Fünfte IZA/Weltbank-Konferenz zu Beschäftigung und Entwicklung

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Am 3. und 4. Mai 2010 richteten IZA und Weltbank in Kapstadt die fünfte Fachkonferenz zu Beschäftigung und Entwicklung aus. 120 Experten aus aller Welt nahmen an der Konferenz teil, darunter 16 südafrikanische Wissenschaftler. Schwerpunkt der Präsentationen und Diskussionen im Verlauf der Tagung war die Beschäftigungssituation in Niedriglohnländern, insbesondere im südlichen Teil des afrikanischen Kontinents. Viele subsaharische Länder sehen sich besonders gravierenden Herausforderungen gegenüber: Ein starkes Bevölkerungswachstum geht einher mit mangelnde Arbeitsmöglichkeiten für die zunehmend junge Bevölkerung und großen Schwierigkeiten bei der Entwicklung der Agrarindustrie. Volatile Einkommen und verbreitete Armut stellen eklatante Hürden für Wachstum und Entwicklung dar und ziehen Veränderungen im Investitions- und Konsumverhalten nach sich. Die Stärkung der Arbeitsnachfrage bei gleichzeitiger Etablierung eines ausreichenden Sozialschutzes zählt deshalb zu den zentralen Aufgaben der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. Gegenstand kontroverser Debatten waren im Konferenzverlauf, ob die Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten oder die Einkommenshöhe eine höhere Relevanz haben sollten und ob der Fokus der Entwicklungshilfe - westlichen Denkmustern folgend – nur auf den formellen Sektor konzentriert oder auch den informellen Sektor gezielt in den Blick nehmen sollte. Intensiv diskutiert wurde ferner, ob stabile makroökonomische Maßnahmen und eine geringe Regulierung mehr Erfolge versprechen als eine aktive Industriepolitik.
Im Anschluss an die Eröffnung der Konferenz durch Robert Holzmann (Weltbank und IZA) und IZA-Programmdirektor Markus Frölich (Universität Mannheim) hielt Marcel Fafchamps (University of Oxford) den Eröffnungsvortrag der Konferenz, in dem er die Entwicklung von Beschäftigung und Arbeit im Entwicklungsprozess einer Ökonomie analysierte. Fafchamps stellte zunächst die historisch gewachsenen Unterschiede in den Entwicklungsstufen der Arbeitsmärkte in den westlichen Industriestaaten und den Entwicklungsländern dar. Die westlichen Staaten durchliefen, ausgehend von Subsistenzwirtschaft und späterer Spezialisierung, im Gefolge eines raschen technologischen Fortschritts neben der industriellen auch eine organisatorische „Revolution“. Als deren Ergebnis verfügen diese Volkswirtschaften heute über eine Mischform aus kleineren, mittleren und großen Unternehmen, in denen ungeachtet gegenläufiger Tendenzen die Form der dauerhaften abhängigen Beschäftigung noch vorherrschend ist, während selbstständiges Unternehmertum eine geringere Rolle spielt. Doch nicht zuletzt die damit verbundenen Effizienzeinbußen und Flexibilitätshemmnisse lassen Zweifel aufkommen, inwieweit dieser Entwicklungsprozess für die Volkswirtschaften von Entwicklungsländern überhaupt Vorbildcharakter haben kann. Fafchamps machte deutlich, dass der Trend zur Flexibilisierung in den westlichen Industriestaaten auch einen klaren Fingerzeig für die Entwicklungshilfe beinhalte. Permanente Beschäftigungsverhältnisse in größeren Organisationen müssten keineswegs zwingend der nächste Schritt der Entwicklung Afrikas sein, vielmehr könne es gelingen, diesen „Zwischenschritt“ zu überspringen.

