sendhil Mullainathan
an der Graduate School of Business der
Universität Chicago die Diskriminierung von Afroamerikanern
untersucht. Laut ihrer 2002 veröffentlichten
Arbeit über Emily und Brendan sowie
Lakisha und Jamal erhielten Bewerber mit
typisch weißen Namen 50 % mehr Rückantworten.
Skeptischer wird Kaas, wenn, wie in einem
älteren Versuch in den USA, schwarze und weiße
Schauspieler in einem Audit als Bewerber
auftreten. "Die Leute wissen, dass sie in einem
Versuch mitspielen und sie treten unterschiedlich
auf." Von einem anderen Forschungsdesign
verspricht er sich eher Erkenntnisse über die Ursachen
und Schritte der Diskriminierung von
Menschen mit Migrationshintergrund. "Interessant
wäre ein Laborversuch, in dem die Entscheider
am PC systematisch variierte Informationen
über die Bewerber erhalten", meint Leo Kaas.
"Wenn man mit mobilen Labors in die Firmen
ginge, könnte man in großer Zahl erheben, wie
Personalabteilungen zu ihren Entscheidungen
kommen."
Es soll weitergeforscht werden
Doch für dieses Modell gibt es bisher keine konkreten
Pläne. Vielmehr stehen bei der Anonymisierung
von Bewerbungsunterlagen in Deutschland
weiterhin Handlungsempfehlungen für Unternehmen
und Institutionen im Vordergrund.
Praktikabilität geht vor wissenschaftlichen Purismen.
Davon, dass diskriminiert wird, kann bis
zum Beweis des Gegenteils ausgegangen werden.
Das standardisierte Online-Formular aus
der Bundesstudie, das von vorneherein auf
Name, Alter und Foto verzichtet, soll weiterentwickelt
und seine Wirkung untersucht werden.
Denn da dieses Formular als praktikabler gilt als
alle nachträglichen Eingriffe in Bewerberdaten,
könnte es für Unternehmen und Institutionen,
die keine großen Personalabteilungen beschäftigen,
eine spannende Lösung sein.
Ob das für kleine und mittelständische Unternehmen
tatsächlich ein Weg zu mehr Vielfalt ist,
wollen die Länder Baden-Württemberg und
Rheinland-Pfalz mit eigenen Projekten prüfen.
Sie lehnen sich an die Kowa-Ergebnisse an. Beide
Bundesländer werden noch in diesem Herbst
mit Modellversuchen auf Länderebene starten
und die Ergebnisse wissenschaftlich evaluieren
lassen. Ihr Ziel: Einen einfachen, effizienten und
kostengünstigen Weg zur Implementierung des
anonymisierten Verfahrens zu finden, um in der
ersten Runde von Bewerbungen für Mitglieder
potenziell diskriminierter Gruppen eine höhere
Einladungswahrscheinlichkeit zu erlangen.
Gefragt wird nicht danach, ob diskriminiert
wird, sondern nach einer Lösung zur Senkung
der Anzahl diskriminierender Entscheidungen.
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