Warum die Digitalisierung auch Zukunftsängste schürt

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16. Februar 2017, Neue Ruhr Zeitung

(Interview mit Hilmar Schneider)
 

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Eine ältere Frau ruft an. Sie beklagt sich: Beim Besuch ihrer Verwandten in Pirmasens sei ihr aufgefallen, wie die altbekannte Schuh-Stadt durch den Rückzug der Schuhindustrie gelitten hat. Die Schuhe würden jetzt in Asien hergestellt. Das sei doch schlimm. Gibt es ein breites Unverständnis in der Bevölkerung gegenüber neuen Techniken und neuen wirtschaftlichen Entwicklungen, die damit zusammen hängen?

Schneider: Natürlich. Dieser Unwille ist so alt wie die Menschheit. Technischen Fortschritt hat es immer gegeben. Menschen sind ständig auf der Suche nach Möglichkeiten, sich von dem schweren Los der Arbeit zu befreien und sind dabei sehr erfinderisch. Andere sehen sich dadurch bedroht, fürchten, die Einkommensgrundlage zu verlieren und hätten gerne, dass es bleibt wie früher.

Solche Konflikte sind nicht immer friedlich abgegangen...

Fahren Sie mal an die Ahrmündung. Dort steht das Böllerdenkmal. Die sogenannten Rheinhalfen haben im 19. Jahrhundert einen richtigen Krieg gegen die Haniels und Stinnes und ihre Dampfschiffe geführt, die ihnen die Arbeit wegzunehmen drohten. Aber in solchen Situationen taucht oft eine verschobene Wahrnehmung auf. Wir sehen, dass Dinge, die lange Bestand hatten, von einem auf den anderen Tag verschwinden. Das ist immer spektakulär. Wir sehen nicht, was an dessen Stelle tritt, weil es sich oft in kleinen Schritten vollzieht. Dabei können wir sicher sein: Auch wenn immer alte Techniken und damit alte Berufe spektakulär verschwinden, hat das unter dem Strich bis heute nicht dazu geführt, dass den Menschen die Arbeit ausgegangen ist. Im Gegenteil.

Ist es nicht so, dass gerade die digitale Technik viele auch verschreckt?

Wenn wir unterstellen, dass die Digitalisierung zur Schaffung von Maschinen mit künstlicher Intelligenz führt und damit auch zum Ersatz des Menschen, dann würde das auch mich beunruhigen. Davon sind wir aber noch meilenweit entfernt. Entgegen dem ganzen Geschwafel von angeblich künstlicher Intelligenz haben wir es bei der gegenwärtigen Digitalisierungsphase lediglich mit Vereinfachungsprozessen durch fest programmierbare Abläufe zu tun. Dass ein staubsaugender Roboter Stellen meidet, an denen er schon mal angestoßen ist? Na ja, das ist ja kein Ausweis künstlicher Intelligenz. Das ist nicht seine eigene Entscheidung, am nächsten Tag dort rechtzeitig stehen zu bleiben. Das ist ein Verhalten, das der Phantasie des Programmierers entsprungen ist.

Wo werden besonders viele Jobs durch die Digitalisierung verloren gehen?

Derzeit scheint es erstmals bestimmte Bereiche des Dienstleistungsgewerbes zu betreffen. Da wo Entscheidungen nach schematischen Regeln getroffen werden, etwa bei der Kreditvergabe oder dem Abschluss von Versicherungsverträgen. Alle Prozesse, die nach beschreibbaren Regeln ablaufen, können von Maschinen übernommen werden. In dieser Hinsicht unterscheidet sich das, was sich heute im Bankgewerbe vollzieht nicht von dem was in früheren Zeiten bei den Textilarbeitern und den Druckern passiert ist oder vor mehr als 100 Jahren bei den Treidelknechten, die am Rhein entlang gezogen sind. Es war alles schon einmal da.

Könnte man sagen: Ingenieure und Altenpfleger haben eine glänzende Zukunft, Mitarbeiter öffentlicher Verkehrsbetriebe, die durch fahrerlose U-Bahnen ersetzt werden, und Verkäufer dagegen nicht?

Ihrer ersten Aussage stimme ich sofort zu. Bei den Verkäufern mache ich eine wesentliche Einschränkung. Natürlich kaufen wir mehr im Internet. Aber das ersetzt nicht eine gute Beratung und auch nicht das Gespräch, der Kontakt von Menschen mit Menschen ist unabdingbar. Wir alle wollen nicht einsam sein, und gerade ältere Leute brauchen das Gespräch. Die blecherne Stimme des Sprachcomputers am Telefon wird zu Recht nicht akzeptiert. Unterm Strich könnten wir sagen: Durch die derzeitige Entwicklung werden wir auf das kreative Schaffen und die soziale Interaktion zurückgeworfen. Das sind die Dinge, die wir besonders gut können. Das ist deswegen auch keine Bedrohung, sondern eine Chance.

Sie haben gesagt: Gerade die sozialen Dienstleistungen haben eine große Zukunft. Wenn wir uns aber zum Beispiel Pflegelöhne anschauen, sieht das überhaupt nicht danach aus...

Die sind oft katastrophal niedrig. Aber ich bin sicher, dass sich das in Zukunft ändern wird.

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Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

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