Migrationsforscher Zimmermann zum Punktesystem

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April 07, 2015, Weser-Kurier

(Interview with Klaus F. Zimmermann)
 

Herr Zimmermann, während die Parteien darüber streiten, ob Deutschland ein neues Einwanderungsgesetz braucht, sagen Sie: Ausländische Fachkräfte müssen über ein Punktesystem aktiv ins Land geholt werden. Warum?

Klaus F. Zimmermann: Deutschland steht mittelfristig vor einem großen Mangel an Fachkräften und damit in einem internationalen Wettbewerb um diese Kräfte. Wir können sie nicht alle selbst ausbilden, oder den fehlenden Bedarf durch Mehrarbeit und durch bessere Integration der Frauen in das Arbeitsleben ausgleichen. Deshalb ist es wichtig, schon heute an Menschen außerhalb der EU verlässliche Signale auszusenden, ob sie nicht Interesse haben, mittelfristig oder auf Dauer nach Deutschland zu kommen, um diese Lücke zu schließen.

Wie funktioniert das Punktesystem?

Bepunktet werden zum Beispiel Alter, Ausbildung, berufliche Qualifikationen, mögliche Mangelberufe, Sprachkenntnisse. Aber auch die Frage der sozialen Vernetzung kann dazu gehören, um die Integrationschancen einzuschätzen. Waren die Menschen schon einmal in Deutschland? Haben sie hier Bekannte? All diese Punkte können gewichtet werden. Letztlich aber muss über die Kriterien politisch entschieden werden.

Klingt sehr bürokratisch – warum fordern Sie es dennoch?

Ich finde es überhaupt nicht bürokratisch. Mit dem Punktesystem werden Zuwanderungswilligen klare „Spielregeln“ vorgegeben. Sie können sofort sehen, was sie an Qualifikationen mitbringen müssen, um dauerhaft bleiben zu können. Bisher sind diese Kriterien eher geheimnisvoll, die Interessenten können sich ihre Chancen nicht ausrechnen.

Hat Deutschland im Wettbewerb um die Zuwanderung von Fachkräften international nicht längst den Zug verpasst?

Wir haben uns in der Tat sehr schwer getan mit dem Thema. Lange wurde behauptet: „Deutschland ist kein Einwanderungsland.“ Gestimmt hat es nie, Zuwanderung gab es immer, nur keine geregelte, keine aus wirtschaftlichen Gründen geordnete. Deshalb haben wir nun das entsprechende Image und werden es nicht so leicht wieder los. Viele Menschen im Ausland erleben uns als geschlossenes Land. So ist es der Welt bisher völlig verborgen geblieben, dass wir bei der Zuwanderung von Hochqualifizierten inzwischen zu den freiesten Ländern gehören. Das Ergebnis: Es kommen trotzdem nur wenige Tausend pro Jahr.

Neben einem Punktesystem: Was müsste Deutschland interessierten Fachkräften aus dem Ausland noch bieten, damit sie sich zum Kommen entschließen?

Wir müssen das, was gerne mit dem Begriff „Willkommenskultur“ bezeichnet wird, besser ausbauen. Zuwanderer müssen spüren, dass die deutsche Gesellschaft ihre Leistungen anerkennt und nicht nur eine Belastung in ihnen sieht.

Da sind wir bei Willkommenszentren und einheimischen Paten, die dem Einwanderer das Land näher bringen, wie es zum Beispiel CDU-Generalsekretär Peter Tauber fordert. Naiv oder sinnvoll?

Das wird in Kanada so praktiziert, ich gebe Herrn Tauber da Recht. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass viele ältere Mitbürger, die nicht mehr berufstätig sind, solche Aufgaben gerne machen würden. Eine solche Patenschaft kann nicht nur die Aufnahme der Zugewanderten erleichtern, es werden so auch Informationen über die Zuwanderer in unsere Gesellschaft hinein getragen. Das hilft, Vorurteile abzubauen.

Tauber prescht innerhalb der Union mit seiner Forderung nach einem Punktesystem vor, die SPD hat sogar schon ein Positionspapier vorgelegt, aber in der CDU/CSU wird überwiegt noch gebremst. Sehen Sie dennoch Chancen für eine schnelle Einführung eines neuen Einwanderungsgesetzes?

Die Widerstände in der CDU/CSU, besonders aus den Reihen der Innenpolitiker, sind schon groß. Aber es wächst auch die Offenheit für dieses Thema. Deshalb ist es schwer zu sagen, ob es noch in dieser Legislaturperiode zu einer Gesetzesänderung kommt. Teil des Koalitionsvertrags ist es jedenfalls nicht. Das macht die Sache nicht einfacher.

CDU-Fraktionschef Volker Kauder will kein Punktesystem.

Stimmt, aber die Union sollte erkennen, dass ein Punktesystem etwas Neutrales ist. Es ist weder für noch gegen Zuwanderung, sondern es kann sowohl ein Anreiz für mehr Zuwanderung sein, als auch wie ein Filter eingesetzt werden, weil es klar definiert, wer Chancen hat und wer nicht. Wenn das der Union klar wird, dann kann ich mir durchaus vorstellen, dass die Einführung eines Punktesystems auch mit der Union klappt.

„Unser Recht ist gar nicht so schlecht“, sagt Innenminister Thomas de Maiziere und warnt davor, aus ökonomischen Gründen die Zuwanderungsgesetze zu ändern. Für die Deckung des Fachkräftebedarfs sei allein die Wirtschaft zuständig. Lassen Sie seinen Einwand gelten?

Ich verstehe seinen Einwand nicht. Wir sind doch ganz flexibel bei der qualifizierten Zuwanderung von Fachkräften. Natürlich kann und muss die Wirtschaft sich ihre Experten selber suchen, aber sie kann es nur kurzfristig. Es geht aber darum, den durch die demografische Entwicklung ausgelösten Rückgang der Arbeitsbevölkerung zu kompensieren. Dafür brauchen wir dauerhafte Zuwanderung, und das zu regeln, ist Aufgabe der Politik, nicht der Wirtschaft. Das wird auch der Innenminister so sehen.


Reprinted with permission.

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