In diesen Tagen gibt Kanzler Gerhard Schröder den souveränen Staatslenker, den auch schlechteste Nachrichten nicht aus der Fassung
bringen können - auch wenn die Konjunktur abschmiert, der Abbau der Arbeitslosigkeit nicht mehr vorankommt, die Inflation anschwillt und
die Gewerkschaften voller Kampfeslust eine harte Lohnrunde ankündigen. "Was wir jetzt brauchen", wiederholen Schröder und seine
Getreuen unermüdlich, "ist eine Politik der ruhigen Hand." Optimismus, Optimismus, Optimismus, lautet die Devise. So hofft der Kanzler,
mit seiner Mannschaft einigermaßen unbeschadet durch die nächsten Monate zu kommen und das Sommertheater den Merkels und
Merzens von der CDU zu überlassen.
Jetzt droht Streit
Doch ausgerechnet jetzt droht ein Streit auszubrechen, der schon seit einiger Zeit zwischen den Finanz- und Sozialexperten der
Regierungskoalition schwelt. Es geht dabei um die Frage, wie der starre deutsche Arbeitsmarkt reformiert werden kann, um mehr
Menschen in Lohn und Brot zu bringen. Denn schon jetzt ist klar: Das Ziel, die Arbeitslosigkeit im Wahljahr 2002 auf die Marke von 3,5
Millionen zu senken, kann Schröder nicht mehr erreichen - wenn alles weiter läuft wie bisher.
Immer lauter fordern deshalb die Finanzpolitiker der Koalition beherzte Schritte, um die Erstarrung am Arbeitsmarkt endlich aufzubrechen.
Doch die Sozialexperten bremsen; sie wollen behutsam vorgehen und vor der kommenden Lohnrunde auf keinen Fall die Gewerkschaften
vergrätzen.
Einer hat vorgesorgt, um sich für die anstehende Debatte zu wappnen - Bundesfinanzminister Hans Eichel. Er bestellte sich
Argumentationshilfe von prominenter, aber ideologisch unverdächtiger Seite: In seinem Auftrag erstellte Klaus F. Zimmermann, Direktor
des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), zugleich Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), gemeinsam
mit drei weiteren Ökonomen ein Gutachten zur aktiven Arbeitsmarktpolitik in Deutschland. Die Wissenschaftler nahmen dafür die
Arbeitsmarktpolitik in erfolgreichen Ländern wie den USA und den Niederlanden unter die Lupe - um daraus für den heimischen
Arbeitsmarkt zu lernen.
Das knapp 200 Seiten starke, bisher unveröffentlichte Werk*, das der "Berliner Zeitung" vorliegt, dürfte für reichlich Diskussionsstoff
sorgen. Die zentrale Botschaft lautet: Die im großen Stile praktizierten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) gehören so schnell wie
möglich abgeschafft. Sie richten auf dem Arbeitsmarkt weit mehr Schaden als Nutzen an. Sie holen zwar kurzfristig Arbeitslose von der
Straße, führen aber viel zu selten zur Eingliederung in einen festen Job. Dafür sind sie sündhaft teuer, erfordern enormen bürokratischen
Aufwand und bergen zudem die Gefahr, privatwirtschaftliche Initiativen und reguläre Arbeitsplätze zu vernichten.
Statt die kostspieligen ABM-Programme zu finanzieren, empfehlen Zimmermann und seine Mitstreiter, künftig vor allem auf
Lohnsubventionen plus Qualifizierungsmaßnahmen zu setzen. Bis zu 800 000 Arbeitslose können nach Einschätzung Zimmermanns auf
diese Weise wieder in einen Job gebracht werden (siehe Interview rechts).
Zwar wurde die Idee, durch Lohnsubventionen auf breiter Front mehr Jobs zu schaffen, hier zu Lande schon einmal diskutiert. Damals
sorgte ein Strategiepapier der Gesellschaftsforscher Wolfgang Streeck und Rolf G. Heinze für eine aufgeregte Debatte. Auch des Kanzlers
Bündnis für Arbeit griff die Idee auf. Seither werden zwei Ansätze erprobt, die gering Qualifizierte in Arbeit bringen sollen - das Saar-Modell
und das Mainzer Modell. Doch die Ergebnisse sind kläglich (siehe Kasten).
Für Zimmermann wurde der Misserfolg der Projekte allerdings programmiert: Zum einen seien sie mit Bürokratie überfrachtet. Zum
anderen könnten Unternehmen und Arbeitslose derzeit aus einem reichhaltigen Förderprogramm der Arbeitsämter wählen - die
Anreizwirkung von Lohnsubventionen gehe deshalb unter.
Zimmermanns Vorschläge dürften allerdings insbesondere in Ostdeutschland für Aufregung sorgen. Denn gerade hier sind
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für viele Menschen der letzte Strohhalm, nach dem sie greifen können.
Riester zögert
Bundesarbeitsminister Walter Riester kennt die Probleme, doch mit Blick auf die Wähler in den neuen Ländern will er bei der anstehenden
Arbeitsmarkt-Reform um jeden Preis harte Schnitte in Sachen Arbeitsbeschaffung vermeiden. "Es ist unbestritten", gab Riester kürzlich
zu Protokoll, "dass wir öffentlich geförderte Arbeit weiter brauchen."
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