Stabilitätspakt: Die Kriterien der EU sind zu starr

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25. April 2002, Handelsblatt

(Gastbeitrag Klaus F. Zimmermann)
 

Ohne Zweifel ist der Stabilitätspakt ein einzigartiges Dokument einer erfolgreichen Politik der Selbstbindung durch internationale Verträge. Die kalkulierte "Flucht aus der Verantwortung" der nationalen Finanzpolitik folgt der Erkenntnis, dass die Handlungszwänge des politischen Alltagsgeschäfts einer konsolidierenden Haushaltspolitik die Gestaltungskraft nehmen. Nur durch eine Selbstbeschränkung, so wird argumentiert, kann der Staat seinen Entscheidungsspielraum zurückgewinnen und Raum für private Investitionen und nachhaltiges Wachstum entstehen. Tatsächlich feiert eine wissenschaftlich gesehen krude Regel, das staatliche Haushaltsdefizit, bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt, auf maximal 3 Prozent zu begrenzen, beeindruckende politische Erfolge. Die aggregierte Budgetdefizitquote der Länder des Euro-Raums betrug im Jahre 2000 0,8 %, im Zeichen der Konjunkturschwäche 2001 immerhin noch 1,3 %.

Dennoch darf bezweifelt werden, dass das, was politisch funktioniert, auch auf Dauer ökonomisch überzeugt. Deutschlands Erfahrungen mit dem Pakt zeigen die Probleme auf. Trotz bemerkenswerter finanzpolitischer Akzentsetzungen geriet der einstige Musterschüler unverhofft auf die stabilitätspolitische Sünderbank. Trotz massiver Konsolidierungsbemühungen und einer umfassenden Steuerreform lag die Defizitquote im Jahre 2001 bei 2,7 %. Sie wird nach den neuesten Berechnungen der Wirtschaftsforschungsinstitute auch 2002 noch bei 2,3 % und erst 2003 bei 1,6 % liegen. Damit bleibt Deutschland für absehbare Zeit hinter der europäischen Entwicklung zurück, die 2003 nur etwa 1% ausweisen dürfte. Dafür ist ausschlaggebend, dass die deutsche Konjunktur mit 0,9 % Wachstum in 2001 und 2,4 % in 2003 nur verhalten anspringt.

Die Abwendung des drohenden "blauen Briefes" wurde nur durch die Zusicherung einer massiven Sparpolitik erkauft, bei der die Defizitquote 2004 auf "nahezu null" gebracht werden soll, d. h. auf maximal 0,5 %. Dazu ist im Bundesbereich bereits 2003 ein Sparpaket von 8 Mrd. Euro nötig, das entspricht dem Einsparvolumen des Bundeshaushaltes in 2000. Die Konsolidierungsanstrengungen im gesamten öffentlichen Bereich in 2003 und 2004 werden insgesamt die des Jahres 2000 deutlich übertreffen müssen. Länder und Gemeinden müssen sich in den Pakt durch eigene Stabilisierungsanstrengungen einbinden lassen, wie das bereits im Finanzplanungsrat, einem gemeinsamen Gremium aus Bund und Ländern, vereinbart ist. Nur wenn das Wirtschaftswachstum auch 2004 bei etwa 2,5 % liegt, so haben es die Wirtschaftsforschungsinstitute jetzt vorgerechnet, wird das Defizitziel von 0,5 % erreicht werden.

Ein Konstruktionsfehler des Stabilitätspaktes war auf nationaler Ebene die fehlende Einbindung aller föderalen Entscheidungsträger. Ob die im Finanzplanungsrat vereinbarte Begrenzung der Ausgaben von Länder und Gemeinden auf 1 % in 2003 und 2004 realisiert werden kann, bleibt unklar. Jedenfalls gibt es keine Sanktionsmechanismen, die auf eine Kontrolle der Entwicklung hoffen ließen. Der zweite Fehler liegt in der Ignoranz der konjunkturellen Entwicklung für den Konsolidierungsprozess. So ist die Wachstumsschwäche Deutschlands die wichtigste Quelle für das Ausbleiben seiner Stabilitätserfolge. Zur Vermeidung höherer Defizite haben Deutschland und Portugal 2001 konjunkturbedingte Verschlechterungen ihrer Haushaltsposition nicht hingenommen, sondern in den Abschwung hineingespart. Die anderen europäischen Staaten haben dagegen überwiegend von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, automatische Stabilisatoren wirken zu lassen, um so die wirtschaftliche Entwicklung günstiger zu gestalten. Auch in nächster Zeit wird die Haushaltspolitik restriktive Wirkungen auf die Wirtschaft ausüben.

Der dritte Konstruktionsfehler liegt in der Nichtbeachtung struktureller Maßnahmen zur Förderung einer nachhaltigen Budgetpolitik. Es kommt darauf an, unter welchen Bedingungen Budgetdefizite zu Stande kommen. Werden neben der Konsolidierung Maßnahmen zur Reduktion der Steuer- und Abgabenlast ergriffen bzw. sichert die Fiskalpolitik durch Investitionen in Sach- und Humankapital das künftige Wirtschaftswachstum, so sind Budgetdefizite unterschiedlich zu beurteilen. Es kommt auf eine mittelfristige Stabilisierung bei angemessenem Wirtschaftswachstum an. Hier hat die deutsche Finanzpolitik durchaus positive, nicht genügend anerkannte Akzente gesetzt. Aber ohne Wachstum kann es keine Konsolidierung geben, das zeigt auch das Vorbild USA. Das mangelhafte deutsche Wirtschaftswachstum ist eine Folge der schwachen internationalen Konjunktur und der fehlenden Investitionen im Bildungs- und Infrastrukturbereich, aber auch der Bemühungen um fiskalische Stabilität. Konsolidierungsmaßnahmen erzeugen einen Ausfall an wirtschaftlicher Aktivität, der erst mittelfristig von der privaten Wirtschaft ausgeglichen wird. Solche Maßnahmen sind in Zeiten einer Konjunkturschwäche weder angemessen noch sollte aus Budgetgründen weiter gespart werden. Auch nach einer Konsolidierung kann ein Budgetausgleich nur ein mittelfristiges Ziel sein. Eine Reform des Stabilitätspaktes muss also die Anforderungen einer nachhaltigen Budgetpolitik im Auge behalten.

Dafür ist aber eine einfache Regelbindung ungeeignet. Komplexere Informationen müssen verarbeitet werden können. Die Diskussion über die Eignung fester Indikatorensysteme, etwa des konjunkturneutralen Haushalts, zur Bewertung nationaler Finanzpolitiken zeigt allerdings, dass abgewogene Urteile schwer standardisiert zu haben sind. Eine Ergänzung des Stabilitätspakts um ein Paket statistischer Indikatoren würde deshalb mehr Fragen stellen als Antworten geben.

Ein neues Expertengremium, unterstützt vom Europäischen Statistischen Amt und einem Finanzplanungsrat der Mitgliedsländer, könnte einen Problemlösungsbeitrag liefern. Unabhängig und einmalig auf Zeit ernannt, wäre es dem Geist des Stabilitätspaktes verpflichtet. Es würde regelmäßig Gestaltungsvorschläge unterbreiten, die im Rahmen der Regelungen des modifizierten Paktes vollzogen werden müßten. Dies könnte den Stabilitätspakt dauerhaft institutionell sichern und mit neuem Leben erfüllen.


Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

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