Höchste Zeit für vorsorgende Arbeitsmarktpolitik

Logo
06. November 2001, Süddeutsche Zeitung

(Gastbeitrag Klaus F. Zimmermann)

Stigmatisierung von Entlassenen verhindern / Solidarität und Flexibilität / Job-Aqtiv-Gesetz als Chance
 

Im vergangenen Jahr hatte die vorzügliche Entwicklung der Weltwirtschaft, begleitet von kluger Steuer- und Lohnpolitik, einen günstigen makroökonomischen Rahmen für die nachhaltige Erholung am Arbeitsmarkt geschaffen. Doch es fehlte an gestalterischer Kraft und auch an Entschlossenheit zu flankierenden mikroökonomisch orientierten Reformen für mehr Flexibilität der Arbeitsmärkte. Welch große Chance versäumt wurde, zeigt sich heute, wo wieder eine Rezession droht und die Arbeitslosigkeit steigt. Angesichts der angeschlagenen Weltkonjunktur sind von einem strukturellen Umdenken keine raschen Wirkungen zu erwarten. Fatal wäre es allerdings, die Arbeitsmarktpolitik deshalb und wegen des nahen Bundestagswahlkampfs in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen.

**Sicherheitsbedürfnis wächst**

Es sind nicht allein Rezessionsgefahren, die nach aktivem Handeln rufen. Als Folge des Terrors greift derzeit ein neues Sicherheitsbedürfnis um sich, das weit über den Bereich der Inneren Sicherheit hinausgeht. Flexibilität, das Zauberwort des letzten Jahrzehnts, gerät außer Mode. Dies ist eben nur eine Seite der Medaille, auf deren anderer das Wort Unsicherheit steht. Unsicherheit ist das Schwungrad der Eigeninitiative, doch als Tugend ist sie zur Zeit wenig gefragt. Sicherheit wird wieder groß geschrieben. Dazu kommen die bekannten Risiken einer alternden Gesellschaft näher. Alternde Arbeitsmärkte sind aber inflexibler und verstärken das Sicherheitsdenken. Darauf muß die Arbeitsmarktpolitik reagieren und das scheinbar Unvereinbare möglich machen, nämlich Flexibilität und Sicherheit miteinander verbinden.

Hauptleidtragende der gegenwärtigen Konjunkturschwäche sind erneut die Geringqualifizierten, deren Arbeitslosigkeitsrisiko weiter steigt. Ihr geringes Humankapital ist rasch entwertet, sie sind schneller demotiviert und oftmals auch zu wenig flexibel, um sich neuen Chancen anzupassen. Zugleich wird von Seiten der Arbeitsmarktpolitik zu wenig getan, damit solche Chancen überhaupt entstehen. Rasch kippt der Dominostein: Die Arbeitslosen werden stigmatisiert, hoch subventionierte Dauerarbeitslosigkeit mündet in Chancenlosigkeit und Sozialhilfebiographien. Es ist höchste Zeit, hier einzugreifen - mit einer konsequent präventiven Arbeitsmarktpolitik.

Ökonomisch betrachtet, entsteht Arbeitslosigkeit, wenn der Reallohn die Grenzproduktivität der Arbeit übersteigt, die Rechnung für den Unternehmer also nicht aufgeht. Dauerhaft kann die Lösung nur von einer produktiven, kraftvollen Wirtschaft kommen, die Nachfrage nach Arbeit schafft. Die Möglichkeiten der Arbeitsmarktpolitik sind begrenzt. Doch gerade deshalb müssen sie entschiedener genutzt werden. Dabei muß die Rolle des Staates neu gedacht werden, ohne wie früher alles von ihm zu erwarten.

Erforderlich ist ein neues Verständnis von Arbeitsmarktpolitik, ein visionärer ‚New Deal', der mit einem Bekenntnis zur Solidarität mit den Arbeitslosen beginnt, diese Solidarität aber auf ein modifiziertes, stabileres Fundament gründet und endlich davon wegkommt, Arbeitslosigkeit hauptsächlich zu verwalten. Dauerhafte Solidarität kann es nur geben, wenn jemand zur Aufnahme von Arbeit bereit ist, notfalls um den ordnungspolitisch häßlichen Preis einer befristeten Lohnsubvention.

Präventive Arbeitsmarktpolitik kann an vielen Punkten ansetzen. Stichwort "Lebenslanges Lernen": Dazu müssen sich die Hochschulen umfassend öffnen - sie haben sich bisher dieser Verantwortung entzogen. Ebenso wichtig ist die Stimulierung und Zertifizierung privatwirtschaftlich organisierter Weiterbildung. Die Tarifvertragsparteien sollten hier ihre Bemühungen vorantreiben, mit der Verzahnung von Arbeitszeitkonten, Sabbatjahren und betrieblicher Weiterbildung Puffer zu etablieren. So kann Flexibilität auch einen qualifizierenden Beitrag für den Arbeitsmarkt erbringen.

Unternehmen könnten überdies im Falle betriebsbedingter, nicht durch den Arbeitnehmer zu vertretender Kündigung dazu verpflichtet werden, schon vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses präventiv für den Arbeitnehmer tätig zu werden. Das wäre sinnvoller als ein Sozialplan, der nur den Weg in die Arbeitslosigkeit polstert. So könnte die Vermittlungstätigkeit des Arbeitsamtes früher beginnen, private Vermittler eingeschaltet werden und moderierende Stellen-, Bewerber- und Qualifizierungsbörsen von Firmenverbünden gegründet werden.

**Eigeninitiative gefördert**

Natürlich müssen sich Betrieb und Arbeitsamt und private Vermittler auf Problemgruppen konzentrieren. Es geht nicht um flächendeckende Hilfen und Schaffung von Versorgungsmentalität. Die Gefahr, daß der Arbeitnehmer durch präventives Handeln noch früher stigmatisiert wird, läßt sich durch diskrete Förderung vermeiden. Die Eigeninitiative wird nicht gehemmt, sondern unterstützt, wenn ein individuelles, überprüfbares Förderabkommen abgeschlossen wird - ganz im Sinne des von der Bundesregierung propagierten "Förderns und Forderns".

Die gegenwärtige Praxis, daß erst gehandelt wird, wenn der Arbeitnehmer arbeitslos geworden ist oder er bereits zu lange "sein Glück versucht" hat, vergeudet wertvolle Zeit, fördert die Stigmatisierung. Die Beratungen zum Job-AQTIV-Gesetz bieten eine erste Chance, Elemente einer präventiven Arbeitsmarktpolitik zu verwirklichen.


Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

Back