Keine Integration ohne Deutschkenntnisse?

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11. Juni 2001, Berliner Zeitung

(Gastbeitrag Holger Hinte/Klaus F. Zimmermann)
 

Von Holger Hinte und Klaus F. Zimmermann

Es klingt vernünftig: Zuwanderer, die nach Deutschland kommen wollen, werden zum Deutschlernen verpflichtet und sollen schon vor der Einreise Sprachkurse besuchen. Doch Vorsicht: in dem Bemühen, die bislang widersprüchliche und fragmentarische Sprachförderung für Zuwanderer zu reformieren, sollten wir nicht übers Ziel hinausschießen. Ein Zuwanderungsgesetz soll helfen, qualifizierte Immigranten anzuwerben, die uns ökonomisch voranbringen. Genau diese Gruppe wird aber international umworben. Warum sollte sich ein potentieller Emigrant für Deutschland entscheiden, wenn er zwar einigermaßen die Weltsprache Englisch spricht, aber kein Deutsch, von uns jedoch dazu verpflichtet werden soll, schon vor der Einreise unsere Sprache zu lernen? Damit wäre ein nicht zu unterschätzender Abschreckungseffekt verbunden, den wir uns im Wettbewerb um die besten Köpfe nicht leisten können, zumal wir die Attraktivität Deutschlands als Zielland der Eliten erst noch erarbeiten müssen. Noch fehlt es uns an einer überzeugenden Konzeption und der Praxis, die das Zuwanderungsangebot der USA oder Kanadas ausstechen könnten.

Neben der verläßlichen quantitativen Steuerung ist das ja gerade eine zentrale Aufgabe eines zukünftigen Zuwanderungs- und Integrationsgesetzes: die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß Deutschland gestärkt in diesen Wettbewerb eintreten kann. Der bescheidene Erfolg der Green Cards zeigt, wo der Schuh drückt. Er wird nicht weiter dadurch, daß ein pauschales Sprachkriterium als Einlegesohle hineingeschoben wird.

Daß die bisherige Sprachförderung unzureichend ist, wird niemand bestreiten können. Für Spätaussiedler, die nach Deutschland kommen wollen und sich auf ihre deutsche Abstammung berufen, werden zwar seit 1996 Sprachtests durchgeführt. Zur Teilnahme sind aber nur die Antragsteller verpflichtet, nicht jedoch deren Familienangehörige, die längst das Gros der einreisenden Spätaussiedler stellen und meistens kein Deutsch sprechen. Sie können zwar freiwillig einen separaten Test absolvieren. Im Erfolgsfall kann das Anerkennungsverfahren zügiger abgeschlossen werden - durchaus ein positiver Anreiz also -, doch reichen die Sprachkenntnisse bei der großen Mehrheit der Familienangehörigen von Aussiedlern einfach nicht aus, um den Test zu bestehen. Bei ihnen und bei ausländischen Zuwanderern verlassen wir uns bislang darauf, daß der Spracherwerb dann irgendwann freiwillig in Deutschland stattfindet. Doch ohne die entsprechenden Anreize trügt diese Hoffnung zu oft. Erst seit dem letzten Jahr wird der Einbürgerungsanspruch von Ausländern überhaupt an den Nachweis von Sprachkenntnissen gekoppelt. Das ist entschieden zu spät, denn in den acht Jahren, bis dieser Rechtsanspruch entsteht, leidet die Integration unter den häufig mangelhaften Deutschkenntnissen, und die Eingliederung in den Arbeitsmarkt wird erheblich erschwert. Ein wesentlicher Grund für niedrigere Einkommen und hohe Arbeitslosigkeit von Ausländern und Aussiedlern ist denn auch in deren Sprachdefiziten zu suchen.

Die Zeit ist also reif für ein neues Konzept, das den Spracherwerb von Zuwanderern beschleunigt. Es erscheint uns dabei vernünftiger, auf positive Anreize statt auf Zwang oder gar Sanktionen zu setzen. Ein Punktesystem für die Auswahl von Zuwanderern muß zweifellos vorhandene Sprachkompetenz berücksichtigen: Wer Deutschkenntnisse belegen kann, erhält mehr Punkte und mit höherer Wahrscheinlichkeit die Einreisegenehmigung. Umgekehrt heißt das aber auch, daß die Einreise grundsätzlich auch dann möglich sein muß, wenn keine Deutschkenntnisse zum Zeitpunkt der Antragstellung vorhanden sind. Andere Qualifikationen müssen diesen Nachteil im Punktesystem wettmachen können.

