Der notwendige Abschied vom Korporatismus

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20. Februar 2002, Die Welt

(Gastbeitrag Hilmar Schneider - click here for an English translation)
 

Seit den Arbeiten von Anthony Downs oder William A. Niskanen zur Theorie der Bürokratie sind über 30 Jahre vergangen. An der Aktualität ihrer Ergebnisse hat sich wenig geändert: Bürokratien streben nach Maximierung von Zuständigkeiten und Budgets. Sollte jemand eine neuzeitliche Fassung der alten Lehrbücher planen, die Bundesanstalt für Arbeit wäre ein dankbares Beispiel zur Illustration sämtlicher damit verbundenen Facetten. Kunstvoll oder auch naiv werden Vermittlungsscheinerfolge generiert, und ein riesiger Apparat häuft Aufgaben an, um seine Daseinsberechtigung unter Beweis zu stellen.

So paradox es klingen mag: Je weniger die Behörde für die direkte Vermittlung tut, desto wichtiger wird sie. Mit dem Argument, dass der Arbeitsmarkt zu wenig Stellen bereit stellt, werden Mittel und Personal für die Durchführung arbeitsmarktpolitische Scheinlösungen eingefordert und angehäuft. Altersteilzeit, zweiter Arbeitsmarkt und so manche Qualifizierungsmaßnahme haben in eine arbeitsmarktpolitische Sackgasse geführt. Die Chance, all dem entgegen zu wirken, war selten so günstig wie jetzt, wo die fehlerhaften Statistiken zeigen, wie schlecht es um die staatliche Vermittlung von Arbeitslosen steht. Es geht dabei nicht um den Aufruf zur Palastrevolution, sondern darum das Vertrauen von Arbeitslosen in die Arbeitsämter wieder herzustellen.

1. Internalisierung des Vermittlungsziels:

Derzeit sind nur etwa 10 Prozent der über 90.000 Mitarbeiter der Bundesanstalt mit der direkten Vermittlung betraut. Wie kann ein solches Missverhältnis zwischen der zentralen Aufgabe der Behörde und dem faktischen Ressourceneinsatz entstehen? Die Antwort dürfte darin zu finden sein, dass der Behörde mehrere Optionen zur Verfügung stehen, ihren Aufgaben nachzukommen. Diese Optionen sind mit unterschiedlichem Aufwand verbunden, der sich jedoch nicht in der Bezahlung der Mitarbeiter niederschlägt. Der ökonomische Anreiz läuft daher auf den Weg des geringsten Widerstands hinaus. Dem lässt sich nur begegnen, wenn interne Anreize dafür geschaffen werden, die Vermittlung wieder zum Kerngeschäft werden zu lassen. Hier bietet sich ein Prämiensystem an, das zur Grundlage eines erfolgsbasierten Einkommensbestandteils für die Mitarbeiter gemacht werden sollte. Allerdings müssten hier erst recht Vorkehrungen getroffen werden, um das Entstehen von "Luftbuchungen" zu verhindern.

2. Weg vom Prinzip der paternalistischen Rundum-Fürsorge:

Was in der gegenwärtigen Diskussion völlig aus dem Blick gerät, ist die Möglichkeit der aktiven Einbeziehung der Arbeitssuchenden in den Vermittlungsprozess. Wieso setzt eigentlich die Verhängung von Sperrzeiten bei Ablehnung zumutbarer Arbeitsangebote voraus, dass das Arbeitsamt eine hinreichende Zahl von Arbeitsangeboten unterbreiten kann? Wieso ist der Arbeitsvermittler derjenige, der entscheidet, welche Maßnahme für einen Arbeitssuchenden die geeignete ist? In anderen Ländern konzentriert sich die Tätigkeit von Arbeitsvermittlern im Wesentlichen auf die Kontrolle darüber, dass sich die Arbeitssuchenden ernsthaft um einen neuen Job bemühen. Wer keine hinreichenden Bemühungen nachweisen kann, dem wird die Arbeitslosenunterstützung gestrichen.

3. Weg vom Anbietermarkt für arbeitsmarktpolitische Programme:

Derzeit liegt die Konzeption arbeitsmarktpolitischer Programme weitgehend in der Hand von halböffentlichen Anbietern in Form von Qualifizierungsträgern und Beschäftigungsgesellschaften. Die von ihnen offerierten Produkte werden von den Arbeitsämtern mehr oder weniger übernommen, wobei oft genug nach einem kameralistischen Prinzip verfahren wird. Als erfolgreich gilt ein Arbeitsamt, das in der Lage ist, seinen Etat auszuschöpfen, nicht eines das sich auf wirkungsvolle Maßnahmen beschränkt. Was unter anderem fehlt, ist eine Art seismographischer Beobachtung, die dem Arbeitsamt sagt, wo zwischen Arbeitsnachfrage und Arbeitsangebot Lücken bestehen. Ein solcher Mismatch könnte zum Anlass genommen werden, um seitens der Arbeitsämter in enger Kooperation mit den Unternehmen Anforderungen für Qualifizierungsprogramme zu formulieren, mit denen schnell und gezielt Lücken geschlossen werden können.

4. Evaluation als grundlegendes Steuerungsinstrument:

Unabhängig davon, wie arbeitsmarktpolitische Programme künftig konzipiert werden, ist der ständige Nachweis ihrer Wirksamkeit ein unverzichtbares Instrument für die Steuerung. Derzeit werden jährlich mehr als 20 Milliarden Euro für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen ausgegeben, ohne dass bekannt wäre, ob sie die Teilnehmer im Hinblick auf ihre Vermittlungschancen überhaupt besser stellen als ohne eine Teilnahme. So besagt beispielsweise die von der Bundesanstalt veröffentlichte Eingliederungsquote nur, wie hoch ein halbes Jahr nach Beendigung einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme der Anteil der Teilnehmer war, der einen Arbeitsplatz gefunden hatte. Dieser Wert mag so hoch sein wie er will, er sagt für sich allein absolut nichts über die Wirksamkeit einer Maßnahme aus.

5. Kontrolle statt Korporatismus:

Dass es solange gebraucht hat, um die jetzt bekannt gewordenen Missstände ans Licht zu bringen, hängt nicht zuletzt mit der mangelnden Kontrolle in der Selbstverwaltung zusammen. Die drittelparitätische Besetzung von Vorstand und Selbstverwaltungsrat spiegelt nur vordergründig widerstreitende Interessen wider. Faktisch gibt es wohl nirgends sonst soviel Einhelligkeit zwischen Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Politikvertreter als dort, wo es um die Segnungen der sogenannten aktiven Arbeitsmarktpolitik geht. Solange jede der drei Parteien ihren eigenen Vorteil aus den zur Verfügung stehenden Mitteln zieht, sind kritische Stimmen nicht zu erwarten. Hier ist der Abschied vom Korporatismus zugunsten einer Einbeziehung unabhängiger Experten dringender denn je.


Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

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