Kurzarbeit: Nützlich in der Krise, aber nun den Ausstieg einleiten

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In der jüngsten Wirtschaftskrise wurde so stark wie nie zuvor mit Kurzarbeit auf rezessionsbedingte Arbeitsausfälle reagiert.Das hat den Anstieg der Arbeitslosigkeit in Grenzen gehalten. Eine aktuelle Studie von IZA-Direktor Klaus F. Zimmermann, Ulf Rinne (IZA) und Karl Brenke (DIW Berlin) hat die aktuelle Entwicklung der Kurzarbeit genauer untersucht. Seit ihrem krisenbedingten Höhepunkt im Frühjahr 2009 hat sich die Zahl der Kurzarbeiter inzwischen fast halbiert. Kurzarbeit war und ist vor allem in der Exportindustrie verbreitet sowie in denjenigen Dienstleistungsbranchen, die mit der Industrieproduktion eng verbunden sind. Ende 2009 musste noch jeder sechste sozialversicherungspflichtig beschäftigte Arbeitnehmer im Maschinenbau und in der Metallerzeugung die Arbeitszeit reduzieren, im Automobilbau war es jeder siebte. Zudem sind vor allem Großbetriebe betroffen, von denen jeder sechste die Arbeitszeit verringert hat. Bei rückläufiger Zahl der Kurzarbeiter wächst allerdings der Anteil derjenigen, die schon eine längere Zeit ihre reguläre Arbeitszeit eingeschränkt haben. Es deutet sich die Entwicklung eines Sockels an Langzeit-Kurzarbeitern an.

Historische Entwicklung
In Deutschland sind die Wurzeln von gesetzlich festgelegten Ausgleichszahlungen an Arbeitnehmer im Falle von Kurzarbeit bereits Anfang des letzten Jahrhunderts zu finden. Ein früher Vorläufer ist das Gesetz zur Änderung des Tabaksteuergesetzes von 1909, mit dem auf Arbeitsausfälle in der Tabakverarbeitung infolge der Anhebung von Zöllen und Steuern reagiert wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg ist Kurzarbeit branchenübergreifend in die neu geschaffene staatliche Arbeitslosenunterstützung aufgenommen worden und kam in der ersten Wirtschaftskrise der Weimarer Republik massenhaft zum Einsatz. Im Jahr 1932, dem Höhepunkt der Weltwirtschaftkrise, stieg der Anteil der Kurzarbeiter auf mehr als 20 Prozent an. Die Regelungen zur Kurzarbeit aus der Weimarer Republik wurden von der Bundesrepublik weitgehend übernommen. In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre kam Kurzarbeit in der ersten Konjunkturkrise der Nachkriegszeit wieder in großem Umfang zum Einsatz. Nach etwas mehr als einem Jahr war die Kurzarbeit allerdings wieder völlig verschwunden und die Arbeitslosigkeit zu einem großen Teil abgebaut. Mitte der 1970er und in der ersten Hälfte der 1980er Jahre erfolgte dann, bedingt durch die beiden Ölpreiskrisen, wieder eine kräftige Aufstockung der Kurzarbeit. Einen Sonderfall stellte die deutsche Einheit dar. Als nach der Währungs-, Wirtschaftsund Sozialunion die Produktion auf dem Gebiet der DDR mit rasantem Tempo einbrach und die Unterbeschäftigung in den Betrieben drastisch zunahm, wurde zunächst vor allem auf den Einsatz von Kurzarbeit gesetzt (Abbildung). Im Frühjahr 1991 war mehr als ein Viertel aller Arbeitnehmer in Ostdeutschland in Kurzarbeit tätig. Oft belief sich der Arbeitsausfall dabei auf 100 Prozent. Zum einen wollte man die Arbeitskräfte halten, weil sie mit Blick auf eine angestrebte Privatisierung nicht selten die eigentliche Substanz der Betriebe darstellten, zum anderen sollte der ohnehin schon sprunghafte Anstieg der Arbeitslosigkeit in Grenzen gehalten werden. Kurzarbeit wurde vor diesem Hintergrund auch deshalb in hohem Maße eingesetzt, weil man Zeit brauchte, um andere arbeitsmarktpolitische Instrumente wie Arbeitsbeschaffungs-, Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen zu konzipieren und einsetzen zu können. Als diese zur Verfügung standen, nahm die Zahl der Kurzarbeiter in Ostdeutschland rasch wieder ab. Kurzarbeit diente damals also nicht als ein Instrument, um einen zeitweiligen Produktionsausfall zu überbrücken, sondern als erste Hilfe, um den wirtschaftlichen Umbruch sozial abzufedern.
Kurze Zeit später, nach dem Ende des Vereinigungsbooms, stieg die Zahl der Kurzarbeiter erneut an – nun jedoch primär in den alten Bundesländern. In den darauf folgenden zwei Abschwungphasen (1996/1997 und 2001/2004) nahm dagegen die Kurzarbeit vergleichsweise wenig zu, obwohl sich der Bestand an Arbeitslosen stark aufbaute.

