Finanzkrise und Einkommensverteilung: IZA/OECD-Workshop

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Die empfindlichen wirtschaftlichen Rückschläge, mit denen nahezu alle Staaten derzeit im Zeichen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise konfrontiert sind, werden nicht ohne Konsequenzen für die Einkommensverteilung in den jeweiligen Volkswirtschaften bleiben. Allerdings ist bislang noch zu wenig darüber bekannt, in welcher Weise sich die im Krisenverlauf eintretenden Veränderungen auf die Verteilung auswirken und wie es den bestehenden Umverteilungsmechanismen gelingt, die Auswirkungen der Krise zu lindern. Üblicherweise sind wissenschaftliche Studien zu den Effekten von Wirtschaftskrisen retrospektiv angelegt und liefern Antworten zumeist erst Jahre nach Überwindung der Krise auf der Basis der erst dann verfügbaren Mikrodaten. Die Dimension der aktuellen Krisenkonstellation macht freilich rasche Antworten und Handlungsempfehlungen der Wirtschaftswissenschaften besonders dringlich.
Im Februar 2010 fand auf Initiative von IZA und OECD an deren Sitz in Paris ein Expertentreffen zur Analyse der Folgen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise für die Einkommensverteilung in den westlichen Volkswirtschaften statt. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand die Frage, inwieweit und mit Hilfe welcher Methodik schnell verfügbare Makrodaten zur Projektion der Krisenfolgen auf der Mikroebene herangezogen werden können. Andreas Peichl, stellvertretender Programmdirektor des IZA-Forschungsbereichs „Zukunft der Arbeit“, organisierte diesen Workshop gemeinsam mit IZA Research Fellow Herwig Immervoll, der als Leiter der Abteilung für beschäftigungsorientierte Sozialpolitik der OECD tätig ist. Alle präsentierten Forschungsarbeiten stellt die IZA-Homepage zur vertiefenden Information über dieses wichtige Thema bereit.
Aus Veränderungen in Makrovariablen die Wirkungen auf die Haushalte abzulesen, stellt für die Wissenschaft eine anspruchsvolle Herausforderung dar. Ein wichtiger Beitrag der Workshopteilnehmer bestand in der Präsentation und Diskussion von Stärken und Schwächen unterschiedlicher methodischer Herangehensweisen. Zugleich erörterten die Wissenschaftler politisch brisante Fragestellungen. Unter anderem analysierte Brian Nolan (Trinity College Dublin) die Konsequenzen von Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst auf die Einkommensverteilung – ein Thema, das zurzeit für die griechische Regierung höchste Bedeutung hat. David G. Blanchflower (Dartmouth College und IZA-Programmdirektor) betrieb Ursachenforschung für die sehr unterschiedlich schweren Beschäftigungseinbußen im Vergleich der OECD-Staaten und zeigte am Beispiel Großbritanniens die besonders gravierenden Folgen im Bereich der Jugendarbeitslosigkeit auf. Er äußerte die Besorgnis, dass die Krise sich verfestigen und einen „double dip“ hervorrufen könne, wenn wirtschaftsfördernde Maßnahmen zu früh wieder ausgesetzt würden.

Holly Sutherland (University of Essex) zeigte, dass die europäischen Sozialsysteme mit Hilfe des Mikrosimulationsmodells EUROMOD einem Test auf ihre Krisenfestigkeit unterzogen werden können. Auf Basis umfangreicher Studien zu Ungleichheitstrends im Verlauf früherer Rezessionen in den USA gelangte Bruce Meyer (University of Chicago) zu dem Ergebnis, dass der Stellenwert von Einkommensungleichheit dabei höher anzusiedeln sei als derjenige von Konsumungleichheit. Francois Bourguignon (Paris School of Economics) betrachtete weltweite Trends in der Einkommensverteilung und gelangte zu der bemerkenswerten Feststellung, die aktuelle Krise habe den Prozess globaler Verringerung von Ungleichheit eher beschleunigt als verlangsamt.
Der Workshop umfasste zudem eine politikorientierte Podiumsdiskussion, an der neben Bourguignon, Nolan und Sutherland auch Sir Anthony B. Atkinson (Nuffield College) und Tim Callan (ESRI, Dublin) teilnahmen. Die Debatte verdeutlichte Möglichkeiten und Grenzen einer aus den vorliegenden Makrodaten abgeleiteten Politikberatung – die ihren eigenen Belastungstest noch vor sich hat, sobald verwertbare Mikrodaten weitere Erkenntnisse vermitteln. OECD und IZA werden zu diesem Themenkomplex weitere Veranstaltungen durchführen.
 
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