Ein grandioser Fehler: Ein allgemein gültiger Mindestlohn würde in Deutschland mehr Ungleichheit schaffen

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08. Januar 2008, Die Welt

(Gastbeitrag von Klaus F. Zimmermann)
 

Eigentlich könnte alles in Ordnung sein: Der Wirtschaftsaufschwung bringt in Verbindung mit den Arbeitsmarktreformen nicht nur immer mehr Arbeitslose in Beschäftigung, sondern die Problemgruppen (Dauerarbeitslose, Ältere, ausländische Mitbürger, Ungelernte) profitieren auch überdurchschnittlich davon. Die Aussichten stehen ferner gut, dass über den Konsum als wichtigstem Wachstumstreiber 2008 noch mehr Menschen Anteil am Aufschwung erhalten, nicht zuletzt, weil Mehrbeschäftigung, Abgabensenkungen und reale Effektivlohnsteigerungen mehr Geld in die Kassen der privaten Haushalte spülen.

Die Erfolge sind allerdings Wasser auf den Mühlen einer Gerechtigkeitsdiskussion, die gut meinend politische Maßnahmen fordert, die in der Lage sind, die erreichten Fortschritte zunichte zu machen. Sie sind kein Placebo für den Wahlkampf, sondern Job-Vernichtungspillen. Die einen fordern Kombilohnprogramme, die flächendeckend eingesetzt finanziell teuer, arbeitsmarktpolitisch wirkungslos und gesellschaftspolitisch fragwürdig sind: Bereits jetzt haben wir Hunderttausende "Aufstocker", die einen geringen Verdienst mit staatlicher Förderung kombinieren. Sie werden als Indiz steigender Armut verstanden, der man mit einem Mindestlohn begegnen müsse.

Ein Mindestlohn wird von anderen direkt lautstark gefordert, da man von seiner Hände Arbeit leben können müsse. Was sich plausibel anhört, führt zu grotesken Ergebnissen: Der Mindestlohn, zu niedrig angesetzt, bewirkt nichts, da er auf nur wenige trifft. Oder er ist wirksam angesetzt, dann bewirkt er entweder direkt oder indirekt Arbeitslosigkeit unter den Bedürftigsten, die damit gezwungen werden, nicht zu arbeiten. Nach aller Erfahrung schafft das Armut und verstärkt Ungleichheit, da es vor allem den nicht Bedürftigen gelingen wird, vom Mindestlohn zu profitieren.

Die unter dem Mindestlohn arbeiten, könnten, falls aus bedürftigen Haushalten, staatliche Transferzahlungen in Anspruch nehmen, die wirtschaftlich günstiger sind als die ausgeübte Berufstätigkeit. Sie würden zuerst davon betroffen sein, wenn die Unternehmen aufgrund des Kostendrucks eines Mindestlohns Arbeitskräfte entlassen, und sie dürften dann entgegen ihren Wünschen nicht arbeiten. Denn jetzt besser bezahlt, werden diese Jobs eher vom steigenden Heer an Arbeitnehmern übernommen, die als Rentner, Schüler, Studenten, Hausfrauen und Zweitverdiener aus ökonomisch gut stehenden Haushalten stammen und die nicht von dieser Arbeit leben müssen.

Steigende Preise werden insbesondere die Branchen treffen, in denen arbeitsmarktpolitisch sensible Personengruppen Beschäftigung gefunden haben: Entweder werden sie direkt entlassen, weil die Nachfrage einbricht, oder die Nachfrager brauchen diese Güter und Dienstleistungen und werden ihre Ausgaben dafür in anderen Branchen einschränken, wo ebenfalls die Problemgruppen des Arbeitsmarktes betroffen sind.

In der Diskussion wird gern auf angeblich positive Erfahrungen im Ausland verwiesen. Nun fallen in England wenige unter den Mindestlohn und in Frankreich werden die Unternehmen mit Milliardenaufwand quersubventioniert. In den Vereinigten Staaten erzeugt der Mindestlohn Arbeitslosigkeit, und wo nicht, da profitieren die falschen Gruppen davon, sodass das Umverteilungsziel nicht ereicht wird.

Einige Fakten sollten uns deshalb davon abhalten, mit der allgemeinen Einführung eines Mindestlohns in Deutschland einen grandiosen arbeitsmarktpolitischen Fehler zu begehen: Die Aufstocker, die zusätzlich zur Arbeit staatlich unterstützt werden, stammen überwiegend nicht aus bedürftigen Haushalten und sind deshalb kein Beleg für Armut. Nach Berechnungen des DIW Berlin auf Basis des Sozio-ökonomischen Panels wären von einem Mindestlohn von Euro 7,50 in Westdeutschland 12 Prozent der Arbeitnehmer betroffen, 24 Prozent in Ostdeutschland. Allerdings müssen nur ein Drittel dieser Personen in Ost (8 Prozent) und West (4 Prozent) von diesem Einkommen auch leben. Dies belegt nachdrücklich, dass die Probleme bedürftiger Haushalte an anderer Stelle angegangen werden müssen, da hier der falsche Personenkreis profitieren würde.

Der zynische Teil der Diskussionsteilnehmer schlägt vor, einen sehr niedrigen Mindestlohn einzuführen. Dann wäre die Diskussion vom Tisch; man könnte sich wichtigeren Fragen zuwenden. Nur noch 7 Prozent der ostdeutschen und 3 Prozent der westdeutschen Arbeitnehmer wären davon betroffen, nur jeweils 1 Prozent der Personen lebt davon. Entstehende Arbeitslosigkeit oder Fehlverteilung hielte sich in Grenzen.

Dies übersieht die fatalen langfristigen Wirkungen eines Mindestlohneinstiegs. Er legte die Lunte an die Tarifautonomie und führte zu Abstandsanstrengungen der Gewerkschaften bei ihren Tarifabschlüssen. Die Wahlkämpfe hätten ein zentrales Thema für immer größere Wohltaten, die auf Kosten von Wachstum und Verteilungsgerechtigkeit gingen.


Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

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