Zimmermann warnt vor Panikmache

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24. April 2001, Berliner Zeitung

(Interview mit Klaus F. Zimmermann)

DIW-Chef kritisiert falsche Zuwanderungszahlen
 

Droht Deutschland mit der EU-Osterweiterung eine Völkerwanderung? Klaus F. Zimmermann, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), wehrt sich gegen übertriebene Zahlen, die dem Bonner IZA zugeschrieben wurden.

Herr Professor Zimmermann, Sie versetzen die Republik in Angst und Schrecken: Europa drohe mit der EU-Osterweiterung eine Völkerwanderung, meldete die "Welt am Sonntag". Bis zu sechs Millionen Zuwanderer würden schon bald aus den Beitrittsländern nach Deutschland drängen. Dies habe Ihr Institut, das IZA, errechnet.
Die Rede war sogar von fünf bis sechs Millionen Arbeitssuchenden. Derart gigantische Zahlen kann niemand erdacht haben, der über wissenschaftlichen Sachverstand verfügt. Richtig ist: Bereits 1999 hat das IZA eine Studie vorgelegt. Darin wurde das Zuwanderungspotenzial auf zwei bis drei Millionen Menschen prognostiziert, allerdings bezogen auf einen Zeitraum von 15 Jahren. Das sind nur 90000 bis 140000 Menschen jährlich, von denen lediglich ein Teil Arbeit suchen würde.

Wie kommt es zu solchen Tataren-Meldungen? Immerhin war in der Zeitung neben dem IZA auch das renommierte Münchner Ifo-Institut als Quelle angeführt?
Das Ifo-Institut hat eigene statistische Berechnungen durchgeführt, denen zufolge bis zu fünf Millionen Menschen aus den Beitrittsländern nach Deutschland strömen könnten. Allerdings halte ich die dabei angewandte Methode für sehr fragwürdig. Ich halte das für kein solides Verfahren.

Wer war Auftraggeber der IZA-Studie?
Die britische Regierung.

Und wer war Auftraggeber der Ifo-Studie?
Das Bundesarbeitsministerium.

Das klingt unverdächtig. Trotzdem scheint es, als vermuteten Sie einen Zusammenhang zwischen dem Zeitungsartikel vom Wochenende und der Tatsache, dass die CSU an diesem Montag ihre zuwanderungskritische Position dargelegt hat.
Jedenfalls ist die zeitliche Abfolge sehr merkwürdig. Hinzu kommt: Das Ifo-Gutachten gibt die Zahlen des IZA leider völlig falsch, nämlich weitaus übertrieben, wieder.

Kommen solche Zitierfehler unter Wissenschaftlern nicht häufiger vor?
Dass man Bündnisgenossen für die eigene Position sucht, ist nichts Ungewöhnliches. Ungewöhnlich ist eine derart mangelnde Sorgfalt.

Werfen Sie dem Münchner Institut vor, dass es sich an einer politischen Manipulation beteiligt hat?
Ich weiß nur so viel: Es ist für Wissenschaftler schon unangenehm, wenn dieser Eindruck entstehen könnte.


Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

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