Nachgefragt - Francine Blau: Frauen holen mächtig gegenüber Männern auf

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January 17, 2011, Wirtschaftswoche

(Interview mit IZA-Preisträgerin Francine Blau)

Die Arbeitsmarktexpertin über die Lohnunterschiede von Männern und Frauen.
 

[zum Original-Artikel in der Online-Ausgabe der Wirtschaftswoche]

Frau Professor Blau, häufig ist der Vorwurf zu hören, Frauen würden auf dem Arbeitsmarkt gegenüber Männern diskriminiert - vor allem was die Entlohnung betrifft. Wie berechtigt ist der Vorwurf?

Blau: In den vergangenen Jahrzehnten hat es in den Industrieländern große Fortschritte bei der Gleichstellung der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt gegeben. Als ich mit meinen Forschungsarbeiten in den Siebzigerjahren begann, verdienten vollzeitbeschäftigte Frauen im Schnitt 60 Prozent dessen, was Männer verdienten. Heute sind es 80 Prozent. Allerdings bleibt die Frage berechtigt, warum es noch immer eine Lohnlücke von 20 Prozent gibt.

Und? Wie lautet die Antwort?

Blau: Dafür ist ein ganzes Bündel an Faktoren maßgeblich, angefangen von der Berufs- und Branchenwahl bis hin zur von Frauen stärker genutzten Teilzeitarbeit. Aber selbst wenn man diese Faktoren ausschaltet, bleibt eine Lohndifferenz. Ein Grund dafür könnte tatsächlich eine Diskriminierung von Frauen sein. Und ein diskriminierungsbedingter Lohnabstand beeinflusst das Arbeitsangebot von Frauen.

Inwiefern?

Blau: Nehmen Sie zum Beispiel ein Paar, das sich nach der Geburt eines Kindes entscheiden muss, wer seine Karriere vorübergehend unterbricht, um sich dem Kind zu widmen. Wegen des Lohnvorteils der Männer bleiben schon aus ökonomischen Gründen meist die Frauen zu Hause. Anschließend fällt es ihnen schwer, im Beruf wieder Fuß zu fassen. In der Zwischenzeit sind die männlichen Kollegen in puncto Karriere und Einkommen vorbeigezogen.

Wie lässt sich das ändern?

Blau: Ein entscheidender Punkt ist eine umfassende Kinderbetreuung durch private oder staatliche Institutionen. Das gibt Frauen die Möglichkeit, nach der Geburt eines Kindes rasch wieder eine Vollzeittätigkeit auszuüben. Das heißt nicht, dass jede Frau das machen muss. Aber man sollte die Möglichkeit dazu schaffen, ohne die Frauen gleich in eine bestimmte Richtung zu drängen.

In Deutschland dominiert vielfach noch das traditionelle Rollenverständnis, wonach der Frau die Aufgabe der Kinderbetreuung zukommt...

Blau: ...was dazu geführt hat, dass in Deutschland die Teilzeitbeschäftigung von Frauen stärker verbreitet ist als in den USA und anderen Industrieländern. Wenn es um die Besetzung von Führungspositionen geht, geben die Firmen aber meist Vollzeitbeschäftigten den Vorzug. Allerdings scheint sich die Einstellung zur Erwerbsarbeit von Frauen auch in Deutschland zu ändern. Je mehr die Gesellschaft die Erwerbstätigkeit von Frauen akzeptiert, desto mehr sind diese bereit, zu arbeiten.

Unterscheidet sich die geschlechtsspezifische Lohnlücke zwischen den Ländern?

Blau: Wir haben in Vergleichsstudien festgestellt, dass institutionelle Arrangements auf dem Arbeitsmarkt einen großen Einfluss auf die Lohnlücke haben. In Ländern, in denen die Gewerkschaften stark sind und hohe Untergrenzen bei Löhnen und Gehältern durchgesetzt haben wie etwa in Schweden, fallen geschlechtsspezifische Lohnunterschiede vergleichsweise gering aus. Der Grund ist, dass Frauen überproportional am unteren Ende der Lohnskala arbeiten und von der Anhebung der unteren Lohngrenzen profitieren.

Sind Frauen denn schlechter qualifiziert als Männer?

Blau: Nein. Vor 20 Jahren verfügten Frauen in den USA im Schnitt über gleichwertige Bildungsabschlüsse wie Männer, aber über weniger Berufserfahrung. Seither haben sie gehörig aufgeholt. Beim Bildungsstand liegen sie bereits vor den Männern. Insgesamt kann man den Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen immer weniger durch Unterschiede im Humankapital erklären.

Suchen sich Frauen häufig Branchen aus, in denen generell schlechter bezahlt wird?

Blau: In den Industrieländern sind Frauen überproportional häufig im Dienstleistungssektor tätig, in dem die Löhne niedriger sind als in dem von Männern dominierten Industriesektor. Vermutlich ist das zum größten Teil auf persönliche Präferenzen zurückzuführen. Aber es kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein Teil der Unterschiede auch mit Diskriminierung zu tun hat. Manche Betriebe lehnen es ab, Frauen in traditionellen Männerberufen einzustellen.

Sind Frauen selbst schuld an dem Lohnrückstand, weil sie zu zurückhaltend agieren?

Blau: Untersuchungen zeigen, dass Frauen weniger gern als Männer Gehaltsverhandlungen führen. Zudem gehen sie dem Wettbewerb eher aus dem Weg als ihre männlichen Kollegen. Andererseits hat sich gezeigt, dass Frauen, wenn sie höher bezahlte Berufe bekleiden, auch mehr Wert auf ein ordentliches Gehalt legen.

Was halten Sie von Frauenquoten für die obersten Führungsebenen eines Unternehmens?

Blau: Das ist eine komplizierte Angelegenheit. Der Charme einer Quote besteht darin, mit ihr binnen weniger Wochen das zu erreichen, wofür man sonst 50 Jahre braucht. Allerdings sind Quoten mit dem Risiko verbunden, dass Frauen wichtige Posten bekommen, obwohl sie nicht die dafür erforderliche Qualifikation und Erfahrung besitzen. Daher plädiere ich für freiwillige Anstrengungen der Unternehmen.

Die Frauen-Forscherin Blau ist eine der Pionierinnen in der Erforschung von Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt. Anfang Januar erhielt die an der amerikanischen Cornell-Universität lehrende und in Harvard ausgebildete Ökonomin als erste Frau den renommierten IZA-Preis für Arbeitsmarktforschung.


Reprinted with permission.

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