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November 11, 2013, Wirtschaftswoche

(Includes statement from Klaus F. Zimmermann)

ZUWANDERUNG | Die meisten Hürden für Arbeitsmigranten sind gefallen, aber der Arbeitsmarkt verlangt noch deutlich mehr internationale Mobilität.
 

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In Deutschland ist die Zahl der Ausländer im vergangenen Jahr von 6,9 auf mehr als 7,2 Millionen Menschen gestiegen, obwohl gleichzeitig knapp 113 000 eingebürgerte Zuwanderer aus dieser Statistik verschwanden. 2013 ging diese Entwicklung weiter. Spanier, Griechen, Portugiesen und Italiener strömen aus ihren krisengeschüttelten Heimatländern - es sind überwiegend genau die Zuwanderer, nach denen sich die Wirtschaft in Deutschland sehnt: gut ausgebildete, ehrgeizige junge Leute ohne allzu große kulturelle Distanz zur neuen Umgebung. Also alles auf gutem Wege?

Fachleute warnen vor zu viel Selbstzufriedenheit. "Es ist nur eine Minderheit der hoch qualifizierten Migranten, die den Weg zu uns findet", klagt Klaus Zimmermann, Direktor des Instituts für die Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn. Mit einer großen Gruppe von Mitarbeitern aus vielen Herkunftsländern hat der Arbeitsmarktforscher jetzt ein voluminöses Handbuch zur Migrationsökonomie herausgegeben. Was an seinem Institut problemlos funktioniert - die Anwerbung und Anbindung von produktiven Zuwanderern aus Griechenland und den USA, aus Israel und Indien - , fällt vielen deutschen Unternehmen noch schwer. Wie Zimmermann bei Vorträgen rund um den Globus erfahren hat, denken viele fähige Leute in der weiten Welt bei ihrer persönlichen Karriereplanung erst einmal überhaupt nicht an Deutschland. "Man braucht ein Signal, dass Deutschland offen ist für Zuwanderung" - um die gleichsam natürlichen Hindernisse zu überwinden: die Sprachbarriere, kulturelle Vorbehalte, Ängste gegenüber einem Land, das nur langsam den Ruf der Ausländerfeindlichkeit loswird.

/// KEIN SICHTBARER MISSBRAUCH //

In Sachen Zuwanderung in die Sozialsysteme geben die IZA-Forscher Entwarnung. In Europa haben Irland, Großbritannien und Schweden seit 2004 Erfahrungen mit dem ungeregelten Zustrom von Osteuropäern aus den neuen EU-Mitgliedsländern gemacht. In Deutschland galten bis vor Kurzem noch Einschränkungen. Bei allen Unterschieden der Sozialsysteme gab es bisher keinen sichtbaren Missbrauch im großen Stil, schreiben die IZA-Autoren Corrado Giulietti und Jackline Wahba: Die meisten Leute "kamen, um zu arbeiten, und nicht, um Leistungen zu beanspruchen". Und ihr Kollege Martin Kahanec, neben seiner IZA-Tätigkeit Professor an der Central European University in Budapest, weist drauf hin, dass die erhöhte Migration in Europa nicht nur ein Ergebnis der aktuellen Krise ist, sondern auch ein Gegenmittel: Die Migration sorge für eine bessere Verteilung von Arbeitskräften auf die Arbeitsplätze innerhalb Europas und so für "ein höheres Innovationspotenzial, bessere Nutzung von Ressourcen und damit für höhere Produktivität". Europa insgesamt verliert seinen klassischen Standortnachteil gegenüber den USA, wo hohe Mobilität der Arbeitskräfte selbstverständlich ist.

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Volltext auch online erschienen unter dem Titel: Flüchtlingsdebatte: Deutschland braucht Zuwanderer


Reprinted with permission.

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