Beitrag zur Krisenbewältigung
In der jüngsten Krise kam Kurzarbeit dann allerdings in einem Ausmaß zum Einsatz, wie es nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik der Fall war, wenn man von der Umbruchphase nach der Wiedervereinigung absieht. Dazu haben veränderte gesetzliche Regelungen wesentlich beigetragen. Der Bestand an Kurzarbeitern hat sich ab Oktober 2008 rasant aufgebaut und erreichte seinen Höhepunkt im zweiten Quartal 2009. Im Mai 2009 bezogen mehr als 1,5 Millionen Arbeitnehmer aus konjunkturellen Gründen Kurzarbeitergeld. Im Dezember 2009, dem Monat, für den es die bisher zeitnahesten Bestandsdaten gibt, waren es noch etwas mehr als 800.000. Die Frage, in welchem Maße der Abbau der Kurzarbeit auf Entlassungen oder auf eine Verminderung der Arbeitsausfälle innerhalb der Betriebe zurückzuführen ist, lässt sich mangels hinreichender Informationen nicht beantworten. Ohne Zweifel wäre die Arbeitslosigkeit ohne Kurzarbeit aber viel stärker angestiegen - rein rechnerisch bis Mitte letzten Jahres etwa doppelt so kräftig als es tatsächlich der Fall war. Neben der Abnahme der Kurzarbeiterzahl deuten auch die aktuellen Zahlen über die Entwicklung von Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit eher auf eine Entspannung als eine Verschärfung der Lage auf dem Arbeitsmarkt hin.

Die Kurzarbeit hat offenkundig in erheblichem Maße dazu beigetragen, dass trotz des im Frühjahr 2008 einsetzenden massiven Produktionseinbruchs in Deutschland die Krise den Arbeitsmarkt nur gestreift hat. Viel dramatischer war dagegen die Entwicklung in den anderen Industrieländern; in manchen Staaten wie in den USA oder Spanien hat sich die Zahl der Arbeitslosen mehr als verdoppelt, während sie in der Bundesrepublik nicht höher ist als vor Beginn der Krise (Tabelle).
In sektoraler Hinsicht zeigen sich große Unterschiede beim Ausmaß der rezessionsbedingten Kurzarbeit hierzulande. Während sie vor dem Ausbruch der Krise neben der Industrie auch zu einem nennenswerten Umfang im Baugewerbe zu finden war, verschob sich der Schwerpunkt der Kurzarbeit im Zuge der Krise auf das verarbeitende Gewerbe. Mitte 2009 entfielen vier Fünftel der Kurzarbeiter auf diesen Wirtschaftsbereich. Aber nicht nur bei der Zunahme der Kurzarbeit haben die Betriebe des verarbeitenden Gewerbes das Bild bestimmt, sondern ebenfalls bei deren Abbau. In den übrigen Sektoren verlief die Entwicklung der Kurzarbeit insgesamt weniger dynamisch.

Gleichwohl ist dieser Wirtschaftsbereich noch weit überdurchschnittlich von Kurzarbeit betroffen. Denn die Krise hat sich bisher in Deutschland vor allem in Form einer drastisch gesunkenen Nachfrage aus dem Ausland bemerkbar gemacht, und das Exportgeschäft wird vor allem von den Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes getragen. In diesem Wirtschaftsbereich bezog Ende 2009 jeder zehnte sozialversicherungspflichtig Beschäftigte von den Arbeitsagenturen Leistungen aufgrund konjunkturbedingter Arbeitszeitverkürzungen. In allen anderen Sektoren war dieser Anteil wesentlich geringer.

