Von Stephan Lorz, Frankfurt
Das noch im vorvergangenen Jahr als "Unwort des Jahres" geschmähte
"Humankapital" wird in einigen Jahren wohl in ganz anderem Licht betrachtet:
Wurden die Arbeitnehmer bislang eher als Kostenfaktoren gesehen, denen nur
mit
Massenentlassungen beizukommen war, wird es in den nächsten Jahrzehnten
zumindest um gut ausgebildete Erwerbstätige vom Hochschulabsolventen bis hin
zum Meisterschüler einen heftigen Wettbewerb geben. Und auch ältere
Arbeitnehmer, die bislang mit Vorruhestandsregelungen aus den Betrieben
komplimentiert worden sind, werden sich neuer Wertschätzung erfreuen. Denn
mit
dem demografisch bedingten Rückgang der Erwerbstätigen wird man sich ihrer
Leistungsfähigkeit wieder bewusst.
Während die ersten Folgen der demografischen Umwälzung bereits in etwa einem
Jahrzehnt zu spüren sein werden, lassen sich Politik und Wirtschaft nach
Ansicht von
Klaus F. Zimmermann, Direktor des Instituts für die Zukunft der Arbeit (IZA)
in Bonn
und Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in
Berlin,
indes weiter treiben, statt zu handeln und das regulatorische und
unternehmerische
Umfeld den neuen Herausforderungen anzupassen.
"Demografischer Wandel als unternehmerische Herausforderung", so lautet denn
auch das Thema des 60. Deutschen Betriebswirtschafter-Tages, der in diesem
Jahr in
Frankfurt stattfindet. Referenten aus Wissenschaft und Praxis diskutieren
über die
Folgen des Arbeitskräfterückgangs sowie der Alterung für Produkte,
Marketing,
Pensionen und Personalpolitik.
DIW-Chef Zimmermann drängte Politik und Wirtschaft zur Eile, denn die
demografische Entwicklung sei unaufhaltsam und könne allenfalls etwas
gebremst
und verzögert werden. So werde ohne entsprechende Zuwanderung die Zahl der
Erwerbspersonen im Jahr 2015 um etwa 150 000 schrumpfen, fünf Jahre später
aber
bereits um weitere knapp 270 000 mit wachsender Tendenz. Bei einer
Nettozuwanderung von etwa 200 000 Personen im langjährigen Mittel sei diese
Entwicklung nicht mehr zu kompensieren. Zudem seien von den gegenwärtigen
Zuwanderern allenfalls 60 % in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Punkteregel für Zuwanderer
Zimmermann forderte in diesem Zusammenhang eine kohärente
Zuwanderungspolitik, die eine gezielte Steuerung der Immigration anstrebt.
Bewährt
hat sich nach seiner Meinung dabei ein Punktesystem nach dem Vorbild
Australiens
und Kanadas. Dabei sollten die Qualifikation, das Alter und die
Berufserfahrung
ebenso eine Rolle spielen wie die Sprachkenntnisse oder ein vorheriger
Aufenthalt im
Land bzw. bereits ansässige Verwandtschaft. Für eine temporäre Zuwanderung,
die
akute Lücken schließt, kann sich Zimmermann ein Auktionsverfahren
vorstellen, in
dem Unternehmen das Recht ersteigern müssen, auf dem Weltmarkt nach
Zuwanderern zu suchen. Dadurch müssten die Unternehmen ihre Kalkulation
offen
legen, und der Staat könne einen Teil der damit erzielten erwarteten
Unternehmensgewinne abschöpfen.
Neben der Zuwanderung muss ein erfolgreicher "policy mix" nach Meinung von
Zimmermann auch die Erwerbsquote von Frauen steigern. Hier kritisierte er
die
"Lippenbekenntnisse" vieler Unternehmer, die sich zwar immer dazu bekannten,
in
der Praxis aber die Personalpolitik und das Umfeld nicht ändern würden.
Notwendig
seien flexiblere Arbeitszeitmodelle, Kinderbetreuungsangebote, Telearbeit
und
Weiterbildungsangebote während der Elternzeit, um das "Humankapital" von
Frauen
zu binden und zu erhalten.
Schließlich müssen die Unternehmen auch ihr Verhältnis zu älteren
Arbeitnehmern
überdenken. Die Weiterbeschäftigung älterer Arbeitnehmer sei angesichts der
bevorstehenden "Nachschubprobleme" im Fachkräftesegment des Arbeitsmarktes
"ohne Alternative". Kurzsichtige Ausgrenzungsstrategien der Vergangenheit
würden
noch nachwirken. Neben den Unternehmen, die ihre betrieblichen Strukturen
nicht
hinreichend auf Qualifizierung und altersgerechte Beschäftigungs- bzw.
Entlohnungsmodelle ausgerichtet haben, sei hier auch der Staat gefordert,
die
private Weiterbildung im Alter zu fördern und die Lebensarbeitszeit weiter
zu
verlängern. In Bezug auf die Weiterbildung sieht Zimmermann aber auch die
Hochschulen in der Pflicht, entsprechende Angebote zu schnüren. Da
Deutschland
keine Weiterbildungstradition und -struktur aufgebaut habe, falle es den
Verantwortlichen besonders schwer, hier tätig zu werden.
Weiterbildung forcieren
Nicht nur in Bezug auf ältere Arbeitskräfte, sondern grundsätzlich gehört zu
einer
Strategie zur Bewältigung der demografischen Umwälzungen ein besseres
Bildungsangebot. Während nämlich einerseits zur Steigerung der
Wettbewerbsfähigkeit ausgebildete Facharbeiter und Universitätsabsolventen
verstärkt nachgefragt werden, wovon das deutsche Bildungssystem nach
Darstellung
der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)
zu
wenig "produziert", werden ungelernte Arbeitskräfte, von denen es zu viele
gebe, es
auch in Zeiten höchster demografischer Anspannung schwer haben, eine
Anstellung
zu finden. Dieser "qualifikatorische ,mismatch‘", so Zimmermann, sei der
Grund
dafür, dass trotz Rückgangs an Arbeitskräften insgesamt die Demografie wohl
nicht
für eine Entspannung auf dem Arbeitsmarkt sorgen werde.
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