Flächentarif auf Dauer in Gefahr

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August 29, 2001, Kölnische Rundschau

(Interview mit Hilmar Schneider)
 

Das Tarifmodell von VW wird als arbeitsmarktpolitisches Signal für mehr Flexibilität bejubelt. Mehr als Impulse kann es allerdings nicht geben - übertragbar ist der Ansatz nur bedingt.

Hilmar Schneider ist Direktor Arbeitsmarktpolitik beim Bonner Institut für die Zukunft der Arbeit.

Gestern sprachen nicht nur die Verhandlungspartner, sondern auch Arbeitsmarktexperten der CDU von einer Signalwirkung des VW-Tarifvertrages - hat "5000x5000" Modellcharakter?
Schneider:
Das lässt sich nur differenziert beantworten. Eine Signalwirkung hat die Einigung mit Sicherheit, weil der Ansatz zum ersten Mal sehr deutlich zeigt, dass man durch Lohnverzicht nicht nur Arbeitsplätze retten, sondern auch neu schaffen kann. In diesem Punkt ist die VW-Einigung richtungsweisend.

Und dennoch nicht übertragbar?
Schneider:
Nein. Obwohl diese Lösung sowohl für mittelständische als auch für Großunternehmen interessant wäre, ist die Umsetzbarkeit nicht so leicht, wie man sich das wünschen würde. Die Besonderheit ist, dass VW anders als die meisten Unternehmen einen Haustarifvertrag hat, der um 20 Prozent über dem üblichen Verbandstarif liegt. Insofern gab es hier Verhandlungsspielraum nach unten, auch wenn der IG Metall das sicherlich nicht leicht gefallen ist.

Warum sieht das bei Unternehmen, die dem Tarifverband angehören, anders aus?
Schneider:
Weil hier entweder der Flächentarifvertrag als ganzes angegangen werden, oder das Einzelunternehmen Freiraum bei der Ausgestaltung haben muss. Ersteres dürfte den Gewerkschaften extrem schwer fallen und letzteres wird durch das Betriebsverfassungsgesetz stark eingeschränkt.
Gibt es den politischen Willen, das Betriebsverfassungsgesetz, das ja gerade erst reformiert wurde, noch einmal anzupacken?
Schneider:
Möglicherweise ist jetzt noch mal eine neue Situation entstanden. Allerdings hat sich die Regierung bei der gerade abgeschlossenen Reform ja gegen mehr Handlungsspielraum auf betrieblicher Ebene entschieden und nur Veränderungen vorgenommen, die mehr Regulierung bedeuten. Die Frage ist also, ob der politische Wille ausreicht und welche Flügel in der Regierung sich durchsetzen können.

Sollten Maßnahmen wie diese nicht ureigenstes Interesse von Gerhard Schröder sein, der ja unter dem Druck steht, die Arbeitslosenzahl auf 3,5 Millionen zu senken?
Schneider:
Das ist sehr knifflig. Der Kanzler würde wohl durch zusätzliche Eingriffe noch mehr unter öffentlichen Druck geraten als er es ohnehin schon ist.

Wie steht es um die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Gewerkschaften als Tarifpartner für den VW-Ansatz stark machen?
Schneider:
Daran ist nicht zu denken. Die Gewerkschaften befürchten eher, dass ihre Bastionen überrannt werden. Ich könnte mir vorstellen, dass sie sich noch mehr auf ihre Position zurückziehen. Offiziell argumentieren sie damit, dass die Belegschaften nicht stark genug sind, um sich gegen das Ansinnen von Lohnverzicht oder flexiblere Arbeitszeiten zur Wehr zu setzen. Das ganze ist natürlich aber auch eine Frage der Macht. Mit Maßnahmen wie der jetzt beschlossenen wird die Stellung des Flächentarifvertrages untergraben. Das wiederum schwächt die Verhandlungsposition der Gewerkschaften.

Findet die Aufweichung des Flächentarifs - aus der Not - nicht längst statt?
Schneider:
Noch immer werden in Deutschland 70 bis 80 Prozent der Arbeitnehmer nach Tarifvertrag entlohnt. In den neuen Bundesländern liegt die Tarifbindung in der verarbeitenden Industrie allerdings nur noch bei 20 Prozent der Unternehmen. Insgesamt lässt sich wohl sagen, dass der Flächentarifvertrag zur Disposition steht. Die ostdeutschen Länder haben da - in der Tat aus der Not - eine Vorreiterrolle.

Zur Umsetzung - bietet der Markt genug Arbeitskräfte mit den nötigen Voraussetzungen?
Schneider:
Hier sind auch Arbeitslose aus strukturschwächeren Regionen gefordert. Sie müssen flexibel sein, wenn sich eine solche Möglichkeit bietet. Wenn Mobilitätsprobleme am Ende der Hemmschuh sei sollten, müsste man sich fragen, ob wir überhaupt ein Arbeitsmarktproblem haben.

Ist "5000x5000" auch eine Chance für jugendliche Berufseinsteiger?
Schneider:
Auf jeden Fall. VW bietet attraktive Konditionen und eine sichere betriebsinterne Ausbildung. In der Tat könnte das Modell auch Impuls für Alternativen zur dualen Ausbildung sein.


Reprinted with permission.

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