Weltbank-Vizepräsident Otaviano Canuto analysierte in seinem Vortrag die besonderen Herausforderungen für die Arbeitsmärkte der Entwicklungsländer im Verlauf der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise. Er verwies darauf, dass die Entwicklungsländer im vergangenen Jahrzehnt im Durchschnitt ein substanziell höheres Wachstum erzielt hätten als die Industrienationen. Während im Zeitraum von 1960 bis 2000 keine auffälligeren Unterschiede in den Wachstumsraten bestanden, hat sich dies im letzten Jahrzehnt verändert. Sogar während der Krise haben die Entwicklungsländer ein im Durchschnitt positives Wirtschaftswachstum aufrecht erhalten können, wenn auch nicht in allen Regionen. Dieser Wachstumsvorteil bleibt auch dann bestehen, wenn man die Wachstumsmotoren China und Indien aus dem Vergleich ausklammert.
Trotz der scheinbar „beruhigenden“ makroökonomischen Konstellation hat die Finanzkrise die Entwicklungsländer hart getroffen und deren Arbeitsmärkte vor zusätzliche Probleme gestellt. Während die Arbeitslosenraten in den entwickelten Ländern angestiegen sind, führt die Krise in Entwicklungsländern tendenziell dazu, dass Löhne sinken, da die Niedriglohnbeschäftigung ansteigt und es zu Unterbeschäftigung kommt. Zwar sind die Staatsverschuldungsquoten in Entwicklungsländern gering und stabil geblieben, doch besteht die Gefahr einer Überhitzung in sich entwickelnden Märkten durch erhöhte Liquidität und preiswertes Geld. Darüber hinaus ist exportgeschuldetes Wachstum nicht garantiert. Infolge dieser anhaltenden Auswirkungen der Krise bedarf es nach Ansicht Canutos vor allem gezielter arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen, um die Gefahr einer deflationären Spirale durch sinkende Löhne und negative Effekte auf die langfristige Arbeitslosigkeit zu verringern. Dabei tritt ein weiteres Problem zu Tage: Da die Datenerhebung und Datenqualität für den Arbeitsmarkt in Entwicklungsländern häufig sehr schlecht ist, lassen sich konkrete Bewertungen oft nur schwer vornehmen. Aufgrund der fiskalischen Limitierungen vieler Entwicklungsländer ist insbesondere die Entwicklung von produktiven Beschäftigungsmöglichkeiten wünschenswert, wofür ein investorenfreundliches Klima hilfreich sein kann. Dabei sind wiederum eine Reduzierung von Regulierung, eine erhöhte sektorale Mobilität und Strukturwandel von besonderer Relevanz.
Neben den beiden Hauptreden wurden während der zweitägigen Konferenz fast 100 aktuelle Forschungsarbeiten präsentiert. Dabei wurde ein sehr breites Spektrum an Themen abgedeckt, unter anderem: Arbeitsmarktinstitutionen, Regulierung, Schwarzarbeit, Investorenklima, Produktivität, Firmendynamik, Unternehmensgründungen, Unternehmungen, Handel, Arbeitsangebot, Landwirtschaft, Bildung, Fort- und Ausbildung, Einkommensmobilität, Mikrokredite, Mindestlöhne, Arbeitslosenversicherung, Diskriminierung, Migration.
Die Konferenz wurde durch eine Diskussionsrunde zur künftigen Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit abgeschlossen. Arup Banerji (Weltbank), Haroon Bhorat (University of Cape Town), Gary Fields (Cornell University), Louise Fox (Weltbank) and Francis Teal (University of Oxford) debattierten kontrovers über die Erschließung neuer und besserer Beschäftigungsmöglichkeiten in den Entwicklungsländern des südlichen Afrikas. Francis Teal wies darauf hin, dass Verzerrungen durch das Steuersystem systematisch reduziert werden müssten. Dies sei insbesondere in der Landwirtschaft und bei anderen arbeitsintensiven Exportprodukten äußerst wichtig. Zusätzliche monetäre Entwicklungshilfe sei dabei gar nicht unbedingt notwendig, wichtiger sei, das Einkommenspotenzial vielversprechender Sektoren nicht unnötig zu verzerren und sie somit ihrer Effizienz zu berauben. Als Beispiele führte er Steuersenkungen für Kakaobauern in Ghana an, die einen Boom dieses Sektors auslösten, aber auch die wachsende Textil- und Blumenwirtschaft in Afrika. Steuersenkungen in exportorientierten Landwirtschafts- oder Industriesektoren stellen offenkundig ein sinnvolles Mittel zur Schaffung von Jobs dar. Gary Fields warb für eine Unterstützung von informellen Kleinunternehmen und Farmen, um diese ökonomisch sozu integrieren und ihre langfristige Wirtschaftlichkeit sicherzustellen. Beispielsweise könnten Mikro-Konzessionen informellen Firmen helfen größere Märkte zu erreichen und ihr Einkommen zu steigern.
Auch Haroon Bhorat betonte die Wichtigkeit, die Produktivität des großen informellen Sektors der Entwicklungsländer gezielt voranzutreiben. Um die unüberbrückbaren bürokratischen Hürden für Kleinbetriebe zu beseitigen, könne beispielsweise ein Teil der öffentlichen Ausschreibungen nur für die hier tätigen Kleinfirmen bereitgestellt und an deren Fähigkeiten angepasst werden. Louise Fox plädierte unter anderem dafür, den Zugang ländlicher Gebiete zu Bankdienstleistungen ohne große Transaktionskosten zu ermöglichen. Sinnvoll sei hier etwa die Ermöglichung von Bankgeschäften via Mobiltelefon, mit der beispielsweise in Kenia sehr gute Erfahrungen gemacht wurden.
Keine Einigkeit erzielten die Diskussionsteilnehmer, ob der informelle Sektor ins Zentrum der Entwicklungszusammenarbeit gerückt werden müsse oder es vielmehr deren oberstes Ziel sein sollte, Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen sich reguläre Beschäftigung entwickeln kann. Eine Entwicklungspolitik, die sich in der aktuellen Konstellation zu sehr allein auf den formellen Sektor konzentrierte, würde in der kurzen Frist wenig Hilfe bringen, da der formelle Sektor in afrikanischen Ländern meist nur einen Bruchteil der Ökonomie ausmacht. In der langen Frist jedoch mag ein starker formeller Sektor helfen, das Wachstum der gesamten Ökonomie zu stimulieren und somit die Beschäftigung der gesamten Ökonomie zu steigern. Große Einigkeit bestand unter allen Konferenzteilnehmern in der Feststellung, dass die Entwicklungszusammenarbeit ungeachtet der Finanz- und Eurokrise nicht etwa ihrem Stellenwert verringert, sondern noch verstärkt und dabei auf den Arbeitsmarkt fokussiert werden müsse.

www.iza.org/conference_files/worldb2010
 
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