Was das Arbeitsmarkt-Reformkonzept der Hartz-Kommission wirklich taugt

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June 29/30, 2002, Berliner Zeitung

(Gastbeitrag Klaus F. Zimmermann)
 

Das ist Stoff, aus dem die Träume sind: In einer Ideensammlung hat Peter Hartz, der Leiter der Reformkommission der Bundesanstalt für Arbeit, wichtige Diskussionen dieses Gremiums in die breite Öffentlichkeit transportiert. Die Punkte des Papiers sind dabei hinreichend innovativ, um globale Aufmerksamkeit zu entfalten, und genügend vage, um die Chance auf eine breite Akzeptanz nicht zu verderben. Mediengerecht wird aufgrund der Realisierung der Vorschläge eine Halbierung der Arbeitslosigkeit veranschlagt - mindestens. Das weckt hohe Erwartungen, erinnert aber zugleich an die gescheiterten Versprechungen zweier Bundeskanzler. Die zur Untermauerung dieses Verbesserungspotentials bisher angebotenen Rechnungen basieren soweit erkennbar auf simplen Annahmen, nicht aber auf einer wissenschaftlich stringenten Herleitung aus den vorgesehenen Maßnahmen.

Fülle interessanter Ansätze

Die Vorstellungen zentrieren sich um den Ausbau der Leiharbeit, eine Erhöhung der Vermittlungsgeschwindigkeit und eine Erleichterung der Selbständigkeit. Dazu finden sich im Papier eine Fülle interessanter Ansätze. Durch frühzeitiges Melden bereits bei Kündigung, durch verbesserte Betreuung und schärfere Anforderungen sollen Arbeitslose schneller vermittelt werden. Personal-Service-Agenturen der Arbeitsämter sollen als Leihfirmen auftreten und einen Großteil der Arbeitslosen in Arbeit halten, zur Probe kostenlos, sie sonst gegen Gebühr länger ausleihen und so ihren Kunden eine Chance zur Integration in den ersten Arbeitsmarkt ermöglichen. Durch "Ich-AG's" soll die Selbständigkeit erleichtert und die Schwarzarbeit bekämpft werden. Generell sollen die gesetzlichen Regelungen für Zeitarbeitsfirmen verbessert werden. Das reformierte Arbeitsamt soll ferner die Unternehmen als neue wichtige Kundengruppe zur Kenntnis nehmen.

Reizthemen ausgeklammert

Das alles klingt gut und verdient nachdrückliche Unterstützung. Allerdings kennzeichnet das Papier auch die Ausklammerung der wahren Reizthemen der Arbeitsmarktdebatte. So gibt es bisher noch keine Ansatzpunkte für eine Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente, für eine systematische Neubewertung der Arbeitsmarktpolitik, für eine gezielte Förderung des Niedrigeinkommenssektors, für eine Reform der Tarifpolitik, für eine Modifizierung des Kündigungsschutzes, für mehr Klarheit über die Reform der Arbeitsverwaltung und die notwendige Einschränkung der Förderzeiten insbesondere für ältere Arbeitslose.

Die Unklarheiten beginnen bei der Wiederbelebung des Traumes vom omnipotenten Arbeitsamt. Da ist zunächst zu Recht das Interesse der reformierten Behörde an einer engen Zusammenarbeit mit den Unternehmen. Die geäußerte Vorstellung, sie sei auf absehbare Zeit in der Lage, flächendeckend die Personalverwaltung der Kleinunternehmen zu übernehmen, geht aber zu weit. Dies weckt Befürchtungen über einen neuen amtlichen Moloch und Vermutungen, auch die reformierte Institution sei mit einer solchen Aufgabe überfordert.

