Deutschland braucht auf Dauer Fachkräfte – auch durch Zuwanderung

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November 18, 2010, DIW Berlin: Wochenbericht

(Op-ed by Klaus F. Zimmermann)
 



Ist der vielseitig beklagte Fachkräftemangel ein Scheinriese, der gewaltig schrumpft, wenn man nur genauer hinschaut? Ist Deutschland auch künftig in der Lage, angesichts der demographischen Umbrüche seinen Arbeitskräftebedarf sicherzustellen? Die Bundesregierung, die sich damit am Donnerstag in einer Koalitionssitzung beschäftigt, muss sich der Thematik ernsthaft annehmen. Es geht um nichts weniger als eine Schicksalsfrage Deutschlands.

Heute ist die Arbeitslosigkeit auch unter Qualifizierten hoch, jedenfalls höher als vor der Wirtschaftkrise. Es gibt mehr qualifizierte Arbeitslose, als offene Stellen für diese Qualifikationen vorhanden sind. Ausländische und deutsche Fachkräfte verlassen das Land, die deutschen Unternehmen reduzieren ihre Ausbildungsanstrengungen, und die Löhne als zentraler Knappheitsindikator sind bei Fachkräften zuletzt kaum gestiegen. Im Übrigen können Arbeitslose umorientiert und Menschen in Modeberufen in Bedarfsberufe umgelenkt werden. Deutschland hat ferner Qualifikationsreserven, die insbesondere durch die Mobilisierung der Frauen und der älteren Menschen realisiert werden können.

Tatsächlich sind die verfügbaren Arbeitsmarktindikatoren aber nur schlechte Sensoren für kurzfristige Arbeitskräfteknappheit. Deshalb haben Ökonomen Auktionen unter Firmen vorgeschlagen, bei denen die Unternehmen mit ihrer Zahlungsbereitschaft Knappheit glaubwürdig belegen können, um so das Recht auf ein Engagement von Arbeitskräften durch Zuwanderung zu erwerben. Allerdings dürfen der erstaunliche Rückgang der generellen Arbeitslosigkeit seit der Krise, der schwer bekämpfbare Mismatch von Profilen und Bedarf, die mangelnde Bereitschaft zur Anpassung am Arbeitsmarkt und der unabwendbare demographischen Einbruch ab 2015 nicht übersehen werden.

Fachkräfte sind bereits in einzelnen Branchen knapp, schon bald werden es viele Branchen sein. Der Fachkräftemangel wird mittelfristig zum bestimmenden Thema des Arbeitsmarktes werden. Dann wird es aber zu spät sein, sich auf die nötigen Anpassungen ohne Friktionen einzustellen. Insofern ist es jetzt nötig, sich durch eine Reform des Zuwanderungsrechts in Form der Einführung eines Punktesystems rasch das Instrumentarium für arbeitsmarktorientierte Zuwanderung zu schaffen. Das ermöglicht auch, die nötigen internationalen Werbemaßnahmen durchzuführen, ohne die der Zustrom an qualifizierten Arbeitskräften ohnehin nur gering bleiben wird.

Fachkräfte sind aber auch Innovations- und Wachstumstreiber. Sie sind ein weltweit immer knapper werdender Produktionsfaktor, der schon deshalb global Nachfrage findet, weil dieses Angebot sich selbst seine eigene Nachfrage schafft. Es ist deshalb ganz gleich, ob diese Kräfte knapp sind oder nicht. Wer sie gewinnt, sichert seinem Land Innovationen, Wachstum, hohe Löhne und Wohlstand.


Reprinted with permission.

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