Entscheidet man sich für ein solches, etwa in Kanada bewährtes Verfahren, kommt der Förderung des Deutschlernens im Inland natürlich eine besondere Bedeutung zu. In Kanada sind für zahllose Berufsgruppen bis hinunter zum Taxifahrer abgestufte Sprachanforderungen zu erfüllen, ohne die keine Berufserlaubnis erteilt wird. Dort hängt der Erfolg auf dem Arbeitsmarkt sehr wesentlich vom Umfang der Sprachkenntnisse ab. Davon kann Deutschland einiges lernen. Allerdings werden die Deutschkenntnisse "unserer" Zuwanderer tendenziell geringer sein als die Kenntnisse des Englischen bei "kanadischen" Zuwanderern. Insofern wären wir gut beraten, dieses Marktmodell durch weitere Schritte zu flankieren. Skepsis ist allerdings angebracht gegenüber dem jüngst geäußerten Vorschlag, ausbleibenden Spracherwerb mit Sanktionen zu bedrohen und beispielsweise den Sozialhilfeanspruch zu kürzen. Dies will nicht so recht zu einem auf den Fachkräftebedarf abgestellten Zuwanderungsgesetz passen, sondern kann allenfalls für bereits im Land lebende Zuwanderer gelten. Aber auch hier, wie ohnehin generell, dürfte ein System positiver Anreize erfolgreicher sein.

Attraktiv ist das Kautionsmodell nach australischem Vorbild. Sind keine Sprachkenntnisse vorhanden, wird eine Kaution fällig, die erst dann und auch nur dann zurückgezahlt wird, wenn innerhalb einer bestimmten Frist Sprachkurse besucht worden sind. Sehr überlegenswert ist auch das von der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung ins Gespräch gebrachte und von der Union soeben aufgegriffene Konzept der "Integrationsverträge" nach niederländischem Vorbild: Werden Sprach- und Integrationskurse rasch und erfolgreich absolviert, wird um so schneller eine Arbeitserlaubnis erteilt, ein Darlehen für die Existenzgründung gewährt oder die Einbürgerung angeboten. Dieses Prinzip setzt Belohnung an die Stelle von Bestrafung und könnte auf Neu- wie auch auf Alt-Zuwanderer Anwendung finden.

Vor übertriebenen Erwartungen sei dennoch gewarnt: Der Erwerb von Sprachkenntnissen ist elementar für die gesellschaftliche Eingliederung, genügt jedoch nicht alleine, um die ökonomische Integration von Zuwanderern nachhaltig zu verbessern. Dort, wo es an der adäquaten Ausbildung mangelt, helfen auch verbesserte Sprachkenntnisse nur bedingt weiter. Ein Zuwanderungsgesetz wird für Neuzuwanderer beide Faktoren zu bewerten haben - und sich gegen die Zuwanderung von geringer Qualifizierten entscheiden. Für neu einreisende Aussiedler, nachziehende ausländische Familienangehörige und insbesondere für die schon hier lebenden Zuwanderer, die außerhalb der Auswahlkriterien eines solchen Gesetzes stehen, gilt allerdings, daß der raschere Erwerb von Deutschkenntnissen mit der Verbesserung ihres Bildungsniveaus einhergehen muß, um die Arbeitsmarktchancen zu vergrößern. Auch hier bleiben viele Versäumnisse der Vergangenheit aufzuarbeiten. Integrationspolitik darf nicht einäugig sein und nur auf die Karte des Deutschlernens setzen.

Holger Hinte ist Wissenschaftler am Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) und Co-Autor einer neuen IZA-Studie "Keine Integration ohne Sprachkenntnisse? Zuwanderung und Spracherwerb in Deutschland und Kanada", die beim IZA zu beziehen ist. [Download als PDF-Datei]

Prof. Dr. Klaus F. Zimmermann ist Direktor des IZA und Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin)


Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

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