Arbeitskräfte aus EU-Ausland: Politik soll "Wohlfahrtsmigration" verhindern

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February 26, 2013, Handelsblatt online

(With reference to IZA DP No. 7130, 10 Years After: EU Enlargement, Closed Borders, and Migration to Germany, by Klaus F. Zimmermann and Benjamin Elsner)
 

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Wenn in Europa bald die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bulgaren und Rumänen gilt, fürchten Städte und Gemeinden neue Lasten fürs Sozialsystem. Ein Zuwanderer-Stopp wäre aber fatal, meint ein renommierter Ökonom.

Berlin. Angesichts zunehmender Klagen über Armutseinwanderer aus Bulgarien und Rumänien hat der Direktor des Bonner Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), Klaus F. Zimmermann, die Politik zum Handeln aufgefordert. „Die unmittelbare Lösung ist simpel: Alle die zu Arbeitszwecken einreisen, können soziale Leistungen erst nach einer Übergangsfrist dann beanspruchen, wenn sie zuvor längere Zeit gearbeitet haben und eine Krankenversicherung nachweisen können“, sagte Zimmermann Handelsblatt Online. Menschen, die nicht aus Erwerbszwecken kämen, müssten ohnehin ausreichende Mittel zum Leben und eine Krankenversicherung nachweisen.

„Mit einer strikten rechtlichen Klarstellung, dass es Wohlfahrtsmigration nicht gibt, ist der Spuk vorüber“, betonte der IZA-Chef. Dies sei auch nötig, „da diese Debatte die erforderliche Flexibilität der europäischen Arbeitsmärkte gefährdet, die künftig noch mehr als bisher zu den Grundlagen unseres Wohlstandes gehört“.

Zuletzt hatten Kommunal- und Landespolitiker gewarnt, dass eine massive Zunahme der Armutseinwanderung in deutsche Großstädte von den Sozialsystemen nicht mehr zu bewältigen sei. Vom 1. Januar 2014 an gilt die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bulgaren und Rumänen in Europa.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich rief Städte und Gemeinden auf, ihre Kontrollen zu verschärfen. „Man muss vor Ort einfach stärker hinschauen und den Mut haben, EU-Bürger, die das Freizügigkeitsrecht missbrauchen, dann eben zurückzuschicken“, sagte der CSU-Politiker der „Rheinischen Post“.

Zudem will er eine europäische Verständigung darüber, dass eine Wiedereinreise in ein anderes Land verweigert werden kann, wenn der Betreffende bereits Sozialbetrug begangen hat. Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) verlangte im Nachrichtenmagazin „Focus“: „Wenn wir solch einen Missbrauch aufdecken, muss der Verlust des Freizügigkeitsrechts festgestellt werden.“

Migration wird Thema von "noch viel größerer Dimension"

Von einer möglichen Aussetzung der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bulgarien und Rumänien hält Zimmermann nichts. Die Bürger aus den beiden Ländern kämen bereits jetzt in großem Umfang auf legalen und illegalen Wegen. Seit 2006 sei der Zustrom „erheblich angestiegen“ - aus langfristigen Motiven, aber auch aufgrund kurzfristiger Arbeitsverträge. „Würde man die lange hinausgeschobene Öffnung des Arbeitsmarktes jetzt aussetzen, kämen viele Migranten trotzdem und würden sich dann wie bisher eher in einer Grauzone der Illegalität und in Armutszirkeln einrichten“, sagte der IZA-Chef. Dies würde die Lage eher noch verschlechtern. „Dagegen müssen wir neben klaren rechtlichen Regelungen auf eine bessere wirtschaftliche Kooperation mit den Heimatstaaten und eine vermehrte Integration der betroffenen Menschen setzen.“

Zimmermann unterstrich die Notwendigkeit, jetzt Maßnahmen gegen Armutseinwanderung zu treffen auch damit, dass Migration seiner Einschätzung nach in Zukunft zu einem globalen Thema von „noch viel größerer Dimension“ werde. „Hierauf muss sich die Politik völlig neu einstellen, wenn sie diesen Prozess verantwortungsvoll gestalten will“, sagte der Ökonom. Deswegen gehöre dieses Thema auch ganz oben auf die europäische Agenda. „Davon kann bisher leider keine Rede sein.“

Zimmermann sprach von einer „wichtigen Debatte“, die sorgfältig geführt werden müsse. „Wir brauchen keine Migration in die Sozialleistungen – aber wir brauchen mehr Zuwanderung“, sagte er. Einerseits sei ein flexibler Binnenarbeitsmarkt nötig, in dem die Menschen dort rasch arbeiten können, wo sie gebraucht würden, aber kurzfristig fehlten. Andererseits fehlten in Deutschland langfristig viele Arbeitskräfte. „Die meisten der einmal gewonnenen Arbeitskräfte ziehen aber wieder weiter“, sagte der Experte. Diese Funktionsweise sei eine der Grundlagen des europäischen Wohlstandsmodells, und Deutschland profitiere davon erheblich.

Der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, befürchtet, dass die Armutszuwanderung Vorbehalte gegen ausländische Arbeitskräfte schüren könnte. „Ich sage weiterhin: Wir brauchen Zuwanderung von qualifizierten Arbeitskräften. Daher trifft uns die Entwicklung der Armutszuwanderung im Kern“, sagte Weise der „Welt am Sonntag“.

Bundeagentur nennt Zahlen zur Arbeitsmigration

Laut Weise sind die absoluten Zahlen noch klein. „Es handelt sich um 6.000 bis 7.000 Fälle.“ Wenn ab 2014 die Arbeitnehmerfreizügigkeit auch für die Bürger Bulgariens und Rumäniens gilt, könnten nach Schätzungen der Bundesagentur aber 120.000 bis 180.000 Menschen nach Deutschland kommen.

Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, warnte davor, Armutszuwanderer „in die Kriminalitätsecke“ zu drängen. Viele Roma kämen nach Deutschland, „weil sie in ihrer Heimat ohne Perspektive sind“. Den Bund forderte er auf, die mit ihnen „überforderten Kommunen“ nicht im Stich zu lassen. In der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ wies er aber auch darauf hin, dass Deutschland die massiven Probleme der Roma in den Herkunftsländern nicht lösen könne.

Bundesinnenminister Friedrich kündigte Initiativen auch auf EU-Ebene an. So müsse der Druck auf die Regierungen erhöht werden, damit die Menschen in ihrer Heimat ordentlich versorgt würden und sicher und unbehelligt leben könnten. Zudem will der CSU-Politiker eine europäische Verständigung darüber, dass eine Wiedereinreise in ein anderes Land dann verweigert werden kann, wenn der Betreffende Sozialbetrug begangen hat.

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