Der Blick auf einzelne Branchen zeigt ein vielfältigeres Bild. Danach war Kurzarbeit innerhalb des verarbeitenden Gewerbes vor allem in der Herstellung von Investitionsgütern, Metallerzeugnissen und PKW verbreitet - allesamt exportorientierte Branchen. Dasselbe gilt für die Textilindustrie. Ein geringes Ausmaß an Kurzarbeit gibt es dagegen in Industriezweigen, die vor allem den Markt im Inland beliefern. So wies das Nahrungsmittelgewerbe Ende 2009 lediglich eine Kurzarbeiterquote von 0,3 Prozent auf. Auch musste nicht jede exportstarke Industrie in großem Maße Kurzarbeit einführen. Ein Beispiel ist die pharmazeutische Industrie, deren Absatz generell wenig von weltweiten Konjunkturschwankungen abhängt. Hier lag die die Kurzarbeiterquote bei lediglich 0,8 Prozent.

Im Dienstleistungsgewerbe finden sich relativ viele Kurzarbeiter in solchen Branchen, in denen ein erheblicher Teil der Aktivitäten auf industrienahe Leistungen entfällt - wie etwa Teile des Transportgewerbes und des Großhandels, die Ingenieurdienste, die Werbebranche und die Arbeitnehmerüberlassung. Dazu zählen wohl ebenfalls Teile der Unternehmensberatungsfirmen und der Informationstechnik. Es gibt allerdings im Dienstleistungssektor auch Branchen, in denen der Grund für eine Verringerung der Arbeitszeit nicht erkennbar ist. Sie dürften weder direkt noch indirekt von der schwachen Auslandsnachfrage berührt sein. Manche davon, wie Teile des Einzelhandels, das Gastgewerbe und die Reisebüros, sind auf den heimischen Konsum ausgerichtet und die Konsumnachfrage blieb bisher in Deutschland trotz der schwierigen konjunkturellen Lage stabil. Überraschend hoch ist auch das Ausmaß der angeblich konjunkturbedingten Kurzarbeit im Baugewerbe, obwohl ab Mitte des letzten Jahres die Bauproduktion deutlich zugenommen hat und bei witterungsbedingten Arbeitsausfällen das Instrument des Saisonkurzarbeitergeldes zur Verfügung steht. Andere Wirtschaftszweige wie die öffentlichen Verwaltung, der Bereich Erziehung und Unterricht sowie das Gesundheits- und das Sozialwesen sind generell weitgehend konjunkturunempfindlich - dennoch gibt es auch hier Kurzarbeiter. Die Vermutung liegt nahe, dass in allen genannten Branchen weniger konjunkturbedingt als vielmehr mitunter wegen betrieblicher Schwierigkeiten oder Strukturproblemen auf Kurzarbeit zurückgegriffen wird.
Anteil der Langzeit-Kurzarbeiter wächst
Wenig verändert hat sich seit Mitte 2009 der durchschnittliche Arbeitsausfall je Kurzarbeiter, nachdem er zuvor im Zuge der Ausweitung der Kurzarbeiterzahl deutlich angestiegen war. Im Dezember arbeiteten 60 Prozent der Kurzarbeiter um bis zu einem Viertel ihrer vertraglich vereinbarten Arbeitszeit verkürzt. Lediglich bei einem Zehntel wurde die Normalarbeitszeit um mehr als die Hälfte reduziert. Insgesamt belief sich unter allen Kurzarbeitern der durchschnittliche Arbeitsausfall auf knapp 30 Prozent. Da 3 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten Ende 2009 kurzarbeiten mussten, ergibt sich unter diesen eine Arbeitszeitminderung durch Kurzarbeit, die sich auf weniger als 1 Prozent des vertraglich fixierten Arbeitsvolumens beläuft.

