Seit längerem wurde eine Reform der Gemeinschaftsdiagnose diskutiert, bei der zuletzt fünf Leibniz-Institute
der Bundesregierung Ratschläge zur Konjunkturpolitik erteilten. Die Regierung störte der vielfältige
Stimmenkanon bei der Prognosetätigkeit. Sie wollte den Beraterkreis verkleinern und effektiver mit der
Regierungstätigkeit abstimmen. Das DIW Berlin drängte intern ebenfalls seit einigen Jahren auf Reformen:
Das ineffektive und unproduktive Spielwiesen-Palaver, bei dem Dutzende von Mitarbeitern aller Institute
wochenlang kaserniert semantischen Neigungen nachgehen, sollte zugunsten arbeitsteiliger, methodenorientierter
Arbeit eingestellt werden. Die Analysen sollten forschungsorientierter an alternativen Szenarien
orientiert sein und Ausfl üge in die Kommentierung von politischen Maßnahmen, die die fachliche Kompetenz
von Konjunkturabteilungen (wie z.B. die Gesundheitsreform) übersteigen, sollten unterbleiben.
Zu Jahresbeginn einigte sich das Bundeswirtschaftsministerium mit den Leibniz-Instituten auf eine internationale
öffentliche Ausschreibung, bei der nur drei bis vier Anbieter mit anerkanntem wissenschaftlichen
Status (aus Deutschland Leibniz-Institute) und nur unabhängige Einrichtungen zum Zuge kommen sollten.
Anbieterzusammenschlüsse sollten nicht zugelassen sein. Bereits bei der öffentlichen Ausschreibung ist dann
vom wissenschaftlichen Status, und wie er gegebenenfalls nachzuweisen wäre, nicht mehr die Rede gewesen.
Gefordert wurden nur noch „unabhängige Forschungsinstitute“. Unerwartet wurden plötzlich Bietergemeinschaften
zugelassen. Die Vorprüfung des Bieterverfahrens überstanden dann eine Reihe von Instituten, deren
wissenschaftliche Leistungsfähigkeit weder geprüft noch deren Unabhängigkeit gesichert ist.
Das neue Beraterkonsortium von Gemeinschaftsdiagnostikern der Bietergemeinschaften des Wettbewerbsverfahrens
besteht nun aus acht Instituten aus drei Ländern. Es ist sicher nützlich, wenn Deutschland
von den Erfahrungen Österreichs und der Schweiz lernt. Das ursprüngliche Ziel der Reduzierung der Teilnehmerinstitutionen
auf maximal vier wird allerdings grandios verfehlt. Leichter wird eine gemeinschaftliche
Diagnose dadurch nicht. Zu einer besseren Einbindung der Berater in das Regierungshandeln wird es somit
wohl kaum kommen.
Schwerer noch wiegt die Rehabilitierung der Beratungsbeliebigkeit. Bei der Konjunkturanalyse ist das Tor
für gesellschaftspolitisches Consulting wieder weit aufgestoßen worden. Der positive Stellenwert von wissenschaftsbasierter
Politikberatung ist im Entscheidungsprozeß und in der Begleitdiskussion in den Medien
immer wieder deutlich bestritten worden. Dies ist ein klarer Rückschlag für die Bemühungen von Wissenschaftsrat
und Leibniz-Gemeinschaft, die wissenschaftliche Basis in den Wirtschaftsforschungsinstituten
zu stärken, um so die wirtschaftspolitische Beratung zu verbessern.
Die Auswahl der acht Institute für die neue Gemeinschaftsdiagnose refl ektiert die politischen Präferenzen
der Bundesregierung in der Großen Koalition und nicht die Kriterien des Wettbewerbsverfahrens. Letztlich
kann man sich den Kundenwünschen nicht entziehen. Hinter dieser Erkenntnis müssen die eigentlich
erforderlichen Mängelrügen über Verfahrensfehler, falsche politische Motivationen und problematische
wissenschaftspolitische Konzeptionen zurücktreten. Das DIW Berlin passt mit seiner wissenschafts- und
methodenorientierten Ausrichtung nicht zum derzeit von der Politik gewünschten Produkt. Insoweit ist der
Ausschluss des DIW Berlin aus der Gemeinschaftsdiagnose konsequent und kann auch durch das Institut
respektiert werden.
Das DIW Berlin wird weiter sein Konzept, forschungsbasierte Beratung und anwendungsorientierte Forschung
zu kombinieren, umsetzen und für seine Produkte werben. Es wird die inhaltliche Auseinandersetzung
um die beste Konjunkturanalyse und die überzeugendste makroökonomische Politik weiter mit vollem
Einsatz führen und sich kritisch in die öffentliche Diskussion einbringen. Ob das zurück in die Gemeinschaftsdiagnose
führt, ist dabei nicht von Relevanz. Dazu müssten sich auch die Rahmenbedingungen ändern:
Wissenschaftliche Exzellenz und gesellschaftspolitische Unabhängigkeit müssten Priorität erhalten. Die
Vergabe einer Gemeinschaftsaufgabe an konkurrierende Konsortien ist absurd. Konsequent wäre allenfalls
ein Wettbewerb zwischen Bietergemeinschaften, die alternativ alleine die Gesamtaufgabe übernehmen.
Gemeinschaftsdiagnose und Wettbewerb schließen sich aber letztlich aus. Die Prognosevielfalt der Institute
stellt die eigentliche Information dar. Sie vom Steuerzahler subventioniert zu unterdrücken ist problematisch.
Der Schulterschluss der Regierung mit der Wissenschaft ist zwar leichter, wenn man sie zu einem
einheitlichen Urteil zwingt und zwingen kann. Das ist nun allerdings schwieriger als jemals zuvor. So bleibt
die Frage, ob sich die Gemeinschaftsdiagnose in der neuen Konstellation nicht bereits überlebt hat.
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