Lob der Makroökonomie

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07. April 2005, Handelsblatt

(Gastbeitrag von Klaus F. Zimmermann)

Niedrigere Unternehmenssteuern und mehr Ausgaben für Bildung zeigen:
Der Zeitgeist wirkt zu Gunsten einer kombinierten Angebots- und Nachfragepolitik
 

Der ökonomische Zeitgeist wandert derzeit ins Lager der Anhänger eines makroökonomischen Policy-Mix aus verbesserten Angebotsbedingungen und einem positiven makroökonomischen Rahmen. Eine deutliche Senkung der Unternehmenssteuern und der Lohnnebenkosten soll Anreize für Investitionen und Personaleinstellungen bieten, wohingegen eine weniger restriktive Haushaltspolitik und höhere Staatsausgaben für Infrastruktur und Bildung den nötigen Nachfragesog erzeugen. Das ist auch aus wissenschaftlicher Sicht ein sinnvolles Konzept.

Überbordende Haushaltsdefizite und ineffektive staatliche Ausgabenprogramme haben in den siebziger und achtziger Jahren zu wachsenden staatlichen Schuldenbergen geführt und mit dem Glauben aufgeräumt, Vollbeschäftigung und Konjunkturstabilität seien durch geeignete Fiskalpolitik zu erreichen. Stattdessen ging das Gespenst der Wachstumskrise um, immer größere Zinslasten beschränkten die Handlungsspielräume des Staates.

Eingeschnürt ins enge Korsett des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes, schien eine keynesianisch orientierte Wirtschaftspolitik seit Anfang der neunziger Jahre endgültig im Archiv der Wirtschaftsgeschichte abgelegt worden zu sein. Die Stagnation der letzten Jahre hat allerdings auch gezeigt, dass eine Haushaltskonsolidierung nicht gelingen kann, wenn in den Abschwung hinein gespart wird. Die Lockerung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes war deshalb nur die konsequente und folgerichtige Reaktion. So werden heute wieder Forderungen laut, die anhaltende Wirtschaftsflaute durch Konjunkturspritzen auf Touren zu bringen.

Die Wiedergeburt des Keynesianismus wird zelebriert, der gegen konservative Angebotstheoretiker in Stellung gebracht wird. Die simple Angebots-Nachfrage-Betrachtung ist dabei aber eine typische Missgeburt des deutschen Medienbetriebes. Da Aufmerksamkeit nur durch schrille Positionen erzielt werden kann, befeuern sich Medienstrategen und Pseudowissenschaftler gegenseitig, um ideologische Bedürfnisse zu befriedigen oder zu unterhalten.

Diese Diskussion hat sich längst vom Stand der Wirtschaftswissenschaft abgekoppelt. Angebots- und Nachfragefaktoren lassen sich empirisch gar nicht auseinander halten, eine positive wirtschaftliche Entwicklung kann nur entstehen, wenn ökonomische Anreize und gesamtwirtschaftliche Nachfrage zusammenwirken. Hohe Lohnabschlüsse stärken die Massenkaufkraft, den Konsum und die Beschäftigung - wenn nicht die Haushalte angesichts erwarteter Inflation und steigender Arbeitslosigkeit in Angstsparen verfallen. Hohe Löhne können technischen Fortschritt und somit angebotsorientiert Wachstum erzeugen - wenn die Effekte nicht durch Freisetzung von Arbeitskräften und Minderkonsum aufgesogen werden.

Angebotstheoretisch motivierte Lohnzurückhaltung stärkt die internationale Wettbewerbsfähigkeit eines Landes und führt zu einem Nachfrageimpuls, der die Investitionen und die Binnenkonjunktur stimulieren kann - wenn die Unternehmer nicht infolge schwacher Absatzerwartungen neue Initiativen scheuen.

Die Aufgabe der Wissenschaft ist es, ihr gesichertes, breit akzeptiertes Wissen der Gesellschaft verständlich und nützlich zu machen. Die Zeit der großen makroökonomischen Lagerdebatten ist längst vorbei. Das gilt zumindest für die an der internationalen Entwicklung orientierten Wissenschaftler.

Makroökonomen aller Schattierungen benutzen dasselbe methodische Instrumentarium. Es gibt einen breiten Grundkonsens über wichtige makroökonomische Zusammenhänge. Nachfrageschwankungen beeinflussen die Konjunktur. Höhere Budgetdefizite, ein größeres Geldmengenwachstum oder sinkende Zinsen sowie ein gestiegenes Vertrauen von Verbrauchern und Investoren führen zu vermehrter Produktion und zu einem Abbau an Arbeitslosigkeit. Staatsdefizite sind somit zwar kurzfristig günstig, langfristig aber schädlich für das Wirtschaftswachstum. Politikstrategien können von den Wirtschaftssubjekten auch konterkariert werden. Die Struktur des Staatshaushalts ist gleichfalls wichtig. Infrastrukturinvestitionen und Ausgaben für Forschung und Bildung sichern auch langfristiges Wachstum.

Die meisten modernen Makroökonomen sind Keynesianer in dem Sinne, dass sie nicht alle Märkte im Gleichgewicht sehen und von kurzfristig begrenzt flexiblen Lohn- und Preismechanismen ausgehen. Sie akzeptieren auch, in Krisensituationen die automatischen Stabilisatoren wirken zu lassen, also Budgetdefizite durch Steuerausfälle und steigende Transferzahlungen hinzunehmen. Und moderne Keynesianer akzeptieren die Forderung nach einer Mikrofundierung und Mikroprüfung der Makroökonomie, die Einbeziehung der Erwartungen der Individuen in Bezug auf künftige Ereignisse und die Lernfähigkeit der Wirtschaftssubjekte.

Nach Jahren der relativen Bedeutungslosigkeit im wissenschaftlichen und politischen Raum erwächst der Makroökonomie wieder steigende Aufmerksamkeit und Anerkennung. Diese Chance darf nicht verspielt werden. Deshalb hat Einheit vor Vielfalt zu kommen, es müssen die gesicherten und breit akzeptierten Erkenntnisse der Makroökonomie in die Politikdiskussion importiert werden. Wissenschaftliche Exzellenz muss dabei die Basis jeder öffentlichen Beratung sein. Es wäre ferner ein Fehler, die Bedeutung von Anreizen für den wirtschaftlichen Fortschritt zu ignorieren. Moderne, auch keynesianische Makroökonomen akzeptieren die Dualität von Angebots- und Nachfragepolitik. Nur eine gemischte Strategie wird Deutschland wieder auf ökonomischen Erfolgskurs bringen.


Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

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