Alle Einwanderungsprobleme müssen zusammen gelöst werden

Logo
July 14, 2000, Handelsblatt

(Gastbeitrag Klaus F. Zimmermann)

Ein Gesamtkonzept muß auch die Asylgewährung und den Aussiedlerzuzug berücksichtigen - Nötig sind verläßliche Quoten und Obergrenzen
 

Ausgerechnet aus Bayern bläst nun der Wind der Veränderung, der die deutsche Zuwanderungsdiskussion zu neuen Ufern treibt. Die von der Münchner Staatsregierung ins Spiel gebrachte Bluecard erlaubt es Unternehmen, nach einer Verwaltungsanweisung auf Grundlage des Ausländergesetzes ohne besonderen Visumsantrag ausländische Arbeitnehmer für die IT-Branche anzuwerben. An diesem Vorschlag ist nicht alles neu. Dennoch ist die Offensive aus Münschen, der sich inzwischen auch Hessen und Niedersachsen angeschlossen haben, nach der Greencard-Initiative des Bundeskanzlers ein weiterer Quantensprung.

Doch müssen Taten folgen. Es wäre bereits ein bemerkenswerter Fortschritt, gelänge die unbürokratische Besetzung offener Stellen mit ausländischen Bewerbern. Bislang restriktiv gehandhabte Klauseln wie die des "öffentlichen Interesses" sollten zeitgemäß angewandt werden. Es liegt im öffentlichen Interesse, wenn Arbeitsplätze, die andernfalls nicht adäquat besetzt werden könnten, in einem transparenten Verfahren an Zuwanderer vergeben werden. Es liegt auch im deutschen Interesse, wenn eine solche Regelung nicht beim IT-Sektor haltmacht, sondern auch für andere Wirtschaftszweige Geltung erlangt. Und es liegt ebenso im Interesse unserer Gesellschaft, wenn auch Familienangehörige von Beginn an einreisen dürfen. Die soziale Integration darf bei der Abwägung legitimer ökonomischer Belange nicht außer Acht gelassen werden.

Ein Verfahren zur Regelung der Zuwanderung muß jedoch mehr leisten, als es Greencard und Bluecard. Es muß klare Spielregeln enthalten. Es muß verläßliche Quoten und Obergrenzen für die Immigration festsetzen, ein Auswahlsystem anhand ökonomischer und sozialer Kriterien etablieren und den potentiellen Mißbrauch von Sozialhilfe durch Übergangsregelungen ausschalten. Und: Nachdem Jahrzehntelang hieß, deutschland sei kein Einwanderungsland, muß der Öffentlichkeit gesagt werden, wie Notwendig Zuwanderung schon mit Rücksicht auf unser Alterssicherungssystem ist. In den Heimatländern der Zuwanderungsbewerber wiederum sollte nicht der Eindruck entstehen, als gebe es inzwischen neben einer Einreisemöglichkeit nach Deutschland eine zusätzliche Option der Zuwanderung nach Bayern oder Hessen (wann übrigens kommt die Yellowcard aus Brandenburg oder die Fun Card aus Schleswig-Holstein?). Auf eine einheitliche EU-Regelung warten hieße, zu viel Zeit zu verlieren. Als Hauptzuwanderungsland Europas sollten wir die Spielregeln bald gestalten, bevor die Europäische Kommission uns die Eckpfeiler setzt.

Dabei sollten alle Migrationsfragen in einem Gesamtkonzept gelöst werden. Selbstverständlich kann die Asylgewährung dabei nicht völlig außen vor bleiben, und natürlich muß auch der Aussiedlerzuzug integriert werden. Letzterer ist Muster für ein deutsches Zuwanderungsgesetz, denn er bemißt sich seit Jahren bereits anhand von Quoten und Auswahlkriterien. Anspruchsrechte auf Einreise lassen sich ohne weiteres mit einer Festsetzung jährlicher Höchstzahlen kombinieren.

Ökonomisch ist es ratsam, eindeutig zwischen dauerhafter und befristeter Zuwanderung zu unterscheiden. Die unbefristete Zuwanderung sollte im Rahmen eines Zuwanderungs- und Integrationsgesetzes erfolgen, das neben den Einreisemodalitäten auch ein handfestes Integrationsangebot bis hin zur raschen Einbürgerung umfassen muß. Für die temporäre Migration dagegen bietet sich ein mutiger Schritt an, der gar nicht einmal sehr weit vom Windhund-Prinzip der grünen und blauen Karten entfernt ist. Wer glaubt, daß die Arbeitsverwaltung am besten über den Bedarf am Arbeitsmarkt informiert ist? Warum sollten Firmen nicht an staatlichen Auktionen teilnehmen, bei denen sie durch entsprechende Bietsummen das Recht ersteigern, sich auf dem Weltmarkt die fehlenden Arbeitskräfte zu suchen? Das wäre eine saubere Marktlösung und würde obendrein zu staatlichen Einnahmen führen, die in die dringend benötigte Aufwertung unseres Bildungs- und Ausbildungssystems fließen könnten.

Die Malaise unseres Arbeitsmarktes geht auch auf Fehler in der Ausbildung zurück. Wir werden erleben, daß sich die Besten keineswegs für die Greencard- oder Bluecard-Offerte entscheiden werden, sondern ungleich attraktivere Bedingungen etwa in den USA vorziehen. Auch die internationale Attraktivität unserer Hochschulen läßt zu wünschen übrig. Sie müssen dringend in die Ausbildung ausländischer Studierender und Doktoranden investieren. Deutschland muß umdenken und um das benötigte Humankapital werben. Oder sollte es einfacher sein, eine Fußball-Weltmeisterschaft nach Deutschland zu holen, als Menschen, die ihre Fähigkeiten dafür einsetzen, die Zukunft des Standortes Deutschland zu sichern?


Reprinted with permission.

Back