Die neue soziale Frage

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24. Februar 2010, DIW Berlin: Wochenbericht

(Gastbeitrag von Klaus F. Zimmermann)
 



Es ist paradox: Die Sozialausgaben erreichten 2009 die Rekordsumme von 754 Milliarden Euro, dennoch wird die gefühlte Gerechtigkeitslücke immer größer.

Aus dieser Sozialstaatsfalle finden wir nur durch einen Paradigmenwechsel heraus: Wir dürfen die Qualität unseres Sozialstaates nicht länger nur über seine rein finanziellen Aufwendungen definieren. Der bisherige Ansatz der Sozialpolitik war zwar bequem, führte aber in die Irre. Nicht der bedarfsgerechte und zielgenaue Umgang mit öffentlichen Mitteln war bestimmend, sondern ein Anspruchsdenken, das den Wohlfahrtsstaat missversteht als permanenten Reparaturbetrieb für alle Schicksalsfälle des Lebens. Größter Handlungsbedarf besteht beim Thema Arbeitslosigkeit. Die jüngsten Karlsruher Urteile bieten der Politik jetzt die Chance, die Arbeitsmarktreformen neu auszurichten. Mit dem geltenden Instrumentarium ist es nämlich offenkundig nicht ausreichend gelungen, der Hauptproblemgruppe der Langzeitarbeitslosen passgenau zu helfen. Ergebnis: Ihre Zahl ist nur leicht rückläufig; Deutschland weist international noch immer eine der höchsten Quoten von Langzeitarbeitslosen auf.

Zugleich wissen wir, dass Langzeitarbeitslose nichts mehr wollen als einen Job. Die Berliner Politik ist dringend aufgerufen, aus diesen Fehlentwicklungen die Konsequenzen zu ziehen:

• Bei der angestrebten Reform der Jobcenter muss oberstes Prinzip sein, für jeden einzelnen Kunden eine effektive individuelle Beratung und begleitende Betreuung aus einer Hand zu garantieren – und zwar vom ersten Tag der Arbeitslosigkeit.

• Für jugendliche Abbrecher, Ungelernte, Migranten, Alleinerziehende setzt diese Hilfe bisher oft viel zu spät an. Dabei geht es oft nicht nur um eine Jobvermittlung, sondern auch um die Lösung sozialer Konflikte, familiärer Probleme, um Motivations- und Qualifikationsdefizite, die sich bei der Beschäftigungssuche als Hemmnisse erweisen.

• Statt Regelsätze zu erhöhen, sollten Einstellungs- und Bildungsgutscheine Qualifikationen gezielt fördern und Brücken in die Beschäftigung vermitteln; kostenlose Angebote könnten überdies die Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben ermöglichen. Der Grundsatz Sach- und Dienstleistungen statt Bargeld muss noch mehr für die viel zu hohe Zahl der Kinder gelten, die mit Hartz IV leben müssen. Wer diesen Kindern bessere Lebenschancen eröffnen will, tut dies nicht durch reine Geldleistungen, sondern am besten über gute Betreuung und außerschulische Förderung.

Die Zukunft gehört dem vorsorgenden Sozialstaat, der den Sprung in die Eigenverantwortung ermöglicht. Unser Gemeinwesen nach diesem Prinzip effektiv zu organisieren, ist die neue soziale Frage.


Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

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