Wir brauchen Bewegungsfreiheit auf dem Arbeitsmarkt

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May 23, 2014, Handelsblatt

(Interview with Klaus F. Zimmermann)
 

Der Bonner Arbeitsökonom warnt vor der gefährlichen Tendenz, die Freizügigkeit in Europa einzuschränken.

Angesichts des sich anbahnenden Erfolgs der Rechtspopulisten bei den Europawahlen und der Debatte über Einwanderung in den Wohlfahrtsstaat sieht Klaus F. Zimmermann die Freizügigkeit in Europa bedroht. Gemeinsam mit führenden Arbeitsökonomen aus zehn europäischen Ländern wirbt der Direktor des Bonner Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) für einen echten europäischen Arbeitsmarkt ohne Grenzen.

Deutschland verzeichnet die höchste Zuwanderung seit 20 Jahren. Trotzdem sehen Sie die Arbeitnehmerfreizügigkeit bedroht. Wie passt das zusammen?
Es ist sehr erfreulich, dass so viele Menschen zu uns kommen. Denn viele wirtschaftliche Probleme Europas, einschließlich der des Euros, lassen sich nur lösen, wenn wir die Flexibilität, die wir bei den Wechselkursen verloren haben, durch mehr Flexibilität auf den Arbeitsmärkten auffangen. Auf der anderen Seite gibt es Tendenzen, die Freiheit auch innerhalb Europas wieder einzuschränken.

Woran denken Sie?
Die Schweizer haben sich in einer Volksabstimmung gerade für eine Beschränkung der Zuwanderung ausgesprochen. Und nicht nur in Deutschland, sondern auch in England, Holland oder Dänemark wird derzeit vor allem die Debatte geführt, ob wir nicht eine Einwanderung in den Wohlfahrtsstaat haben, die belastend ist. Das ist eine sehr gefährliche Diskussion.

Warum?
Weil sie sich nicht auf Fakten stützt, sondern Stimmungen bedient, die mit Europafrustration und anderen Dingen zu tun haben, nur nicht mit dem eigentlichen Migrationsproblem. Aktuelle Daten belegen ja: Der weitaus größte Teil der Zuwanderer, die zu uns kommen, haben eine Beschäftigung und belasten die Sozialkassen nicht.

Sie fordern, weiter bestehende Mobilitätshindernisse in Europa zu beseitigen. Woran denken Sie?
Es gibt immer noch erkennbar Sprachprobleme, kulturelle Anpassungsprobleme und Informationsdefizite. Dabei sollte es künftig selbstverständlich sein, dass ein guter Teil der Bevölkerung temporär auch im Ausland gearbeitet hat. Es muss das Ziel sein, gerade junge Menschen etwa in der Lehrlingsausbildung oder im Studium noch mehr Erfahrung im Ausland sammeln zu lassen.

Welche Informationsdefizite beklagen Sie?
Ein Zuwanderer muss wissen, unter welchen realen Bedingungen er kommt und was ihm am Ende übrig bleibt, wenn er hier etwas leistet. Und da gibt es ein Dickicht an Vorschriften. Nur ein Beispiel: Nur wenn ein Migrant sechs Jahre in Deutschland bleibt, kann er seine Rentenansprüche komplett reklamieren. Geht er früher zurück, bleibt der vom Arbeitgeber eingezahlte Anteil beim Staat. Da kann man sich ja schon fragen, ob man das nicht anders regeln kann.

Brauchen wir also die Sozialunion mit einer Vereinheitlichung des Steuer- und Sozialrechts?
Nein, wir sind hier durchaus für einen Wettbewerb zwischen den Nationalstaaten. Aber wir fordern eine bessere Koordinierung und mehr Transparenz.

Die Fragen stellte Frank Specht.


Reprinted with permission.

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