Schröder gibt Gas mit angezogener Handbremse

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March 20, 2000, Financial Times Deutschland

(Gastbeitrag Holger Hinte/Klaus F. Zimmermann)

Die Greencard kann nur der erste Schritt auf dem Weg zu einem umfassenden Einwanderungsgesetz sein
 

Keine Frage: Die Green-Card-Initiative des Bundeskanzlers ist mutig. Sie bringt Schwung in die Debatte um eine Einwanderung, die sich an ökonomischen Kriterien orientiert, und bricht so mit den Tabus der deutschen Politik. Endlich werden selbst bei denen Denkverbote gelockert, die bislang nach Kräften eine durchdachte deutsche Einwanderungspolitik verhindert haben. Es gibt viele Möglichkeiten, eine solche Politik zu gestalten. Dabei wäre fast alles besser als der gegenwärtige Zustand, bei dem zwar Einwanderung stattfindet, dies aber weitgehend ungesteuert. Lediglich die Einreise deutschstämmiger Spätaussiedler reguliert der Staat durch Quotierung und Sprachtests.

Allerdings greift auch Schröders Initiative viel zu kurz. Mit 20.000 ausländischen IT-Fachleuten allein ist es längst nicht getan - ganz abgesehen davon, daß mehr als fraglich ist, ob die viel genannten indischen Programmierer einen Aufenthalt in Deutschland, überhaupt anstreben würden. In den USA, Kanada oder auch Großbritannien finden sie meist attraktivere Bedingungen. Wir werden um die Besten regelrecht werben müssen - wie es diese Länder schon immer tun. Hohe Steuern und Abgaben, die Konzentration auf temporäre Migranten und unsere restriktiven Regelungen des Familiennachzugs werden sich dabei als gravierende Wettbewerbsnachteile erweisen. Zudem wandern Menschen traditionell in Netzwerken - für Deutschland ist dies bestenfalls bei der Zuwanderung von Osteuropäern ein Vorteil.

Es ist das eine, der privaten Wirtschaft vorzuwerfen, sie habe nicht vorausschauend genug ausgebildet, und sie deshalb im Rahmen der Green-Card-Initiative in die Pflicht zu nehmen. Auf der anderen Seite fehlen die Arbeitskräfte nicht nur im EDV-Bereich, sondern auch in vielen anderen Branchen. Durch heimische Arbeitslose kann der Bedarf - und dies ist erschreckend genug - schwerlich gedeckt werden. Gewiß: einige arbeitslose Informatiker könnten bei professioneller Vermittlung vielleicht in Arbeit gebracht werden. Aber alle Branchen, die dringend Personal suchen, haben darunter zu leiden, daß es bei vielen Arbeitslosen an der nötigen Qualifikation fehlt.

Das Beispiel der IT-Branche zeigt, wie wichtig die Besetzung hochqualifizierter Arbeitsplätze gerade für die Perspektiven unzureichend ausgebildeter Arbeitsuchender ist. Im Umfeld eines jeden IT-Arbeitsplatzes entstehen nämlich mehrere Jobs für Zulieferer aller Art. Bliebe der Arbeitsplatz unbesetzt, litte darunter nicht nur die Produktivität des betroffenen Unternehmens, sondern auch der Arbeitsmarkt insgesamt. Insofern nehmen ausländische Green-Card-Inhaber in Deutschland keine Arbeitsplätze weg. Vielmehr tragen sie dazu bei, daß neue Arbeitsplätze geschaffen werden.

Wird die Politik genug Kraft und Vernunft aufbringen, um der Green-Card-Initiative rasch weitere Schritte folgen zu lassen? Es wäre Flickschusterei, immer nur einzelne branchenspezifische Kontingente nach den Wünschen der Wirtschaft zu gewähren. Nötig ist statt dessen ein Zuwanderungsgesetz, das alle Zuwanderergruppen erfaßt und anhand klarer Auswahlkriterien Quoten für dauerhafte Zuwanderung ausgibt. Am besten wäre ein Punktesystem nach dem Vorbild Kanadas, das Qualitäten, wie Sprachkenntnisse, Alter oder Ausbildungsstand bewertet. Flexible Mechanismen sollten dabei verhindern, daß es zu Einwanderung über den Bedarf hinaus kommt. Ändert sich die Situation am Arbeitsmarkt zum Schlechteren, kann die Quote entsprechend niedriger angesetzt werden. Sie könnte somit auch einmal bei Null liegen. Steigt der Bedarf, sollte die Quote entsprechend wachsen.

Für temporäre Zuwanderungen wäre ein Auktionsmodell die volkswirtschaftlich überzeugendste Lösung, zeitlich begrenzte Einwanderungsvisa und Arbeitsgenehmigungen würden dabei an Firmen versteigert werden. Das Problemthema Lohndumping käme erst gar nicht auf, denn Unternehmen müßten für das Anwerberecht bezahlen. Der Markt würde rasch die Segmente identifizieren, in denen tatsächlich Knappheit vorliegt. Die Erlöse der Auktionen könnten sogar in die Herkunftsländer zurückfließen.

Wenn die Politik es nicht versteht, den offenkundigen Bedarf an ausländischen Arbeitskräften auf sinnvolle Weise zu decken, werden sich in einer zusehends global vernetzten Wirtschaft andere Wege finden. Produktionsprozesse werden sich weiter ins Ausland verlagern. "Virtuelle Migration" wird erheblich zunehmen. Vielleicht sind wir eines Tages sogar dankbar sein, wenn Arbeitskräfte aus Fleisch und Blut nach Deutschland kommen, sich an Konsum, sozialer Sicherung und Steueraufkommen beteiligen, statt mittels des Internets heimische Arbeitsplätze zu entführen.


Reprinted with permission.

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