Zur Debatte um ein Zuwanderungsgesetz: Nötig ist eine solide, nachvollziehbare Regelung

Logo
10. Dezember 1998, Süddeutsche Zeitung

(Gastbeitrag Klaus F. Zimmermann)

Punkte für die Einwanderer
 

Schildbürgerstreiche sind in Deutschland Legion, und die Zuwanderungspolitik läßt seit langem glauben machen, ganz Deutschland sei jetzt Schilda. Jüngstes Beispiel ist die absurde Debatte darüber, ob die "Grenzen der Belastbarkeit durch die Einwanderung überschritten" seien. Unverständlicherweise hat der Bundestag in der vergangenen Woche die Chance vertan, sich wenigstens im Grundsatz auf die Notwendigkeit eines Zuwanderungsgesetzes zu verständigen. Man fragt sich nach den Grundlagen für das populäre Mißverständnis, ein solches Gesetz sei überflüssig. Einige würden die Tatsache der Zuwanderung am liebsten leugnen ("Was wir nicht sehen wollen, ist auch nicht da"), andere vermuten hinter einem solchen Gesetz nur einen besonders raffinierten Weg, Deutschland von Einwanderern abzuschotten, wieder andere sehen es dagegen gar als Einfallstor unkontrollierter Massenimmigration.

Wahr ist aber, daß ein solches Gesetz Steuerinstrumente bereitstellen, daß es Transparenz, Kalkulierbarkeit und Rationalität schaffen soll. Das Ringen um die richtigen Ziele der Migrationspolitik durchschaubar zu machen, scheint eine breite politische Mehrheit verhindern zu wollen.

Die Position der vergangenen Jahre ("Wir sind kein Einwanderungsland") hat einen unkontrollierten Zuwandererstrom nicht verhindert, der vor allem durch Immigration aus humanitären Gründen, Aussiedlerzuzug und Familiennachzug zustande gekommen ist. Daneben gibt es die unvermeidbare illegale Migration, aber auch ganz legale "virtuelle Migration" durch Kapitalflucht deutscher Unternehmen, Güterimporte oder gleich ganz konkret in Form menschlicher Arbeit durch das Internet. Es ist richtig, daß diese Entwicklungen Deutschland ökonomisch insgesamt nicht genutzt haben. Was spricht also dagegen, die dahinter stehende Politik zu ändern? Die Rechtsansprüche für Aussiedler und Familienangehörige auf Einreise können nicht ernsthaft sein. Ausgerechnet die Einreise deutschstämmiger Aussiedler wird doch seit Jahren de facto quotiert und durch Sprachtests erschwert. Kann dieses Prinzip nicht auf ausländische Zuwanderer übertragen werden? Warum sollten wir nicht tun dürfen, was woanders längst Routine ist?

Es ist nicht unproblematisch, daß demnächst zwar relativ großzügig die doppelte Staatsangehörigkeit angeboten wird, gleichzeitig aber das Fundament erfolgreicher Integration, nämlich eine solide und nachvollziehbare Steuerung der Zuwanderung, noch nicht geschaffen wurde. Wir sollten das Pferd richtig herum aufzäumen: Eine berechenbare Regelung der Zuwanderung verbunden mit einer rascheren Möglichkeit, bei Integrationsfortschritten die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben, würde allemal mehr Investitionen in deutschlandspezifisches Humankapital freisetzen als die jetzt vorhergesehene (Nicht-) Regelungen.

Ein vorgeschobenes Argument ist, Zuwanderung nähme Deutschen die Arbeitsplätze weg. Wenn dies denn richtig wäre (und das glauben nicht einmal die Arbeitslosen selbst), dann wäre es allenfalls die Folge der bisherigen undifferenzierten Politik. In Wirklichkeit aber ist es ein Mißverständnis über das Funktionieren der Arbeitsmärkte. Arbeitslosigkeit ist ein globales Phänomen und hat nichts mit dem Umfang an Zuwanderung zu tun, höchstens mit ihrer Struktur. Es gibt viele Berufszweige, in denen händeringend Arbeitskräfte gesucht werden, etwa Erntearbeiter, Friseure, Kellner, Putzfrauen, Ingenieure, Professoren und EDV-Spezialisten. Oft sind deutsche Arbeitsplätze gefährdet, weil es keine ausländischen Arbeitskräfte gibt. Im übrigen ist Arbeitslosigkeit weitgehend ein Problem ungelernter Arbeitnehmer. Mehr qualifizierte Zuwanderer könnten auch mehr ungelernte deutsche Arbeitslose in Arbeit bringen.

Qualifizierte Arbeitskräfte könnte man durch ein Punktesystem nach dem Vorbild Kanadas auswählen, bei dem Ausbildung, Sprachkenntnisse und Arbeitsmarktkriterien eine große Rolle spielen. Hinsichtlich temporärer Arbeitsmigration könnte man auch an die Versteigerung von Anwerbungsrechten an Unternehmen denken. Das würde quasi eine Migrationsabgabe begründen, durch die die Gesellschaft an den betrieblichen Zuwanderungsgewinnen beteiligt würde. Diese Regelung könnte auch die schwierige Ermittlung angespannter Teilarbeitsmärkte ersetzen.

In der Zuwanderungsdiskussion dominieren juristische, bestenfalls humanitäre Perspektiven; die Bedenkenträger sind allgegenwärtig. Vielleicht sollte die Zuständigkeit aus dem Innen- in das Wirtschaftsministerium wandern? Wanderungsfragen sind schließlich Strukturfragen.


Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

Back