Vier Kardinalfehler – Ohne Neuordnung der Bundesagentur für Arbeit wird auch Gersters Nachfolger scheitern

Logo
January 30, 2004, Frankfurter Allgemeine Zeitung

(Gastbeitrag von Klaus F. Zimmermann)
 

Mit der Ablösung von Florian Gerster als Chef der Bundesagentur für Arbeit ist eine weitere Reformwelle der Agenda 2010 gebrochen. Nach den verpassten langen Reformschritten bei den sozialen Sicherungssystemen, der Steuerreform, den Subventionen, dem Kündigungsschutz, der Öffnung des Flächentarifs und den Ladenöffnungszeiten droht der Reformkarren auch in Nürnberg nicht aus dem Sumpf zu kommen. Die beanstandeten Beraterverträge für die Agentur waren nur der Katalysator der Ablösung. Das ergibt sich schon daraus, dass diese zum Verantwortungsbereich des Finanzvorstandes gehören, der wegen seiner unbestreitbaren Kompetenz jetzt als möglicher Nachfolger gehandelt wird.

So reduziert sich der Vorgang auf die Personalie Gerster. Aber über Inszenierung und Image kann man bei Gerster eben gerade nicht streiten. Im Wahljahr 2002 und angesichts des Statistik-Desasters bei der Bundesanstalt für Arbeit war seine Mission ein Medienereignis. Der Auftrag aufzuräumen war politisch. Wer den Bulldozer schickt, braucht sich aber nicht zu wundern, wenn die Wohnzimmermöbel Schrammen abbekommen. Die Personalauswahl wäre auch aus heutiger Sicht nicht falsch, wenn denn die Ziele gleich geblieben wären, rasch zu einem nachhaltigen Abbau der Arbeitslosigkeit (zur Erinnerung: „Halbierung in 2 Jahren“) zu kommen. Den leisen Weg kann nur gehen, wer für die Reform der Agentur zehn Jahre Zeit hat.

Sachkompetenz und Zielstrebigkeit kann man Gerster nicht absprechen. Und so ist ja auch vieles in Bewegung geraten und begonnen worden: Die Dezentralisierung der Behörde, eine Verschlankung des Apparates in Nürnberg und bei den Landesarbeitsämtern, ein Schritt zum virtuellen Arbeitsmarkt, die Professionalisierung des Betriebes, die Gründung der Personal-Service-Agenturen, die Reduktion kostspieliger aber unwirksamer Instrumente wie die Maßnahmen der Weiterbildung und der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) sowie die Öffnung der Arbeitsamtsdaten für die Wissenschaft. Konsequent umgesetzt werden diese Maßnahmen langfristig Vermittlungserfolge und Kostenersparnisse bringen.

Was also ist eigentlich falsch gelaufen? Denn sollten zentrale Mängel nicht abgestellt werden, wird auch Gersters Nachfolger scheitern. Vier Kardinalfehler sind erkennbar, die den weiteren Erfolg der Reformbemühungen behindern, wenn nicht sogar verhindern werden:

Erstens: Der Gemischtwarenladen Bundesagentur für Arbeit hat keine seiner mannigfaltigen Aufgaben wirklich abgegeben und wird netto mit der Betreuung der arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger und den regionalen Aufgaben durch die zu Regionaldirektionen mutierten Landesarbeitsämter künftig sogar noch mehr Verpflichtungen schultern. Von der Berufsberatung, der Auszahlung von Kindergeld, der Verfolgung von Schwarzarbeit, der Bewertung von Zuwanderungsbedarf, der Arbeitsmarktstatistik, der Arbeitsmarktforschung bis zur Ausbildung des eigenen Nachwuchses reicht der Aufgabenbereich weit über die Kernaufgaben von Vermittlung, Versicherungsdienstleistung und arbeitsmarktpolitischer Förderung hinaus.

Zweitens: Die Kontrollstruktur durch die Verwaltungsräte in Nürnberg und bei den lokalen Arbeitsagenturen ist der Kern eines permanenten Konflikts mit einer reformorientierten Führung. Die Selbstverwaltung aus Arbeitgebern, Gewerkschaften und Parteipolitikern teilen sich Macht und Einflusssphären, wobei sich die Interessen von Politik und Tarifvertragsparteien schon innerhalb der Gruppen im Wege stehen Die Bestätigung des Verwaltungsratsmodells im Rahmen der Hartz-Reform war ein zentraler Fehler. Letztlich bleibt zwar die Politik verantwortlich, aber die Verantwortungen sind unklar geregelt. Zwei Möglichkeiten sind denkbar: Eine Abschaffung des Verwaltungsrates würde den Zugriff der Politik durch den Arbeitsminister und seine Verantwortung transparent machen. Er könnte seine Politik unverzüglich umsetzen, wäre aber auch für etwaige Misserfolge politisch haftbar. Richtiger wäre, die Politik beschränkte sich auf die Bereitstellung von Gesetzen und Zielvorgaben und entließe die Agentur in die kontrollierte Unabhängigkeit. Innenrevision, Wirtschaftsprüfer, externe Evaluationen durch Wissenschaftler und ein professioneller Aufsichtsrat aus unabhängigen Wirtschaftlern und Wissenschaftlern sorgten für die Kontrolle.

Drittens: Die unklare Zuordnung der Vermittlung arbeitsfähiger Sozialhilfeempfänger wird das traditionelle Kompetenzwirrwar zwischen Agentur und den Kommunen nicht beenden. Die Städte sollten aus dieser Verantwortung entlassen werden.

Viertens: Die Aufteilung der Aufgaben der Bundesagentur in die Maßnahmen Profiling (mit der Identifikation der Problemgruppen), Versicherungsdienstleistung, Vermittlung und arbeitsmarktpolitische Förderung auf verschiedene Mitarbeiter und Unternehmensbereiche ist nötig, um keine Zielkonflikte bei den Serviceleistungen entstehen zu lassen. Wer eine Fördermaßnahme verteilen kann, wird sich weniger stark in der Vermittlung engagieren. Prinzipiell könnten diese Aufgaben in getrennten Institutionen erfolgen. Ob dies in voller Unabhängigkeit erfolgt oder unter dem Dach einer Holding, ist dabei nicht zentral.

Häufig wird jetzt die Zerschlagung der Agentur gefordert. Unrealistisch ist daran, dass sich die neuen Strukturen erst langsam herausbilden würden. Notwendig ist aber eine stärkere Neuordnung, wie sie hier beschrieben wurde. Wird sie nicht konsequent betrieben, so wird der Misserfolg in einigen Jahren viel radikalere Anpassungen erzwingen.


Reprinted with permission.

Back