Gleichfalls ist das Konzept der Personal-Service-Agentur mit seinem Druck auf alle Beteiligten zur Leih-Vermittlung ein innovativer und mutiger Ansatz. Aber der Plan, möglichst viele Arbeitslose in der Agentur anzustellen und somit aus der Arbeitslosenstatistik zu entfernen, wäre ein Schildbürgerstreich. Ein solcher Weg könnte nur in die bekannte Sackgasse der staatlichen Beschäftigungsgesellschaft führen. Nur ein Einsatz in regulären Jobs (und letztlich nur eine dauerhafte Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt) darf einen solchen Statuswechsel begründen. Auch kann eine staatliche Agentur kein Monopol begründen, es müssen soweit wie möglich private Vermittler in diesem Markt operieren können.

Schließlich bietet das Hartz-Papier begründeten Anlass zu der Vermutung, alle über 55 Jahre alten Arbeitslosen sollten letztlich wegen mangelnder Vermittlungsfähigkeit oder mangelnder Arbeitsbereitschaft aus der Statistik ausgeschlossen werden. Angesichts der langfristigen Notwendigkeit, ältere Arbeitnehmer länger im Arbeitsmarkt zu halten, ist dies aber das ganz falsche Signal.

Hilfloser Versuch

Die bisher durch die Landesarbeitsämter wahrgenommene Fach- und Dienstaufsicht der Arbeitsämter soll künftig in Nürnberg zentriert werden. Die Landesämter sollen aber nicht abgeschafft, sondern zu Kompetenzzentren für neue Arbeitsplätze, für die Marktforschung und für "Entwicklungshilfe" umfunktioniert werden. Diese und ähnliche Regelungen zeugen von einer noch mangelnden Bereitschaft zu klaren, notfalls auch konfliktträchtigen Lösungen. Vielmehr wirkt dies als eher hilfloser Versuch, den institutionellen Widerstand gegenüber Reformen auch auf Kosten unplausibler Regelungen zu begrenzen.

Es ist eine Illusion zu glauben, mit einer Verstärkung der Vermittlungsbemühungen alleine könnte die Arbeitslosigkeit massiv reduziert werden. Ein Versuch, dies durch eine Neuabgrenzung des Arbeitslosigkeitsbegriffes zu erreichen, ist unredlich, auch wenn sich Deutschland den internationalen Vergleichsstandards nicht länger entziehen sollte. Somit können die jetzt vorgetragenen Initiativen nicht bereits der Schlusspunkt sein. Sie stellen vielmehr erst den Anfang für den weiteren Reformprozess dar.

Die bisher weitgehend offen gebliebene Frage betrifft die institutionelle Reform des Arbeitsamtes selber. Bleibt es im Prinzip bei der bisherigen Struktur der Behörde, eventuell mit angegliederten Personal-Service-Agenturen, und der traditionellen Struktur der Kontrolle durch drittelparitätische Gremien aus Gewerkschaften, Unternehmern und Staat? Oder strebt man die Schaffung unabhängiger Aufsichtsgremien aus Experten an, die regelmäßig neu besetzt werden? Soll das Vermittlungs- und Versicherungsgeschäft weiter unter einem Dach mit der Verausgabung von Steuermitteln für Arbeitsmarktpolitik erfolgen, mit allen Schwierigkeiten, die sich daraus für die Anreize bei den Entscheidungen der Akteure ergeben? Oder sollte es nicht besser zu einer organisatorischen Trennung der Aufgaben kommen, die eine klare Zuordnung der Verantwortungen und die Ableitung eindeutiger Ziele bedeuten könnte? Schließlich: Wo ist die Statistik produzierende Einheit des Arbeitsamtes verortet und wo erfolgt die wissenschaftliche Evaluation der Arbeitsmarktpolitik? Vieles spricht für eine weitgehende organisatorische Trennung dieser Aufgaben.

Vorschläge nicht zerreden

Alle vorgetragenen Bedenken können die sich bereits jetzt abzeichnenden Verdienste der Hartz-Kommission um die Reform des Arbeitsmarktes nicht schmälern. Diese Vorschläge dürfen nicht zerredet werden. Dabei können wir aber nicht stehen bleiben. Denn vieles bleibt zu tun, wenn das Arbeitslosigkeitsproblem nachhaltig gelöst werden soll.


Reprinted with permission.

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