Während die Gesamtzahl der Kurzarbeiter rückläufig war, ist der Anteil der Erwerbstätigen, die über einen längeren Zeitraum von Arbeitsausfällen betroffen sind, deutlich gewachsen . Zum Jahresende 2009 waren drei Viertel aller Kurzarbeiter (mehr als 600.000) länger als sechs Monate auf Kurzarbeit, 85.000 davon sogar länger als ein Jahr. Die Struktur der bisherigen Verweildauer deutet somit darauf hin, dass es zu einer strukturellen Verhärtung im Bestand kommt und sich ein Sockel an Langzeit-Kurzarbeitern herausbildet. Im Wesentlichen findet sich diese Form der Langzeitarbeitslosigkeit in der Industrie, und dort insbesondere in den Metallbranchen wie Maschinenbau und Kraftfahrzeugindustrie.

Fazit und politische Handlungsmöglichkeiten
Mit der Kurzarbeit steht der betrieblichen Personalpolitik ein Instrument zur Verfügung, flexibel auf Konjunkturschwankungen zu reagieren. In wirtschaftlichen Schwächephasen können Arbeitsausfälle sozial abgefedert werden, und wenn sich die Auftragslage verbessert, steht das erforderliche Personal unmittelbar zur Verfügung. Deshalb war es richtig, in den letzten zwei Jahren die Regelungen der Kurzarbeit für die von der Krise Betroffenen attraktiver zu gestalten, um auf diese Weise den Anstieg der Arbeitslosigkeit abzubremsen. Die starke Inanspruchnahme der Kurzarbeiterregelungen im Zuge der Krise spricht für den Erfolg dieser Politik.

Es muss jedoch beachtet werden, dass die Kurzarbeit lediglich ein Instrument zur kurzfristigen Stabilisierung des Arbeitsmarkts darstellt. Mittelfristig können sich negative Effekt einstellen. So kann die Möglichkeit einer langen Inanspruchnahme von Kurzarbeit dazu verleiten, die notwendigen Anstrengungen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und zur Ausrichtung der Unternehmen an neue Marktgegebenheiten, die auch Anpassungen bei Struktur und Umfang des Personalstandes erfordern, zu vernachlässigen. Deshalb sollte die Politik einen zügigen Ausstieg aus der gegenwärtigen Regelung der Kurzarbeit vorsehen.

In der Diskussion stehen derzeit aber eher gegenteilige Vorschläge: Statt über mögliche Szenarien für einen Ausstieg aus der Kurzarbeit nachzudenken, werden eine erneute Verlängerung der Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes und eine Fortsetzung der Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge angeregt. Offenkundig ist die Vorstellung weit verbreitet, dass man sich längerfristig auf Kurzarbeit einstellen müsse. Besser als solche gesetzlichen Vorgaben sind jedoch tarifvertragliche Vereinbarungen wie in der Metallindustrie, bei denen die Tarifpartner einen größeren Teil der Kosten als bisher tragen. Dadurch werden Anreize vermieden, erforderliche Strukturanpassungen zu unterlassen. Das gerade beschlossene Vorhaben der Bundesregierung, Sozialbeiträge bis März 2012 zu übernehmen, schießt deutlich über das Ziel hinaus. Eine bis Mitte 2011 laufende entsprechende Regelung hätte völlig ausgereicht.
Bei allen staatlichen Interventionen, die mit Geldleistungen oder anderen Vorteilen verbunden sind (Sozialtransfers, Steuervergünstigungen oder Subventionen), besteht die Gefahr, dass sie zu Missbrauch einladen und zu Mitnahmeeffekten führen. Das scheint auch bei der Kurzarbeit der Fall zu sein. So finden sich Kurzarbeiter auch in Unternehmen solcher Branchen, von denen nicht anzunehmen ist, dass sie mit vornehmlich konjunkturbedingten Arbeitsausfällen konfrontiert sind. Eine engere Auslegung der Gesetze, deren konsequente Anwendung und verschärfte Kontrollen könnten hier teilweise Abhilfe schaffen. Auch vor diesem Hintergrund ist von einer Institutionalisierung der Verlängerung der Kurzarbeit abzuraten, da Fehlanwendungen nie vollständig vermieden werden können.

Wochenbericht des DIW Berlin, 16/2010, 2-13
Kurzarbeit: Nützlich in der Krise, aber nun den Ausstieg einleiten
Karl Brenke
Ulf Rinne
Klaus F. Zimmermann
 
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